Zum Schmelzen: «Iceman» Kimi Räikkönen ist 40
Robin und Kimi Räikkönen
Kimi Räikkönen ist ein echter Goldtimer: Im Alter von 40 Jahren fährt der Weltmeister von 2007 gegen Gegner, die halb so alt sind, wie etwa gegen Lando Norris. Und der «Iceman» fährt dabei wahrlich nicht wie ein Rentner.
Damit sind wir schon voll beim Thema, denn immer wieder fragen uns Leser: Wieso eigentlich «Iceman»? Das kam so: Nach einem Jahr bei Sauber kaufte McLaren-Mitbesitzer Ron Dennis den hochbegabten Finnen aus dessen Vertrag aus, ab 2002 war Kimi neu Fahrer des englischen Traditions-Teams. Dennis nannte Räikkönen aufgrund seiner kühlen Art zunächst «Ice-Kid». Doch das fand wenig Anklang, zumal Kimi ziemlich schnell vom Jungen zum Mann reifte – damit war «Iceman» gefunden, Kimi selber liess sich das 2008 auf den linken Unterarm tätowieren und fährt auch mit entsprechendem Schriftzug an der Rückseite seines Helms. Es kam sogar ein alkoholisches Mischgetränk dieses Namens auf den Markt.
Der elffache GP-Sieger Villeneuve fuhr in seiner Karriere gegen Männer wie Michael Schumacher, Mika Häkkinen oder Fernando Alonso – und eben gegen Kimi. Der Kanadier glaubt: Der Trend zu immer jüngeren Piloten führt zu einem Charisma-Verlust im Startfeld.
Villeneuve: «Schon der Formel-1-Abschied von Fernando Alonso war für den Sport ein herber Verlust. Fernando wurde von den Fans als echter Gladiator empfunden, der Spanier hat eine tolle Persönlichkeit, eine echte Ausstrahlung. Aber all diese Ausnahmekönner verschwinden zusehens, nach Alonso wird Ende 2020 vielleicht auch Räikkönen aufhören, und dann geht wohl Lewis Hamilton. Am Ende werden wir dann nur noch Max Verstappen haben als einen Fahrer mit Ecken und Kanten.»
Grosser Bahnhof für Kimi Räikkönen in Monaco: Das Team feierte am Mittelmeer das 300. Grand-Prix-Wochenende des Finnen. Typisch Kimi, wenn er meint: «Das ist doch nur eine Zahl, die ist mir völlig egal. Ob ich 300 habe oder 20.000, das ist mir einerlei. Ich habe dem Team erklärt, ich will keine Feier, keinen Kuchen, keine Drinks, gar nichts. Ich versuche mein Bestes, das Team zu zwingen, jede Form von Feier zu unterlassen, aber ich fürchte, ich werde damit keinen grossen Erfolg haben.»
Inzwischen steht Kimi bei 309 Einsätzen, nur zwei Fahrer haben mehr WM-Läufe bestritten: Rubens Barrichello (323), Fernando Alonso (312). Die Zahlen variieren je nach Zählweise. Die Streitfälle: Der Skandal von Indianapolis 2005, als die Michelin-Fahrer nach der Aufwärmrunde alle an die Box fuhren. Dann Malaysia 2017, als der Ferrari-Motor vor dem Start Mucke machte. Dann Belgien 2001, als im Sauber-Renner die Kraftübertragung schlappmachte.
Kimi Räikkönen lässt das völlig unberührt. Der Finne meinte: «Ich fühle mich nicht anders als vor einer Woche, und in zehn Tagen in Kanada werde ich mich auch nicht anders fühlen. Wir leben an einem GP-Wochenende immer nach dem gleichen Ablauf, kopieren und einsetzen. Klar hat sich die Formel 1 geändert, seit ich angefangen habe. So wie auch euer Leben anders ist als im Jahr 2000. Das ist normal, nicht nur beim Sport.»
