Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

Esteban Ocon, Max Verstappen: Frieden auf Probezeit

Von Mathias Brunner
​Die schwelende Rivalität zwischen Max Verstappen und Esteban Ocon eskalierte in Brasilien 2018 mit einer Schubserei. Jetzt reichten sich die Hitzköpfe von Red Bull Racing-Honda und Renault die Hand.

Bevor sich die Formel-1-Fahrer hier in Barcelona zum Gruppenfoto 2020 aufstellten, gab es eine kurze Szene, von den meisten unbeobachtet: Esteban Ocon reichte Max Verstappen die Hand. Der Niederländer nahm sie an. Renault-Pilot Ocon: «Was damals in Brasilien passiert ist, das ist Vergangenheit. Als professionelle Rennfahrer müssen wir so etwas beim nächsten Mal anders machen. Zwischen uns gab es Spannungen, weil wir jahrelang in verschiedenen Rennserien gegeneinander angetreten sind. Aber wichtig war immer, dass der Respekt füreinander geblieben ist.» Wie lange der Friede hält, werden wir erleben, wenn sich die beiden 2020 in einer Rennsituation begegnen.

Was im Kartsport begann und sich in der Formel 3 fortsetzte, eskalierte in Brasilien 2018 und wurde zum gefundenen Fressen für die Medien. Es passiert schliesslich im modernen Rennsport nicht mehr so oft, dass sich zwei Piloten nach einem Formel-1-WM-Lauf an die Wäsche gehen. In Interlagos waren Ocon und Verstappen kollidiert, als sich der französische Fahrer (damals im Force India) zurückrunden wollte. Verstappen kostete das den Sieg.

Nach seiner Fahrt zu Rang 2 hinter Lewis Hamilton wurde Ocon von Max zur Rede gestellt, als der eher hämisch reagierte, brannten bei Verstappen ein paar Sicherungen durch, und er schubste seinen Widersacher etwas in der Gegend herum. Pippifax, meinten die meisten Formel-1-Fans danach, andere hingegen fanden – anfassen, das geht gar nicht. Dieser Meinung war auch der Autoverband, der Max für sein Verhalten zwei Tage gemeinnütziger Arbeit in Diensten der FIA aufbrummte.

Max über die Szenen nach dem Rennen: «Ich wollte eine Entschuldigung hören, erhielt aber eine ganz andere Antwort.» Um genau zu sein, kam vom Franzosen hämisches Grinsen. Das reichte, um die Dynamitstange Verstappen zum Explodieren zu bringen. Max: «Wir sind keine Roboter, wir sind alle Menschen mit Emotionen. Ich hatte eben den sicher scheinenden Sieg verloren. Wenn ich so daran denke, habe ich eigentlich recht ruhig reagiert. Das hätte viel schlimmer werden können. Zudem wissen die meisten Menschen nicht, wie es sich anfühlt, einen Rennwagen zu fahren und einen Sieg zu verlieren.»

«Ich habt nicht gehört, was dort gesagt wurde. Ihr habt nur mich schubsen sehen. Wenn ihr die ganze Unterhaltung kennen würdet, dann wäre das alles anders.» Auf die Frage, was Ocon denn gesagt habe, meint Max: «Es spielt jetzt keine Rolle mehr. Es machte mich stinksauer, statt mich zu besänftigen. Wir haben eben alle Adrenalin im Körper.»

«Und das Schubsen? Das passiert doch in jedem Sport. Im Fussball sehen wir das ständig, also alles in allem war meine Reaktion eher gemässigt. Ich meine: Was erwarten die Leute denn von mir? Dass ich seine Hand schüttle und mich dafür bedanke, dass ich nur Zweiter geworden bin?»

Erst Wochen später verriet Verstappen, was genau Ocon gesagt hatte. In der Rotterdamer Tageszeitung «Algemeen Dagblad» (AD) sagte er: «Ich wollte von ihm wissen, warum er das getan hatte. Er lachte mir ins Gesicht. Ich fand das eine unangemessene Reaktion, immerhin hatte ich wegen ihm den Sieg verloren. Als ich ihn fassungslos anschubste, begann er zu kreischen: ‘Holt eine Kamera!’ und ‘Schubs mich doch! Schubs mich doch!’ Ich fand, es gibt keinen Grund, mich zurückzuhalten, und die Kameras waren mir schnuppe.»

Heikle Schuldfrage

Es ist einfach zu behaupten, Esteban Ocon habe sich damals in Brasilien wie ein Tölpel benommen und Max Verstappen wie ein wilder Stier. Recht und Unrecht sind bei einer Kollision zweier Rennwagen nicht immer eindeutig zu verteilen.

Sky-GP-Experte Martin Brundle: «Ocon war zu diesem Zeitpunkt auf frischen, superweichen Pirelli unterwegs, dazu war er dank Mercedes-Power auf der Geraden schnell genug, um sich zu entrunden. Nichts im Reglement verbietet ihm das. Verstappen hielt zum gleichen Zeitpunkt scheinbar mühelos Distanz zu Lewis Hamilton.»

«Vielleicht hätte ein erfahrener Champion Ocon einfach vorbeigehen lassen; wozu ihn aufhalten? Sollten Estebans neue Reifen später abbauen und Max wieder auf ihn auflaufen, hätte Ocon ohnehin blaue Flaggen gezeigt bekommen. Aber wird dürfen in dieser Situation nicht vergessen: Verstappen und Ocon haben aus früheren Situationen in Nachwuchsklassen einige Hühnchen zu rupfen, und Max scheint noch nicht verinnerlicht zu haben, sich die richtigen Kämpfe auszusuchen.»

«In Kurve 1 hatte Ocon kurz die Nase vor. Aber Max ging mit mehr Schwung in die erste Links und lag im Vorteil, dann bog er nach rechts ein, ohne Zweifel im Glauben, dass Esteban seine Attacke abgebrochen habe. Hatte Ocon aber nicht. Der Force-India-Fahrer lag im toten Winkel von Max, Verstappen konnte ihn unmöglich sehen.»

«Ocon ging nun der Raum aus, in einem letzten verzweifelten Versuch wollte er sich im Scheitelpunkt neben Verstappen setzen. Das war aussichtslos und unnötig. Wäre es um die Führung gegangen, so kämen wir zum Schluss: Max hätte ein wenig mehr Raum lassen sollen, aber Esteban lag hinten, muss das also mehrheitlich auf seine Kappe nehmen. Alles in allem ein Rennzwischenfall.»

«Wir haben jedoch das ungeschriebene Gesetz, wonach der Führende ein gewisses Vorfahrtsrecht besitzt, und ich kann Max Verstappen gut verstehen, wenn er sagt, er habe nicht mit einer Attacke von Ocon gerechnet. Die Strafe für den Franzosen, eine 10-Sekunden-Stop-and-go, geht für mich in Ordnung.»

«Im Motorsport geht es nicht immer darum, wenn du triffst, sondern auch darum, wem du aus dem Weg gehen solltest. Ich kann mir gut vorstellen, dass Max in einer vergleichbaren Situation in Zukunft mehr Raum lässt.»

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