Mercedes vor Zandvoort-GP: Schritt ins Unbekannte
Zandvoort 1985: Hier Keke Rosberg im Williams vor Ayrton Senna im Lotus
Die Formel 1 kehrt nach Zandvoort zurück, letztmals fand hier 1985 ein WM-Lauf statt. Ergebnis: Keiner der zehn Rennställe hat aktuelle Daten von der Piste, aus dem heutigen Feld waren damals nur Ferrari, Williams und McLaren am Start.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff findet: «Zandvoort ist eine aufregende Strecke für die Fahrer, die sehr schnell und flüssig ist. Es ist noch ein Kurs der alten Schule und ich bin mir sicher, dass sich die Fahrer auf diese Herausforderung freuen. Als Team reizt uns die Aufgabe, eine neue Strecke in Angriff zu nehmen, denn sie ist für alle neu und dadurch ergeben sich Chancen.»
Aber wie bereitet sich ein Top-Team wie Mercedes auf diesen Schritt ins Unbekannte vor? Mercedes erlaubt einen Blick hinter die Kulissen.
Einer der wichtigsten Bereiche im Vorbereitungsprozess sind die Computersimulationen, in denen ein Fahrzeugmodell mit einem virtuellen Fahrer gepaart wird, um tausende Computerrunden auf der Ideallinie einer Strecke zu absolvieren – all das findet in topmodernen Simulations-Anlagen statt. Dabei sammeln sich etliche Terrabyte von Daten an. Das Team erhält ein breites Spektrum an Setup-Optionen.
Zudem setzt die Strategieabteilung Computersimulationen ein, um Strategie-Optionen für das Qualifying und das Rennen festzulegen. Diese Modelle beinhalten alle Fahrer und Teams, Annahmen für die Boxenstopp-Szenarien, Zeitverluste bei den Stopps, den Reifenabbau und die Wettbewerbsfähigkeit der Autos. Mit diesen Daten berechnet Mercedes in Computersimulationen eine Vielzahl von Szenarien, um festzulegen, welche Reifen eingesetzt werden sollen, in welcher Runde die Fahrer an die Box kommen und Vieles mehr.
Während die Simulations-Tools auf den Computer laufen, nutzt Mercedes parallel dazu den so genannten Driver-in-Loop (DiL) Simulator. Hier kommt ein virtuelles Umfeld zum Einsatz, in dem ausgeklügelte Fahrzeug- und Streckenmodelle Verwendung finden. Mit einem entscheidenden Unterschied: Der virtuelle Fahrer wird hier durch einen echten ersetzt. Die Fahrer spulen hunderte von Runden im Simulator ab, testen verschiedene Setups und erlangen so ein besseres Gefühl dafür, was auf dieser Strecke funktioniert und was nicht.
Wie unterscheidet sich die Vorbereitung bei einer neuen oder unbekannten Strecke? Die Vorbereitungsphase ist zum Großteil «business as usual», mit den üblichen Abläufen und Arbeiten vor einem Rennwochenende. Aber es gibt ein paar Unterschiede, die man bedenken muss und die dafür sorgen, dass die Vorbereitungszeiträume länger ausfallen. Der DiL und die Simulations-Tools, die in der Formel 1 verwendet werden, nutzen ein extrem komplexes und beeindruckendes Streckenmodell, das Bodenwellen, die Form der Randsteine und die Kurvensteigungen berücksichtigt. Je mehr Details, desto besser!
Bei neuen Strecken liegen diese detaillierten Streckenmodelle noch nicht vor, um sie in unseren Simulationen einzusetzen. Die FIA stellt den Teams CAD-Zeichnungen und High-Tech Lidar-Daten (dafür wird die Strecke per Laser gescannt) zur Verfügung, auf deren Basis 3D-Karten der Strecke erstellt werden. Um eine neue Streckenkarte anzulegen, ist viel Arbeit nötig, da sie unheimlich detailliert sein muss.
Wenn Mercedes auf einer Strecke schon gefahren ist, absolviert das Team normalerweise ein Zweitagesprogramm vor dem Event. In diesem Zuge werden grob acht Renndistanzen durchgespielt. Bei einem neuen Rennen kommen zwei weitere Tage hinzu, sowie ein weiterer Tag mit den Einsatzfahrern, damit sie sich mit dem Streckenverlauf vertraut machen können.
Zandvoort gehört zu den eher ungewöhnlichen Strecken. Die Strecke ist schnell, flüssig und vermittelt ein Gefühl der alten Schule. Es gibt eine Vielfalt an unterschiedlichen Kurvengeschwindigkeiten, die viele Aspekte der Fahrzeugperformance auf die Probe stellen und die Fahrer vor schwierige Herausforderungen stellen. Es gibt auch Höhenunterschiede, die dazu führen, dass es zwischen den Dünen auf und ab geht, wie auf einer Achterbahn, ähnlich wie in Portimão.
Eine der markantesten Stellen in Zandvoort sind die beiden superschnellen, steilen Kurven 13 und 14. Die Steilkurve besitzt einen Winkel von 18 Grad und belastet die Reifen in diesem Abschnitt zusätzlich, was sich auf die Haltbarkeit und die Lebensdauer der verschiedenen Reifenmischungen auswirken wird. Auch das Wetter kann in Zandvoort sehr wechselhaft sein und eine echte Herausforderung darstellen, was potenziell zu Reifenproblemen wie Graining oder Blasenbildung führen könnte. Angesichts der Steilkurve, den High-Speed-Kurven und den Höhenunterschieden ist es keine Überraschung, dass Pirelli die härtesten Reifen in seinem Portfolio ausgewählt hat.
Die Steilkurve, doppelt so steil wie jene auf dem Indianapolis Motor Speedway, wird definitiv eine Herausforderung für die Autos und die Reifen und sie starken Belastungen aussetzen. Für die Fahrer sollte sie aber relativ einfach zu fahren sein.
Es ist jedoch entscheidend, diesen Streckenabschnitt richtig hinzubekommen, da darauf die lange Zielgerade folgt, an deren Ende mit Kurve 1 eine der wenigen Überholmöglichkeiten wartet. Die 180-Grad-Kurve besitzt ein ähnliches Profil wie die erste Kurve auf dem Hungaroring. Dadurch sollte sie eine gute Chance auf ein Überholmanöver und verschiedene Linien bieten.
Die überhöhte Kurve 3 wird ebenfalls eine Herausforderung. Auf sie folgt eine lange, schnelle Passage durch die folgenden Kurven. Hier wird es vor allem auf die Traktion ankommen, um durch die Vollgaspassage Zeit gutzumachen.
Eine weitere mögliche Überholstelle sind die engen und winkligen Kurven 11 und 12. Wer hier gut herauskommt, erhält entweder die Möglichkeit auf eine starke Linie durch die Steilkurve oder kommt nahe genug an den Vordermann heran, um ihm durch die letzten beiden Kurven zu folgen und dann am Ende der Zielgeraden einen Angriff zu setzen.