Formel 1: So geht es mit Sergio Perez weiter

Marc Surer analysiert: Wer siegt, verliert und träumt

Von Mathias Brunner
​Wir stehen ganz am Anfang der Formel-1-Saison 2020, der erste Wintertesttag läuft. Ex-GP-Marc Surer (68) sagt, worauf wir uns einstellen dürfen – an der Spitze, im Mittelfeld und am Tabellenende.

Der Schweizer Marc Surer hat in der Formel 1 so gut wie alles gesehen, als Fahrer und als TV-Experte. Der Basler lässt sich so schnell nicht täuschen, aber basierend auf einem stabilen Reglement weiss der Formel-2-Champion von 1979, was auf die Grand-Prix-Fans zukommt.

Marc, natürlich lässt sich nach so kurzer Zeit hier bei den Wintertests in Spanien wenig herauslesen. Aber welches sind deine Eindrücke nach den Präsentationen der 2020er Autos?

Die Autos gleichen sich mehr und mehr. Ein gutes Beispiel sind die nach aussen abfallenden Frontflügel, selbst bei Mercedes, die vorher ein ganz anderes Konzept hatten. Red Bull Racing-Honda geht da eigene Wege. Der Rest orientiert sich an Ferrari, obschon es 2019 den Anschein machte, als bewähre sich diese Vorgehensweise nur auf bestimmten Strecken. Dennoch gehen die meisten Teams jetzt diesen Weg.

Die Autos sind alle kompakter geworden, das war abzusehen, weil dies den Aerodynamikern mehr Spielraum schenkt. Was bei den Motorverkleidungen auffällt: Bei einigen sind die Seitenkästen gegen unten ausgeschnitten, also stark tailliert. Andere verzichten auf diesen Kniff. Letztlich zielen alle darauf, den Diffusor, also das aufsteigende Ende des Bodens, ideal anzuströmen. Ich fürchte: Bei einigen ist die Verkleidung so extrem, dass Kühlprobleme programmiert sind.

Die Erfahrung zeigt: Wir sind hier bei moderaten Temperaturen in Spanien, aber in Australien oder Bahrain wird es doppelt so warm sein.

Genau, dann werden wir sehen: Ein Auto, das bei den Tests gut funktioniert hat, stösst in Melbourne oder Sakhir an gewisse Grenzen, dann müssen mehr Kühlöffnungen geschaffen werden, und das schadet wiederum der Aerodynamik. Ein cleveres Team hat Lösungen bereit, um darauf reagieren zu können. Bei Mercedes jedenfalls war zu hören, dass sie ihren Motor bei höheren Temperaturen fahren lassen können – das halte ich bei den Triebwerksherstellern für eine Tendenz. Daran haben Renault, Honda und Ferrari sich auch gearbeitet.

Siehst du bei den drei Top-Teams Mercedes, Ferrari und Red Bull Racing-Honda einen Mehrkampf auf Augenhöhe?

Ich hoffe es sehr! Ferrari ist für mich ein Fragezeichen. Sie haben das Auto mehr angestellt, ich hoffe, dieser Schuss geht nicht nach hinten los. Denn gerade bei stabilem Reglement solltest du eigentlich auf Bewährtem aufbauen, sonst wird das gefährlich. Bei Red Bull Racing-Honda habe ich ein gutes Gefühl. Die Japaner haben im Winter nochmals zugelegt, wie ich höre, aber ein weiterer Schritt muss auch von RBR kommen. Deren Chassis hat 2019 auch nicht auf allen Pisten ideal gearbeitet. Zur Spitze fehlt nicht viel.

Wenn wir uns die Fahrerpaarungen der Top-Teams ansehen, wie siehst du da die Rollenverteilung?

Bei Mercedes und Red Bull Racing-Honda ist das klar, mit Hamilton und Verstappen als Team-Leader. Bei Ferrari wird sich zeigen, auf welchen Piloten das Auto besser passt. Sebastian Vettel hat an einigen GP-Wochenenden richtig alt ausgesehen, und das liegt zum Teil daran, dass Lecler mit dem 2019er Ferrari besser zurechtkam. Jeder Fahrer hat sein Lieblings-Handling. Der eine Fahrer spürt den Wagen über die Vorderachse besser, ein anderer über die Hinterachse, als grober Unterschied. Ich habe das damals als Teamgefährte von Nelson Piquet selber erlebt – ich konnte mit dem Handling des Brabham kaum leben. Ich frage mich, wer über Winter mehr Einfluss auf die Entwicklung hatte bei Ferrari. Wenn das Gefühl mehr über die Hinterachse kommt, dann würde das Vettel helfen. Noch ist nicht klar, wo da die Reise hingeht.

