Sebastian Vettel (Ferrari/9.): Mehr als Mauerküsschen
Sebastian Vettel
Der Grat zwischen Hero und Zero ist schmal in der Formel 1: Sebastian Vettel triumphierte auf dem Boden von Lewis Hamilton in Silverstone. Dann setzte er seinen Ferrari in Hockenheim ins Kiesbett der Sachs-Kurve, und es war an Hamilton, in Vettels Heimat zu triumphieren. Vettel war Favorit auf dem Hungaroring, aber am Ende hatte Hamilton die Nase vorn. Alles lief glatt in Belgien – Sieg für Vettel. Dann die Berührung mit Lewis in Monza, Rückfall ans Ende des Feldes, noch Rang 4, aber leider (aus Sicht von Seb) gewann Hamilton erneut. Damit liegt Vettel in Singapur dreissig Punkte hinter Lewis Hamilton.
Sky-GP-Experte Martin Brundle ist nicht der einzige Insider, der festhhält: «Vettel macht derzeit zu viele Fehler, um den WM-Titel zu holen. 2018 ist er in Baku bei einer Attacke auf Bottas geradeaus gerutscht, in Frankreich mit Valtteri zusammengestossen, in Österreich hat er wegen Blockierens von Sainz eine Strafe erhalten, in Deutschland hat er 25 Punkte weggeworfen. Und dann das in Monza.»
In der Fahrer-WM steht es zwischen Hamilton und Vettel derzeit 256:226. Gehen wir vom günstigen Fall für Vettel aus, könnte der Heppenheimer heute bei 287 Punkten stehen und Hamilton käme lediglich auf 232. Anders gesagt: Sebastian Vettel hätte ein Punktepolster von mehr als zwei Rennsiegen auf seinem Konto!
Sebastian Vettel: «Mit Hätte, Wenn und Aber gewinnst du keine Rennen und Titel. Mein grösster Gegner bin ich selber.»
In Singapur muss ein Sieg her, und wenn nicht hier, wo dann? Vettel hat hier vier Mal gewonnen (mehr als jeder andere Fahrer im Feld), drei Mal mit Red Bull Racing (2011, 2012 und 2013), einmal mit Ferrari (2015). Vier Mal auch stand Seb auf Pole (2011, 2013, 2015 und 2017), bei sieben von bislang zehn Singapur-GP ist das Rennen vom besten Startplatz aus gewonnen worden. Überdies hat Vettel in Singapur 221 Rennrunden geführt, auch dies Rekord.
Gut für Vettel im WM-Kampf gegen Hamilton: Red Bull Racing ist stark genug, um Mercedes tüchtig zu ärgern. Schlecht für Vettel: Um genau zu sein, sind die RBR-Autos so flott unterwegs, dass sie siegfähig sind und Vettels Ziel verhindern könnten, hier 25 Punkte einzufahren.
Noch schlechter für Vettel: Mauerkuss im zweiten freien Training, das erzeugte ein Leck, seine Loria verlor rote Flüssigkeit. Ein Ferrari, der blutet. Clever bei den Italienern: Verschiedene Kühlflüssigkeiten sind unterschiedlich eingefärbt. Wenn der Rennwagen Flüssigkeit verliert, wissen die Mechaniker anhand der Farbe sofort, um welchen Betriebsstoff es sich handelt.
Vettel weiss: In Singapur ist es (wie auch in Monaco) ganz wichtig, mit einem guten freien Training früh den Rhythmus zu finden und sich dann Schritt um Schritt zu steigern. Ein Mauerkuss ist das ungefähr das Letzte, was ein Fahrer möchte. Seb hatte vorzeitig Feierabend, eine optimale Vorbereitung sieht anders aus.
Vettel in der Freitagnacht von Singapur: «So schlecht war es nicht. Klar hat zum Schluss ein wenig Zeit auf der Piste gefehlt. Aber wir haben noch genügend Raum, um an der Balance zu tüfteln und das Auto schneller zu machen. Die Pole ist hier in Singapur sehr wichtig, je weiter vorne, desto besser, das Überholen ist nicht einfach. Ich weiss, dass wir uns steigern können.»
«Das war ein bisschen mehr als ein Mauerküsschen, also haben wir uns gesagt – wir nehmen uns lieber die Zeit und prüfen den Wagen von vorne bis hinten. Hier ist es normal, dass du die Mauer mal berühren kannst, du willst ja schliesslich die Grenze ausloten. Die Schäden halten sich in Grenzen, da ist nichts, was uns morgen von einem guten Qualifying abhält. Aber ich war schon ja ein paar Mal hier und weiss, worauf es ankommt.»
«Zum Glück hatte Kimi ein reibungsloses Training, das ist wichtig für unsere Arbeit. Inzwischen kennen wir auch unser Auto recht gut, von daher fällt diese verlorene Zeit jetzt nicht zu stark ins Gewicht. Bis zum Mauerkuss war die Runde gut, aber mit der Balance war ich am Morgen glücklicher. Gegen Mercedes und Red Bull Racing wird es knapp. Die Reifen werden am Sonntag ganz wichtig sein, und da schaut Red Bull sehr gut aus.»