Sergio Marchionne: «Ferrari-Titelchance unter 50%»
Sergio Marchionne (rechts) mit Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene
Strahlend blauer Himmel vor dem Grossen Preis der USA auf dem Circuit of the Americas ausserhalb von Austin (Texas), das sah am Sonntagmorgen noch ganz anders aus: Da gingen schwere Gewitter über der Strecke nieder.
Sky-GP-Experte Marc Surer weiss: «Das alles ist nicht gut für Ferrari. Die hätten viel Gummi auf der Bahn gebraucht, zudem ist es kühler als am Samstag, auch das spielt eher Mercedes in die Hände, was den Umgang mit den Reifen angeht. Wir hoffen alle ein wenig auf ein kleines Wunder, denn kein echter Formel-1-Fan möchte, dass die Weltmeisterschaft schon so früh entschieden wird.»
Das will auch Sergio Marchionne nicht. Der Ferrari-Chef ist nach Texas gekommen, um seine Scuderia zu unterstützen.
«Der ganze Schlamassel hat in Monza angefahren», weiss Marchionne. «Von da an war irgendwie der Wurm drin. Wir haben die verschiedenen Vorfälle analysiert und verstanden, was passiert ist. Nun müssen wir sicherstellen, dass wir die gleichen Fehler nicht noch einmal machen.»
«Ich habe mich heute Morgen mit Teamchef Maurizio und auch mit Sebastian unterhalten. Wir wollen unsere WM-Hoffnungen so lange als möglich am Leben erhalten. Jetzt braucht das Team jede Unterstützung.»
«Auf uns kommt keine einfache Aufgabe zu. Die WM-Chancen sind auf unter 50 Prozent gesunken. Aber das wird uns nicht aufhalten. Wir hatten zu Beginn der WM ein hervorragendes Auto, dann sind wir in Rückstand geraten, nun müssen wir eben wieder Boden gutmachen.»
«Ich habe mich am Sonntagmorgen auch mit Mercedes-Teamchef Toto Wolff unterhalten, und er weiss genau, dass wir ihnen im Nacken sitzen. Wir müssen optimale Arbeit zeigen, und wenn wir das schaffen, dann können wir den WM-Kampf bis Abu Dhabi verlängern. Das alles ist noch nicht vorbei.»
«Mit Sebastian habe ich gescherzt: Ich bin nach Ungarn gereist, und wir haben gewonnen. Wenn wir hier siegen, dann buche ich einen Flug nach Mexiko.»
«Früher hatten wir oft die Situation, dass wir zur Mitte der Saison die Entwicklung ein wenig vernachlässigt haben, um schon für das nächstjährige Auto zu arbeiten. Klar ist das 2018er Auto wichtig, aber dieses Mal wollen wir unsere Karten bis zum Schluss ausspielen. Viele der Probleme, die wir mit dem diesjährigen Fahrzeug hatten, werden sich nicht wiederholen.»
Natürlich wird Marchionne auf die Ferrari-Mannschaftsaufstellung angesprochen. Es hält sich im Fahrerlager das Gerücht, wonach der Posten von Maurizio Arrivabene wackle. Marchionne: «Die Scuderia hat in diesem Jahr so gut abgeschnitten, weil diese Mannschaft aussergewöhnlich ist. Ja, es hat Fehler gegeben. Aber wenn mir einer vor einem Jahr eröffnet hätte, dass wir 2017 mit Mercedes um den Titel kämpfen, dann hätte ich ihn verspottet.»
«Es geht um Prozesse, die verbessert werden müssen, nicht um einzelne Personen. Wir müssen Rennen gewinnen. Und Mattia und Maurizio waren beide Männer, die zu Siegen die Weichen gestellt haben. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Wir müssen Probleme lösen.»
«Für einen grossen Teil der WM waren wir der einzige Gegner von Mercedes. Das zeigt – dieses Team funktioniert. Uns soll jetzt keiner mit angeblichen Änderungen auf den Keks gehen. Wir haben mit den Piloten Stabilität angestrebt, daher die neuen Verträge für Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen. Über die anderen Angestellten will ich nicht reden, aber Stabilität ist elementar.»
In Sachen Fahrer für 2019 und einen möglichen Nachfolger von Kimi Räikkönen meint Marchionne: «Wir beobachten alle, aber das Wichtige ist, Sebastian zu unterstützen. Wir haben auch Mitglieder unserer Fahrerakademie, die herausragend sind, sie verdienen einen Platz in der Formel 1.» (Marchionne meint die jungen Charles Leclerc und Antonio Giovinazzi, M.B.)
«Wir haben im Sommer 2016 begonnen, den Rennstall neu aufzustellen, um wieder an die Spitze zu kommen, und ich stelle fest – wir haben enorme Fortschritte erzielt.»
Wer hat an der Formflaute nach der Sommerpause mehr Schuld – die Fahrer oder die Techniker? Marchionne: «Die Fehler liegen auf beiden Seiten. Sebastian weiss, dass er einige Dummheiten begangen hat, andere gehen auf die Kappe des Teams, also liegt die Verantwortung auf den Schultern aller.»