Unfassbar: Frankreich seit 1996 ohne Grand-Prix-Sieg
Es klingt merkwürdig, aber es ist wahr: «La Grande Nation» Frankreich ist im Rahmen der Formel-1-WM seit Olivier Panis und Monaco 1996 ohne Grand-Prix-Sieger! Wer sich unter französischen Grand-Prix-Fans umhört, erkennt schnell – seit dem grossen Alain Prost gibt es keinen Fahrer, der die Grande Nation vom Sessel gerissen hätte. Dem inzwischen 52jährigen Panis ist die sieglose Serie fast ein wenig unheimlich, wie er vor einigen Jahren der «Aujourd’hui en France» anvertraute, kurz vor einer neuen Ausgabe des Monaco-GP: «Als ich vor einer Woche die Piste abstiefelte, schoss mir durch den Kopf – mein Sieg liegt mehr als 20 Jahre zurück! Verrückt, wie schnell die Zeit verfliegt. Klar hätte ich im Laufe meiner Karriere gerne mehr Grands Prix gewonnen als nur einen, aber ich bin immerhin Monaco-GP-Sieger. Das können nicht viele von sich behaupten. Wenn schon nur einen Triumph, dann den hier.»
Wie sieht Panis die sieglose Serie? Olivier lachte: «Wie jeder Franzose bin ich grundsätzlich ein ungeduldiger Mensch. Also dauert mir das natürlich viel zu lange. Auf der anderen Seite – wer hat schon eine Karriere wie Alain Prost? An Talenten mangelte es nicht.»
Eher an den Umständen: Romain Grosjean hat aus seinen Möglichkeiten zu wenig gemacht. Jean-Éric Vergne wurde von Red Bull aussortiert. Jules Bianchi stand eine grosse Zukunft bevor, dann wollte es das Schicksal anders – schwerer Unfall in Suzuka 2014, im Sommer 2015 verstorben.
Aber es gibt Hoffnung: Mit Pierre Gasly (Toro Rosso) und Esteban Ocon (Mercedes-Junior, in Lauerstellung für GP-Comeback 2020) haben wir zwei sehr vielversprechende Fahrer.
Würde Panis es bedauern, wenn er seinen Titel «Letzter GP-Sieger aus Frankreich» denn mal los ist? «Nein», antwortet der 158fache GP-Teilnehmer. «Ich werde seit so langer Zeit damit in Verbindung gebracht, das reicht. Jetzt soll ein Anderer diesen magischen Moment auskosten dürfen.»
Aber warum dieses Talent-Vakuum in Frankreich? Die Antwort ist ganz einfach: Weil die gezielte Nachwuchsförderung jahrelang vernachlässigt worden sind, ein Problem, das Frankreich mit Italien teilt. In den 60er Jahren war die Rennfahrerschule Winfield legendär, die zunächst in Magny-Cours, dann in Le Castellet zuhause war. Wer das «Volant Winfield» gewann, also das Lenkrad von Winfield, wurde gezielt gefördert und durfte sich Hoffnungen auf eine erfolgreiche Rennkarriere machen.
Bis in die 80er Jahre schien Frankreich ein scheinbar unerschöpflicher Quell an Renntalenten zu sein: Einer der grössten Gründe, warum wir uns über das gesammelte Talent von Jean-Pierre Beltoise, Henri Pescarolo, François Cevert, Patrick Tambay, Alain Prost, Didier Pironi, Erik Comas, Olivier Panis und so fort freuen durften, war die grandiose Nachwuchsförderung von François Guiter als Motorsportchef des Mineralölkonzerns «elf».
François Guiter, in den 50er Jahren Mitglied einer Spezialeinheit des französischen Geheimdienstes, wurde 1967 Marketing-Chef von elf, mit dem Auftrag, das etwas verstaubte Image des Konzerns aufzumöbeln. Guiter entschloss sich zum Engagement im Rennsport.
Elf wurde ein fester Partner von Matra, von Tyrrell, François Guiter gründete das «Volant elf», eine Rennfahrerschule, aus der zahlreiche Grand-Prix-Piloten hervorgingen. Guiter arbeitete dabei mit der Rennfahrerschule Winfield zusammen.
Einige Piloten, die aus diesem Programm hervorgingen: Patrick Tambay, Didier Pironi und Alain Prost. Aus Tambay und Pironi wurden GP-Sieger, Alain Prost fuhr vier WM-Titel und 51 Siege ein.
Andere Zöglinge, welche die Winfield-Schule durchliefen: François Cevert, Jacques Laffite, Eric Bernard, Erik Comas, Olivier Panis, Damon Hill, Ukyo Katayama, Yvan Muller, Marcel Fässler, Bertrand Gachot, Jean Alesi und Christian Danner.
Elf fusionierte 2000 mit TotalFina zu dem neuen Unternehmen TotalFinaElf, das seit 2003 Total heisst. Der Name hat mit der Zahl elf übrigens nichts zu tun und steht vielmehr für «Essence et Lubrifiants de France». Das Logo stellt einen stilisierten Bohrmeissel mit einer blauen und einer roten Seite dar, der in der Mitte weiss bleibt, Symbol der französischen Flagge.
Wer folgt auf Esteban Ocon (Mercedes), Pierre Gasly (Red Bull Racing) und Romain Grosjean (Haas)? Renault-Zögling Anthoine Hubert hat 2018 die GP3-Meisterschaft gewonnen, mit Rang 4 in Bahrain hat er bislang sein bestes Formel-2-Ergebnis erzielt und liegt auf dem guten siebten Meisterschaftsrang, in drei von sechs Rennen hat er gepunktet. Giuliano Alesi (Sohn des früheren Formel-1-Fahrers Jean Alesi) ist derzeit Zweitletzter, nur Tatiana Calderón ist noch schlechter. Das sieht nicht nach einer GP-Karriere aus. Auch nicht für Dorian Boccolacci, der im Formel-2-Klassement auf Platz 13 zu finden ist.
Düster sieht es in der neuen Formel 3 aus: kein einziger Franzose im Feld.