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Vettel, Ferrari, FIA: Formel 1 in der Zwangsjacke
​Die Formel 1 erstickt am eigenen Reglement: Es war klar, dass der Autoverband FIA die Fünfsekundenstrafe für Sebastian Vettel in Kanada nicht kippen würde. Die Regelhüter wären unglaubwürdig geworden.
Formel 1
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Ferrari hat den Grossen Preis von Kanada gleich zwei Mal verloren. Ein erstes Mal in Kanada, ein zweites Mal in Frankreich, beim Antrag auf Revision, der von der FIA weggewischt wurde wie eine lästige Fliege. Das war aus drei Gründen abzusehen.
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Grund 1: Um den Fall Vettel frisch aufzurollen, hätte Ferrari in Le Castellet neue Beweise vorlegen müssen. Ferrari-Sportchef Laurent Mekies sprach nicht eben unbescheiden von "überwältigenden Hinweisen", die er den FIA-Kommissaren vorlegen würde. Damit machte sich der Franzose rückblickend lächerlich, denn was er als duftenden Ristretto angepriesen hatte, so stark, dass der Löffel drin stehenbleibt, erwies sich als aufgewärmter Filterkaffee. Der Franzose hat sich damit einen Bärendienst erwiesen. Wer solche Ankündigungen hinausposaunt, weckt Erwartungen. "Überwältigende Hinweise", das klang für die Tifosi so, als wäre es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis Vettel den Kanada-Sieg zugesprochen erhält. Umso grösser dann die Ernüchterung, wenn daraus nichts wird. Grund 2: Jeder beim Autoverband FIA wusste genau – wird die Entscheidung der Kanada-Rennkommissare Gerd Ennser (Deutschland), Mathieu Remmerie (Belgien), Emanuele Pirro (Italien) und Mike Kaerne (Kanada) gekippt, untergräbt dies der Glaubwürdigkeit der FIA-Regelhüter. Zum Glück für die FIA war die Beweisführung von Ferrari viel zu schwach, um in echte Gefahr zu geraten. Grund 3: Auf die Revision von Ferrari einzugehen und am Ende sogar die Strafe von Vettel zu drehen, das hätte einen gefährlichen Präzedenzfall erzeugt. Das Recht auf Revision wäre künftig erheblich häufiger gefordert worden. Der Fall Vettel ist damit erledigt, das Hauptproblem ist geblieben, wie Kimi Räikkönen in Südfrankreich betont hat. "Ich hätte die Strafe besser verstanden, wenn Vettel beim Zurückkommen in jemanden hineingefahren wäre, aber so? Ich finde das schon seltsam – uns wurde zu Beginn der Saison 2019 beteuert, dass wir Fahrer eine längere Leine bekommen. Das Urteil von Kanada ist für mich ein Widerspruch. Sie wollen härteren Rennsport begünstigen, und wenn so etwas vorkommt wie in Kanada, dann setzt es gleich diese Strafe. Was uns gesagt wurde und was dann getan worden ist, das passt nicht zusammen. Jeder Racer will mehr Freiheiten. Und klar hat das natürlich seine Grenzen. Wenn ein Pilot seinen Gegner absichtlich von der Bahn ellbögelt oder sonst eine Blödheit macht, dann finde ich eine Strafe angemessen. Aber hier? Eher nicht. Wir Piloten wissen, was hart aber fair ist." Bedauerlicherweise ist die Fahrervereinigung GPDA (Grand Prix Drivers’ Association) zu zahnlos, um echten Einfluss ausüben zu können. Die FIA hat mit dem Fall Vettel ein weiteres Mal gezeigt, wie ungleichmässig die Urteile sind: Lewis Hamilton quetscht 2016 in Monte Carlo seinen Verfolger Daniel Ricciardo Richtung Leitschiene, nach einem Ausrutscher wie von Vettel in Kanada 2019, geht aber straffrei aus. Ferrari hingegen verliert wegen eines vergleichbaren Manövers den Kanada-Sieg. Das ist nicht richtig, und das wird von den Fans auch nicht verstanden. Kein Wunder, brummt es in den sozialen Netzwerken von Wortmeldungen – gebt doch Mercedes gleich den WM-Pokal. Die Regelhüter ersticken an ihrem eigenen Gesetzbuch. Die Formel 1 ist nicht nur bei der Technik überreglementiert, sondern auch bei den sportlichen Regeln. Dabei hätte der ganze Schlamassel sehr einfach gelöst werden können: Keine Strafe für Vettel in Montreal, alle hätten sich über einen Ferrari-Sieg gefreut und darüber, dass wieder ein wenig Pfeffer in die WM-Suppe gekommen