Das halbe Startfeld will am vorderen Ende des Mittelfelds herumgeigen. Wen siehst du hier vorne?

Eigentlich müsste sich Haas verbessern, denn schlechter als 2019 geht es fast nicht. Jetzt haben sie den vorjährigen Ferrari kopiert, das ist sicher keine dumme Idee. Bei Renault sind sehr viele neue Leute gekommen, aber ob sich dies auf die Schnelle auswirkt, ist etwas Anderes. McLaren hatte sich auf Rang 4 eingenistet, das ist eine gute Ausgangslage für 2020. Racing Point hat 2019 enttäuscht, da erwarte ich einen markanten Schritt nach vorne. Alfa Romeo-Sauber hat oft die Reifen nicht verstanden. Da frage ich mich: Profitieren sie davon, wenn wir in diesem Jahr mit den gleichen Walzen fahren, oder ist das eher von Nachteil, weil sie vielleicht doch nicht alles begriffen haben? AlphaTauri wird von Red Bull Racing und Honda profitieren. Alles in allem glaube ich nicht an eine Ablösung hinter den Top-Teams, geschweige denn daran, dass ein Rennstall Mercedes, Ferrari und Red Bull Racing-Honda echt fordert. Ich glaube vielmehr, dass je nach Pistentyp ein anderes Team vierte Kraft sein könnte.

Kommt Williams vom Tabellenschluss weg?

Wie denn? Sie haben 2019 ein Auto gehabt, das mindestens zwei Sekunden langsamer war als die Gegner im Mittelfeld. Und nun haben sie einen Wagen gebaut, der eine Evolution des Vorjahresfahrzeugs ist. Wie sollen sie damit vom Tabellenende wegkommen? Nein, für mich ist die letzte Startreihe gegeben, allerdings erwarte ich, dass sie näher ans Mittelfeld heranrücken.

Was viele Leser nicht verstehen: Wir haben hier Testfahrten, und alle versuchen, ein ungefähres Bild des Kräfteverhältnisses zu erhalten, und dann kommen wir nach Australien und alles ist anders. Wieso?

Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Zunächst haben wir mal die klimatischen Bedingungen. Wir sind hier in Barcelona, am Nachmittag bei milden 17 Grad. Dann reisen wir nach Australien und Bahrain, und dort sind Temperaturen um 35 Grad nicht unmöglich. Der Ferrari hat vor einem Jahr hier perfekt gepasst, in Melbourne fuhren die Italiener hinterher. Das liegt vorrangig an den verschiedenen Pistenoberflächen – hier in Katalonien haben wir einen sehr rauen Asphalt, es ist nicht schwierig, Temperatur in die Walzen zu bekommen, zumal wir hier auch langgezogene, schnelle Kurven haben. In Australien haben wir solche Bögen nicht, und der Asphalt im Albert-Park ist sehr glatt. Das sind komplett andere Verhältnisse.

Ein weiterer Punkt: Oft bringen Rennställe sehr viele Evo-Teile zum Saisonstart, die das Kräfteverhältnis ebenfalls verändern. Ein Top-Team beobachtet sehr genau, was die Konkurrenz macht. Wenn die Techniker von Mercedes, Ferrari und Red Bull Racing-Honda hier pfiffige Lösungen sehen, dann haben sie die ratz-fatz im eigenen Windkanal, und nur die besten Rennställe mit üppigen Ressourcen haben die Möglichkeit, solche Teile dann in wenigen Wochen schon am Wagen zu haben. Mercedes hatte in Australien fast ein neues Auto.

Aber beteuern die Teams nicht, Evo-Teile seien viel länger in Arbeit?

Das stimmt nur teilweise. Und Evolutionen gehen ja nicht nur darauf zurück, was die Gegner machen. Ein Rennstall entwirft und baut sein Auto. Wenn eine gewisse erste Spezifikation festgelegt wird, dann geht die Arbeit mit Flussdynamikberechnung und Windkanal weiter, das ist ein ständiger Prozess. Natürlich werden ständig Optimierungen gefunden, und die kommen laufend ans Auto. Evo-Teile sind immer eine Mischung: Fünfzig Prozent eigene Entwicklungen, fünfzig Prozent Inspiration durch gegnerische Autos.


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