«Doch das Fahren an sich hat sich nicht geändert, du versuchst immer, so schnell als möglich zu fahren, egal in welchem Auto du sitzt. Am meisten Spass macht es natürlich, wenn du ein schnelles Fahrzeug hast und gute Ergebnisse erringen kannst. Es gehört zum Geschäft, dass du gute Tage hast und weniger gute Tage. Klar wurmt es dich, wenn es nicht so gut läuft, aber letztlich geht die Welt dann auch nicht unter, es ist nur Motorsport.»
Hätte sich Kimi 2001 träumen lassen, dass er 2020 noch immer Grand-Prix-Pilot sein würde? «Definitiv nicht. Ich dachte immer, dass ich viel früher aufhören würde. Und eigentlich habe ich das ja auch getan, als ich die Formel 1 Ende 2009 verliess. Aber ich hatte keinen genauen Plan davon, wie meine Karriere verlaufen sollte. Ich wollte einfach Rennen gewinnen und Weltmeister werden.»
Vielleicht hört Kimi Ende 2020 wirklich auf mit der Formel 1. Vielleicht steht er Jahre später wieder im Fahrerlager – als Vater eines Piloten.
In Baku sprach Kimi Räikkönen über etwas, das ihm sonst heilig ist: sein Privatleben. Er plauderte dabei auch ausführlich über seine Kids, etwa darüber, welche Sprachen sie sprechen. «Finnisch und Englisch. Unsere Tochter wird zwei, sie redet erst ein paar Worte. Robin spricht wahrscheinlich besser Englisch als Finnisch. Er ist jetzt im Kindergarten, aber es ist ein englischsprachiger Kindergarten. Ich glaube, wir werden in der Schweiz bleiben, und wenn er zur Schule kommt, wird es eine internationale Schule sein. Er wird auch so deutsch oder schweizerdeutsch lernen, wenn sie so klein sind, lernen sie das im Handumdrehen. Ich finde es gut, wenn die Kinder mehrsprachig aufwachsen, das ist viel leichter, als später eine Sprache zu lernen.»
Auf die Frage, wofür sich Robin denn so begeistere, meinte Räikkönen: «Für Motocross. Er mag Autos, aber ich glaube, Bikes sind ihm lieber. Aber noch weiss keiner, wohin die Reise geht. An einem Tag mögen die Kinder dies, am nächsten Tag etwas ganz Anderes, das ändert ständig. Vielleicht setze ich ihn im kommenden Sommer mal in einen Go-Kart. In diesem Alter ist alles nur Spiel. Wenn rennmässig nichts daraus wird, macht das auch nichts.»
Dieses Spiel hat nun begonnen: Auf Instagram haben Minttu und Kimi Räikkönen in der Formel-1-Sommerpause den ersten Kart-Ausflug von Robin dokumentiert. Zu sehen ist der Papa bei der Instruktion am Kart und später entlang der Piste, zu sehen ist auch Robin im Helm, mit der Bildlegende «Aceman begins», ein Wortspiel mit Kimis Spitzname «Iceman».
Räikkönen sinnierte auch über die Lieblingsautos seiner Formel-1-Karriere: «Sie sind alle sehr unterschiedlich, deshalb ist ein Vergleich schwierig. Die besten Autos, die ich hatte, waren sicherlich der 2005er McLaren und der 2007er Ferrari, das waren richtig gute Renner, deshalb würde ich wohl einen von diesen beiden wählen. Mit dem Ferrari habe ich den Titel geholt, das macht es vielleicht noch spezieller.»
Noch vager fiel seine Antwort nach dem besten Gegner seiner bisherigen GP-Karriere aus. Kimi erklärte entspannt: «Es gibt so viele gute Jungs und ich hatte das Glück, gegen Grössen wie Mika Häkkinen und Michael Schumacher antreten zu dürfen. Da waren viele gute Leute dabei.»
