Der stille Macher: Jochen Neerpasch ist 85
Sein Name stand und steht für ganz großen Motorsport. Jochen Neerpasch war schon als Rennfahrer eine Ausnahme-Erscheinung. Volvo, AC Cobra, Ford GT 40 und Porsche beherrschte er perfekt. Sein ruhiger, unauffälliger aber effizienter Fahrstil hat ihn zum begehrten Partner in jedem Cockpit gemacht.
Was er danach als Sportchef bei Ford und speziell BMW auf die Beine gestellt hat, übertraf die Galavorstellungen auf der Piste nochmals deutlich. Und als Talentförderer erwarb er sich ebenfalls reichlich Ruhm.
Da ich Jochen über all die Jahre in vorderster Front als Journalist begleitet habe, kann ich mit Überzeugung sagen, dass er sicher als der größte und erfolgreichste Förderer junger Nachwuchsfahrer hierzulande gelten kann. Kein anderer hat so viele junge Leute zu erfolgreichen Renn-Profis geformt wie Jochen Neerpasch.
Jetzt feiert der Macher und Manager in seiner Wahlheimat am Bodensee seinen 85. Geburtstag. Speedweek gratuliert und blickt auf seine wichtigsten Stationen im Motorsport zurück.
Nach seiner Profi-Karriere folgte der gebürtiger Rheinländer mit Wohnsitz in Krefeld 1968 dem Ruf von Ford in Köln, wo der Vorstand den Aufbau einer schlagkräftigen Rennabteilung beschlossen hatte. In Neerpasch sah man den Richtigen dafür.
Unter seiner Regie entstand der legendäre Capri RS, dessen Siegesserie 1971 und 1972 insbesondere BMW ein Dorn im Auge war. Die Abwerbungsversuche der weiß-blauen Konkurrenz hatten schließlich Erfolg – im Mai 1972 verabschiedete sich Neerpasch nach München.
BMW bot dem Visionär ideale Rahmenbedingungen, damit er seine Ideen Zug um Zug verwirklichen konnte. Dazu gehörten die Gründung der «BMW Motorsport GmbH» (1972), die Aufrüstung des BMW CSL zum Siegerauto für die Tourenwagen-EM (1973/74) und die Rekrutierung junger Talente für ein «BMW Junior Team» in der DRM (1977) und in der Formel-2-EM (1978).
Mit viel Engagement trieb Neerpasch vor allem die die Nachwuchsarbeit voran. Karrieren wie beispielsweise die von Manfred Winkelhock, Marc Surer oder Eddie Cheever gehen auf das Konto jenes Mannes, den Journalisten und Freunde gerne als «großen Schweiger» bezeichnen. Mühsam musste man jede Information aus ihm herauspressen, oft genug bestanden seine Antworten nur aus einem hintergründigen Lächeln.
Seine letzten Großtaten für BMW waren 1979 die Initiierung der M1-Procar-Serie und die Vorbereitungen für einen Formel 1-Einstieg. Als das F1-Motoren-Projekt durch den Vorstand zunächst gestoppt wurde, kehrte der Sportchef den Münchnern Anfang 1980 tief enttäuscht den Rücken.
Auch während seiner mehrjährigen Zeit als Mercedes-Berater und danach Sportchef blieb Neerpasch seinem Ruf als Talentförderer treu und formte 1990 mit Michael Schumacher, Heinz-Harald Frentzen und Karl Wendlinger ein neues, schlagkräftiges Mercedes-Junior-Team in der Sportwagen-WM. Auch am F1-Einstieg von Schumacher 1991 war er nicht unbeteiligt.
Es gehörte übrigens eine gute Portion Mut dazu, die drei Erstplatzierten der damaligen deutschen Formel 3-Meisterschaft von 1989 schon im Folgejahr in so einen leistungsstarken Sportwagen wie den Sauber Mercedes C9 zu setzen. Die Idee dahinter war sonnenklar – Vorbereitung der drei Junior-Talente für die Formel 1.
Als aber auch Neerpaschs F1-Pläne bei Mercedes kurz vor der Realisierung im Herbst 1991 überraschend gestoppt wurden, brach für ihn eine Welt zusammen. «Für mich war das die größte Enttäuschung überhaupt», gesteht er noch heute unumwunden ein, «denn hier wurde die einmalige Chance vergeben, den besten deutschen Formel 1-Piloten aller Zeiten schon damals in einem Mercedes siegen zu sehen.»
Dafür bugsierte Neerpasch seinen Zögling Schumacher flugs (mit Mercedes-Geld) noch schnell auf anderen Wegen in die Formel 1 – der Rest ist bekannt.
Überdies musste «JN» (so sein Branchenkürzel) zum zweiten Mal innerhalb von elf Jahren mit ansehen, wie sich ein mühsam aufgebautes Formel 1-Projekt in Luft auflöst. Verbittert verließ er Mercedes. Doppelt schmerzhaft war dabei die Tatsache, dass sowohl BMW als auch Mercedes nach seinem Weggang später doch noch in der Formel 1 antraten und obendrein auch noch jeweils Weltmeister wurden.