ist. Ohne Zweifel hätten sich Mercedes-Teamchef Toto Wolff und Lewis Hamilton ein wenig aufgeregt. Sie hätten mit dem Argument zum Schweigen gebracht werden können: Pardon, aber bei Lewis gab es in Monaco 2016 auch keine Strafe. Ironie der Geschichte: In Monte Carlo 2016 und in Montreal 2019 sass der gleiche Ex-GP-Fahrer unter den Rennkommissaren, der Römer Emanuele Pirro. Das macht die Entscheidung noch unverständlicher. Gewiss, die Formel 1 war wegen der Vettel-Strafe zehn Tage lang in den Schlagzeilen. Leider aus den falschen Gründen. Die Fans wollen spannenden Sport sehen, Rad-an-Rad-Kämpfe zwischen Ausnahme-Athleten. Den haben Vettel und Hamilton in Montreal so lange geboten, bis er von der FIA abgewürgt worden ist. Nach der Strafe gegen Vettel musste Hamilton nur noch hinter dem Deutschen ins Ziel rollen, um den Kanada-GP zu gewinnen. Den Fans ist ein spannendes Finale gestohlen worden. Da müssen sich FIA-Präsident Jean Todt und Formel-1-CEO nicht über sinkende Einschaltquoten wundern. Die meisten Fans fanden die Strafe für Sebastian Vettel in Kanada unangemessen streng. Fehlte nur noch, dass der Heppenheimer für sein Gezeter am Funk oder fürs Verstellen der Positionstafeln im Parc fermé eine Strafe aufgebrummt worden wäre. Um wieder mehr Fans anzulocken, muss die Formel-1-Führung schon mehr machen als eine Grand-Prix-Hymne in Auftrag zu geben, die aparten Grid-Girls durch die quirligen Grid-Kids zu ersetzen oder die Startzeit um 70 Minuten zu verschieben. Das sind alles Gemüsebeilagen. Der Kern der Faszination Formel 1 liegt im Rennfahrer und seinem Kampf Mann gegen Mann, bei 300 Sachen, im Millimeterabstand, durchaus auch mal mit fliegenden Karbonteilen. Sebastian Vettel hat festgehalten: Emotionen gehören zur DNA des Sports. Da soll ein Pilot ruhig mal wie ein Rohrspatz schimpfen dürfen. Erinnern Sie sich noch, als Nelson Piquet 1982 in Hockenheim den bedauernswerten Eliseo Salazar mit Tritten und Faustschlägen eindeckte? Kaum vorstellbar, welche Strafe die FIA heute für eine solche Reaktion verhängen würde. Heute muss ja schon Max Verstappen zum Strafwochenende antraben, wenn er wie nach dem Brasilien-GP 2018 seinen Gegner Ocon ein wenig anschubst. Um es in der Fussballsprache zu sagen: Man muss nicht alles pfeifen und darf ein Spiel auch mal laufen lassen. Ich bin kein Grand-Prix-Pilot. Aber wenn so gut wie alle Fahrer Stellung beziehen für Vettel, dann muss ich zum Schluss kommen, dass die Entscheidung von Kanada nicht die weiseste gewesen ist. Urteile wie in Kanada widern die GP-Piloten an und die meisten Fans auch. Sebastian Vettel hat das so formuliert: "Ich muss mich schon fragen, ob dies noch der Sport ist, mit dem ich aufgewachsen bin und den ich so liebe. Ich finde die alten Grand Prix einfach klasse, die früheren Autos, die Haudegen am Lenkrad. Ich liebe all das. Und manchmal wünschte ich mir, ich wäre in einer früheren Rennepoche am Fahren." "Heute ist alles anders. Das fängt schon in der Art und Weise an, wie die Fahrer am Funk sprechen. Es ist, als hätten wir eine offizielle Sprache. Wir klingen ein wenig wie Anwälte, nicht wie Piloten. Dabei sollten wir alle so reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Wir sollten sagen dürfen, was wirklich Sache ist. Ich bin damit nicht einverstanden, wo sich der Sport hin entwickelt hat. Wenn ich nur schon diese Formulierungen höre, die da verwendet werden: ‘Einen unerlaubten Vorteil gewinnen’ – das ist schon schräg, über so etwas sollten wir uns doch im Formel-1-Sport nicht unterhalten müssen." Die Buhrufe und Pfiffe der Fans in Montreal sagten mehr als tausend Worte. Der Unmut der GP-Besucher richtete sich nicht gegen Profiteuer Hamilton als vielmehr gegen die Entscheidung der Rennkommissare. In Kanada gab es einen Sieger, aber keinen Gewinner. Daran hat auch das Revisions-Theater von Frankreich nichts geändert. Darüber sollten Jean Todt und Chase Carey vielleicht mal nachdenken.
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