Greift Mercedes entscheidend in den Titelkampf ein?
Paul di Resta beim Boxenstopp
Die Sekunden fühlen sich wie Stunden an. Denn Gary Paffett musste warten. Lange. Zu lange. Bei seinem Boxenstopp im Sonntagsrennen auf dem Nürburgring hakte es, das rechte Hinterrad machte Probleme, er verlor fast neun Sekunden auf den späteren Gewinner René Rast. Außerdem musste der Brite auch noch das BMW-Duo Marco Wittmann und Joel Eriksson in der Box passieren lassen, insgesamt verlor er fünf Plätze, schaffte es am Ende auf Rang fünf. Im Ziel hatte er schließlich sieben Sekunden Rückstand auf Rast. Was zeigt, was möglich gewesen wäre. Doch die Punkte sind weg. Vier Rennen vor Saisonende hat er als Tabellenführer zwei Zähler Vorsprung vor seinem Teamkollegen Paul di Resta.
Paffett schildert die Sekunden, die wie eine Ewigkeit sind. ««Du sitzt im Auto und hörst wie die Reifen gewechselt werden, du siehst wie sich die Jungs bewegen. Du wartest und machst dich bereit, loszufahren. Und dann geht es nicht weiter. Die Zeit vergeht, die anderen ziehen an dir vorbei und du kannst nichts machen.»
Unmittelbar nach dem Rennen hatte er die Arbeit seines Teams in einer ersten Emotion noch als «scheiße» bezeichnet, später zeigte er Verständnis. «Die Jungs in der Box fühlen sich am schlechtesten nach so einem Fehler. Dafür trainieren sie das ganze Jahr über hart. Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht wieder vorkommt. Aber Fehler sind menschlich. Es ist halt nur sehr ärgerlich, wenn es dich fünf Positionen auf der Strecke kostet.»
Mercedes-Teamchef Ulrich Fritz kennt die Probleme. Es ist nicht das erste Mal, dass er über verpatzte Boxenstopps seiner Crew sprechen muss. «Das passiert, auch wenn es nicht passieren darf. Eigentlich ist das einer der Mechaniker, bei dem es immer super funktioniert. sind sicherlich nicht dort, wo wir sein wollen, auch wenn wir uns bei den Stopps verbessert haben.»
Gut sind sie deswegen noch lange nicht. Das Problem zieht sich durch die ganze Saison. Mal ist die Crew schlicht zu langsam, dann unterlaufen ihr teils haarsträubende Patzer. Dabei werden die Stopps bei HWA drei- bis viermal in der Woche trainiert. Dabei geht es um die Harmonie miteinander, um Laufwege, die im Zuge der Probleme auch schon umgestellt wurden. Bei Mercedes laufen die Mechaniker gegenläufig, aber teilweise auch miteinander. Das hängt zum Beispiel auch davon ab, ob Rechts- oder Linkshänder dabei sind, sonst steht man sich im Weg. «Es ist komplexer, als es aussieht», so Fritz. Und: Nach einem starken Jahr 2017 verlor man in dem Bereich drei Säulen.
Neun Mechaniker sind in den Stopp involviert. Die wichtigen und extrem schwierigen Jobs haben die Reifenstecker und Schlagschrauber-Männer. Hier können Fehler passieren, die richtig weh tun. Die teilweise Sekunden und damit bisweilen auch Siege und wichtige Punkte kosten.Deshalb ist klar: Der Boxenstopp ist vor allem auch eine Kopfsache.
Auf den Mechanikern lastet Druck, und unter Druck passieren Fehler. Danach sind die Mechaniker verunsichert, Patzer wiederholen sich. Ein Teufelskreis. Fritz: «Es geht nur mit noch mehr üben, noch mehr trainieren und den Jungs Sicherheit geben. Es bringt nichts, draufzuhauen. Man muss den Jungs die Chance geben, es noch einmal zu probieren. Es ist ein Kopfsport.»
Das ist es vor allem seit 2017. Damals wurden die Stopps umfassend verändert, die Crew reduziert, außerdem ist nur noch ein Schlagschrauber pro Seite erlaubt. Die menschliche Komponente sollte mehr im Mittelpunkt stehen, Unwägbarkeiten und damit Fehler provoziert werden. Weg von dem perfekt choreografierten, rund drei Sekunden kurzen Stopp, hin zu einem manchmal chaotisch wirkenden Tohuwabohu. «Früher ging es vor allem um Technik, heute ist es ein echter Knochenjob», so Fritz. Die Stopps dauern inzwischen rund sieben Sekunden (reine Standzeit), Zeitverluste in ähnlicher Höhe sind aber keine Seltenheit.
Fritz sind die Boxenstopp-Patzer sichtlich unangenehm, schließlich will er in der heißen Phase keinen von beiden benachteiligen oder entscheidend in den Titelkampf «eingreifen». Di Restas Team (für ihn und Daniel Juncadella zuständig) machte bisher den besten Job, der Schotte litt noch unter keinen großen Fehlern. Fritz hofft, dass es nun bei beiden Titelanwärtern so bleibt: «Wir wollen dafür sorgen, dass sie einen möglichst gleichen Meisterschaftskampf haben.» Damit der Titel nicht in der Box entschieden wird.