Sein dritter Nachwuchs-Coup war 1997 das «Benetton-RTL-Formel-3-Junior-Team» mit Timo Scheider, Alex Müller und Dominik Schwager. Die drei gaben tüchtig Gas, und Scheider verlor den Titelkampf nur hauchdünn im Finalrennen gegen Nick Heidfeld. Auch diese Zöglinge haben sich, jeder in seinem Bereich, gut entwickelt.
Neerpaschs letzte Station war der deutsche STW-Cup, den JN im Auftrag des ADAC eine Zeit lang als Manager betreute. Danach versuchte er nochmals eine eigene Rennserie für Vier-Liter-V8-Sportwagen auf die Räder zu stellen, aber die Idee wurde zum Flop. Die «EUROC» fand trotz pompöser Pressevorstellung mit TV-Partner SAT.1 und Testfahrten mit namhaften Piloten nie statt.
Anschließend wurde es still um Jochen Neerpasch, der sich mehr und mehr ins Privatleben zurückzog. Zusammen mit seiner zweiten Frau Ursula lebt er nach Stationen in Monaco, Südfrankreich und der Schweiz jetzt seit vielen Jahren am Bodensee und fühlt sich im Dreiländer-Eck sehr wohl.
Aber der Motorsport lässt ihn auch im fortgeschrittenen Alter noch nicht los. BMW konnte ihn nochmals für ein Junior-Projekt begeistern und holte ihn dafür vor ein paar Jahren aus dem Ruhestand zurück. Seine drei neuen BMW-Junioren sind Daniel Harper (22/GB), Max Hesse (23/D) und Neil Verhagen (23/USA), deren Aufbau zu Vollprofis Neerpasch mit all seinem Wissen im Auftrag der BMW M-GmbH begleitet.
Die drei haben sich prächtig entwickelt und gelernt, wie man als homogenes Team Siege einfährt. «Sie fahren schon auf dem Niveau der besten GT3-Piloten. Und das ist noch nicht alles gewesen, da kommt noch mehr», lässt der Mentor mit der ihm eigenen geheimnisvollen Umschreibung wissen, «ich bin mit den drei Jungs noch nicht fertig und würde sie gerne noch in Le Mans auf dem Podium sehen.»
So verbringt er seinen 85. Geburtstag denn auch am Nürburgring, wo seine drei BMW-Schützlinge am 23. März zum ersten Langstrecken-Event der Saison starten. Es ist sein insgesamt viertes Junior-Projekt, das sich nach dem bisherigen Verlauf ebenfalls zu einer eigenen Erfolgsgeschichte entwickelt.
Wenn Jochen Neerpasch zurückblickt auf die BMW-Anfänge 1972 in München, dann kommt er ins Schwärmen: «Das ist schon beeindruckend, wie sich das alles entwickelt hat im Laufe der Zeit. Bei der Gründung der Motorsport GmbH vor mehr als 50 Jahren habe ich vor einem leeren Schreibtisch gesessen und musste mir die Autos zum Aufbau für die Renneinsätze einzeln aus der Serienfertigung holen. Heute baut die BMW M-GmbH selbst über 200.000 Autos im Jahr in Eigenregie und liefert fertige Produkte für Rennsport und Straße aus.»
Noch immer interessiert sich der Ex-Sportchef auch für das globale aktuelle Motorsport-Geschehen, «aber jetzt mehr aus der Distanz heraus».
Ein Urteil über den Ist-Zustand der PS-Landschaft im Allgemeinen und im Speziellen in Deutschland erspart er sich. Dass ihm nicht alles gefällt, was da so abgeht, können sich diejenigen lebhaft vorstellen, die ihn näher kennen.
Angst vorm Alter? «Keineswegs. Ich genieße jeden Tag, den ich gesund erlebe und ich will auch nicht um jeden Preis jetzt unbedingt 90 oder gar 100 werden.»
Eines will Jochen Neerpasch trotz diverser Enttäuschungen zum Schluss doch noch festgehalten wissen: «Es gibt keinen Blick zurück im Zorn, denn die vielen schönen Jahre mit unglaublichen Erfolgsmomenten überwiegen bei weitem. Ich bin zufrieden mit dem, was ich bewegt und erreicht habe. Und ich bin jetzt nochmal da angekommen, wo 1972 in München alles mal begonnen hat.»
Ich finde, dieser letzte Satz des Jubilars lässt auf ein erfülltes Motorsport-Leben schließen. Jochen Neerpasch ist mit sich und seinem Leben im Reinen.
Alles Gute, alter Weggefährte, bleib’ gesund – und bedanke dich bei BMW und deinen drei aktuellen Junioren dafür, dass sie dich weiter jung und auf Betriebs-Temperatur halten.