Und welchen Ratschlag würde der heutige Kimi seinem jüngeren Selbst geben? «Ich bin mir nicht sicher, ob das nötig ist, denn ich glaube, jeder muss seinen eigenen Weg finden und dann dabei bleiben – auch wenn viele Leute immer wieder versuchen, dich davon abzubringen. Ich habe immer gemacht, was ich wollte, ob das nun richtig oder falsch war, und wenigstens weiss ich dann auch, das ich selbst für die Folgen verantwortlich bin.»
Im Herbst seiner Karriere fühlt sich Räikkönen bei Alfa Romeo-Sauber pudelwohl. «Die Arbeitsatmosphäre ist sehr nett. Es sind nicht so viele Leute wie bei Ferrari oder anderen Teams, manchmal fehlt es dann auch an Personal, aber das ist der Unterschied.»
Ein grosser Pluspunkt: Er steht nicht so im Mittelpunkt wie bei seinem Ex-Team Ferrari. «Es gibt mir mehr Freiheiten, um das zu machen, was ich möchte.»
Er muss nicht mehr die ganze Zeit bei irgendwelchen PR-Veranstaltungen auftauchen. Kimi: «Das ist mir viel wichtiger, als die Leute das vielleicht glauben. Meine Zeit ist für mich unbezahlbar.»
Nur wenige Menschen kennen Kimi besser als Steve Robertson. Zusammen mit seinem Vater David überredete er damals Peter Sauber, den jungen Kimi mal Formel 1 fahren zu lassen, obschon Räikkönen erst Formel-Renault-Fahrer war. Der Rest ist ein Stück Motorsporthistorie. Kimi hat seinen neuen Sauber-Vertrag weitgehend alleine ausgehandelt, Robertson ist aber enger Vertrauter geblieben, der dann einschreitet, wenn Vertragsverhandlungen in die entscheidende Phase kommen.
Steve Robertson sagt: «Kimi will Formel 1 fahren, weil er das liebt. Die meisten Leute gingen davon aus – wenn er nicht mehr Ferrari fahren kann, dann hockt er sich auf eine Yacht und geniesst das Leben. Aber diese Menschen unterschätzen die tiefe Leidenschaft Kimis für den Rennsport. Als klarwurde, dass bei Ferrari kein Platz mehr ist, haben wir uns eine Alternative angeschaut. Sauber kam schnell aufs Tapet. Dort hat sich Vieles verändert. Das Team ist finanziell wieder gesund aufgestellt und wird stärker. Vor mehr als zwei Jahren standen sie kurz vor dem Kollaps, sie hätten sich einen Fahrer wie Kimi nie leisten können.»
Hatte Ferrari zum Alfa Romeo-Sauber-Deal die Weichen gestellt? «Nein», sagt Teamchef Fred Vasseur, «Ferrari war in die Verhandlungen nicht eingebunden. Aber ich glaube, sie sind sehr froh, dass diese Lösung gefunden worden ist. Die Verhandlungen verliefen sehr geradlinig. Wir haben uns zwei Mal getroffen, dann war alles geregelt. Im Grunde lief das so ab. Wir setzten uns auf einen Kaffee zusammen, und ich habe Kimi gefragt: „Was willst du machen?“ Er meinte: „Ich will Rennen fahren.“ Daraufhin sagte ich: „Gut, dann machen wir das gemeinsam.“»
