Luca Montezemolo: Niki Lauda und das Scheissauto
Auch der Italiener Luca Cordero di Montezemolo denkt in diesen Tagen häufiger als sonst an Niki Lauda. Auf den Tag genau vor einem Jahr ist Niki Lauda verstorben, am 20. Mai 2019. Der 72jährige Montezemolo: «Das war ein trauriger Tag für alle Ferraristi. Wir waren fünfzig Jahre lang befreundet, wir haben einige der schönsten Momente unseres Lebens geteilt. Wir haben gemeinsam viele Rennen gewonnen, zwei WM-Titel obendrein, einen dritten haben wir nur knapp verpasst.»
«Niki Lauda war eine unverwechselbare Persönlichkeit, mit einer überdurchschnittlichen Rennintelligenz gesegnet, er wusste genau, wann er in einem Grand Prix attackieren und wann er sein Auto schonen musste. Ein gutes Verhältnis mit den Technikern und den Mechanikern war ihm ganz wichtig, nur so konnte er den Rennwagen in allen Feinheiten verbessern.»
«Er war auch ein Mann, der immer die Wahrheit gesagt hat. Einmal hat er unseren Wagen als Scheissauto bezeichnet, das hat mich damals sehr wütend gemacht, aber im Grunde hatte er Recht.»
«Seine Feinfühligkeit fürs Auto war sagenhaft. Einmal wollte ich ihm einen Streich spielen. Wir haben am Auto bei einem Test in Fiorano nur eine Winzigkeit verändert, Niki ging für eine Runde auf die Bahn und kehrte sofort zurück und fragte entgeistert: ‚Was habt ihr mit diesem Auto gemacht?’ Er merkte alles.»
«Wer ausser ihm hätte wenige Wochen nach seinem Feuerunfall auf dem Nürburgring den Mumm gehabt, in Monza wieder ins Rennauto zu steigen? Als er seinen Helm abnahm, hatten die Wunden wieder zu bluten begonnen. Es hat ihm nie auch nur das Geringste ausgemacht, die Narben seines Unfalls im Gesicht zu tragen.»
«Niki Lauda war loyal, von unbeugsamem Charakter. Als er mich 1977 anrief, um mir mitzuteilen, dass er Ferrari verlassen werde, war ich sehr niedergeschlagen, er musste mich aufmuntern. Unserer Freundschaft hat die Trennung von Ferrari nie geschadet. Auch wenn wir später auf verschiedenen Seiten standen, ich bei Ferrari, er bei Mercedes.»
Montezemolo, Rennleiter von Ferrari 1974 mit dem Duo Niki Lauda und Clay Regazzoni, von 1991 bis 2014 Ferrari-Präsident, muss schmunzeln, wenn er der italienischen Sky erzählt: «Ich erinnere mich an das Rennen von Zandvoort 1975. Da wurde ich in der Boxengasse vom Wagen von Ronnie Peterson berührt und umgeworfen. Nach dem Rennen kam der Schwede zu mir, ich sass hinter er Box, ich hatte mir Brüche an der Schulter, am Ellbogen und am Bein zugezogen. Ronnie war ausser sich. Dann kam Niki und sagte: ‘Du bist ein Riesen-Rindvieh. Nach Hälfte des Rennens habe ich dich an der Boxenmauer nicht mehr gesehen, da war kein Signal, nichts, ich war verlassen!’ Ich war so sprachlos, dass ich nichts zu antworten wusste. Aber das war eben Niki.»
Niki Lauda verpasste seinen zweiten Titel 1976 wegen seines Unfalls auf der Nordschleife und weil er den Mut hatte, im Regen von Fuji zu sagen – das ist zu gefährlich. Montezemolo: «Die grössten Qualitäten von Lauda als Rennfahrer und Person waren Courage, Redlichkeit, Direktheit, Klarheit, das hat ihn zu einem Champion gemacht.»
«Das Rennen von Monza 1975 werde ich nie vergessen – Regazzoni gewann, Lauda sicherte Ferrari den ersten Fahrer-WM-Titel seit 1964. Ich habe damals nach dem Grand Prix aus Monza Enzo Ferrari angerufen, und er hat am Telefon geweint. Niki sollte nach dem Sicherstellen des Titels vor irgendeine TV-Kamera gezerrt werden, für eine Live-Schaltung, aber er hat nur gesagt: ‘Nein, das mach ich nicht, ich will hier bei Luca und den Mechanikern bleiben und mit ihnen feiern.’ Auch das war Niki Lauda.»
«Jahrelang haben wir am Montag oder am Dienstag nach einem Rennen miteinander telefoniert, um über den Grand Prix vom vergangen Sonntag zu tratschen. Seine Analysen waren immer glasklar, manchmal erbarmungslos. Er fehlt mir wahnsinnig.»