«Ich glaube, Kimi hatte finanziell verlockendere Angebote als unseres. Und es ist für uns finanziell eine grosse Sache, einen Top-Fahrer zu holen. Aber ich glaube, es ist für Kimi eine noch grössere Sache, Sauber zu vertrauen. Das zeigt, wie motiviert er noch immer ist. Er hat sofort die richtigen Fragen gestellt: „Wie weit reicht die Kooperation mit Ferrari?“ Oder: „Mit welchen Technikern würde ich arbeiten?“ Oder: „Wie weit ist die Arbeit am 2019er Auto?“ Er hat sich ganz auf sportliche Fragen konzentriert. Das hat mir Eindruck gemacht. Ich sagte ihm, dass wir uns weiter im Aufbau befänden, dass er aber eine wichtige Rolle für uns spielen würde, nicht nur aufgrund seiner Erfahrung und seines Talents, sondern auch als Signal an Geldgeber. Ich sagte, ich wolle nur mit ihm zusammenarbeiten, wenn er auch wirklich hinter uns stehe. Kimi meint: „Wenn ich etwas als nutzlos erachte, dann mach ich es auch nicht.“»
«Kimi liebt den Rennsport durch und durch. Er wohnt nicht weit vom Werk entfernt und wird viel Zeit bei uns verbringen. Einer der ersten Sätze bei unserem Gespräch war: „Das ist prima, dann kann ich oft bei euch vorbeischauen.“ Ich spürte, wie er in die Arbeit eingebunden werden will. Und dazu stehen bei uns alle Türen offen. Ich sehe ihn auch als Motivator fürs Team. Es war eine grosse Kiste, einen Weltmeister und 20fachen GP-Sieger zu verpflichten. Diese Saison hat bewiesen, dass er nichts von seinen Fähigkeiten eingebüsst hat.»
Steve Robertson ergänzt: «Kimi müsste überhaupt nichts tun. Er hat sich für zwei Jahre verpflichtet, weil er glaubt, dass er den Rennstall nach vorne bringen kann. Ich glaube, das würde ihn stolz machen. Er weiss, dass er in aller Wahrscheinlichkeit keine Siegchance haben wird, ausser, wir erleben einen komplett verrückten Grand Prix. Aber er kann in Sache Entwicklung viel bieten. Seine Erfahrung bei der Entwicklung war ein wichtiger Grund, warum ihm Ferrari so viele Jahre die Stange gehalten hat.»
Fred Vasseur sagt: «Auch in Sachen Marketing ist Kimi eine andere Hausnummer. Wir haben 2019 nur drei Weltmeister am Start haben, Sebastian Vettel, Lewis Hamilton – und Kimi. Wir haben bereits Angebote von Geldgebern erhalten. Das hätte ich in diesem Ausmass nicht erwartet.»
«Kimi kann hier unter weniger Druck fahren als bei Ferrari. Er kann das Rennfahren geniessen. Das heisst nicht, dass wir die Zügel schleifen lassen. Aber er hat mehr Zeit für die technische Seite des Jobs und für die Beziehung mit seinen Ingenieuren als bei Ferrari.»
«Die Reaktion im Sauber-Werk auf seine Verpflichtung war enorm. Ich stand eben im Design-Büro, als die E-mail mit der Bestätigung an die Mitarbeiter ging, und die Leute sagten – wow! Kimi Räikkönen erleichtert es uns auch, neue Leute zu finden. Es ist nicht leicht, ausländische Fachkräfte vom Arbeitsplatz Schweiz zu überzeugen. Die Zusammenarbeit mit Alfa Romeo hat schon einiges geändert. Auf einmal erhielen wir viel mehr Bewerbungen. Das Gleiche passierte nach Kimis Verpflichtung. Die Leute sagten sich: „Wenn Kimi Räikkönen Vertrauen zu Sauber hat, dann kann ich das auch haben.“»
Wie lange wird Kimi Räikkönen noch fahren?
Der «Iceman» antwortet: «So lange ich Spass habe, mache ich weiter. So lange ich den Eindruck habe, dass ich konkurrenzfähig bin, so lange die Freude am Rennsport den Unsinn des ganzen Drumherums überwiegt, so lange bleibe ich auch. Aber an die Anzahl Rennen oder an Rekorde denke ich nicht. Das bedeutet mir vielleicht etwas, wenn ich meine Karriere abgeschlossen habe und zurückblicke.»