Drama um Schumi: Wer muss mit einer Klage rechnen?
Das Skigebiet, in welchem Michael Schumacher schwer stürzte
Nach der Stellungnahme von Staatsanwalt Patrick Quincy (62) drängen sich zum schlimmen Skiunfall von Michael Schumacher viele rechtliche Fragen auf. Im Mittelpunkt steht dabei eine mögliche Klage gegen den Pistenbetreiber des Skigebiets von Méribel.
Der Grenobler Anwalt Edouard Bourgin ist davon überzeugt, dass die Betreiber des Skigebiets in den französischen Alpen verklagt werden könnten. Gegenüber «Le Figaro» hielt Bourgin fest: «Nach einer im Jahre 2001 festgelegten Norm, was den Standard zur Pistenkennzeichnung betrifft, hätte der Betreiber diese Stelle abseits der regulären Piste besser kennzeichnen sollen, beispielsweise mit einem Seil oder einem Netz oder entsprechenden Warnschildern. Auf Bildern ist jedoch davon nichts zu sehen. Also gehe ich davon aus – diese Abgrenzung von normaler Piste zu gefährlicher Stelle ist unzureichend und entspricht nicht den Vorschriften.»
Aber Staatsanwalt Patrick Quincy widersprach bei der Pressekonferenz von heute 11 Uhr in Albertville. «Natürlich werden hier Haftungsfragen angeschnitten, aber es ist noch zu früh zu sagen, wohin das führen wird. Eine Strafverfolgung wird es nur dann geben, wenn Nachlässigkeiten oder Fahrlässigkeiten der Skipisten-Betreiber vorliegen. Davon kann bislang keine Rede sein. Es gibt in Frankreich Normen für die Markierung von Pisten und die Warnhinweise. Diese Normen wurden alle eingehalten, in Form von roten Stangen entlang der Piste.»
Waren Skier und Helm tadellos?
Natürlich kam auch die Frage auf, ob vielleicht ein Materialdefekt zum Unfall und zu den schlimmen Folgen für Michael Schumacher führte.
Kommandant Stéphane Bozon (Kommandant der Gebirgsgendarmerie Savoyen), einer der Ermittler im Team von Patrick Quincy, schliesst die Skier jedoch als Unfallursache aus: «Die Skier waren in perfektem Zustand, quasi neu. Die Skier sind damit für uns nach heutigem Ermittlungsstand nicht die Ursache für den Unfall. Wir haben allerdings Spuren entdeckt, die beweisen, dass die Skier über einen Felsen geschliffen sind.»
Die Frage tauchte auch auf, ob Michael Schumachers Helm ihn genügend geschützt hat. Bei der Pressekonferenz in Albertville wurde bestätigt, dass der Kopfschutz beim Aufprall in verschiedene Teile zerbrochen ist. Das Ärzteteam von Michael Schumacher hatte zu einem früheren Zeitpunkt bereits festgehalten: Ohne Helm hätte der Unfall tödlich geendet.
Staatsanwalt Quincy: «Man darf hier das Fahrtempo und den Zustand des Helms nicht durcheinander bringen. Einerseits gibt es die Äusserungen der Ärzte, die von starker Bewegungsenergie sprechen. Das muss aber nicht bedeuten, dass das Fahrtempo hoch war. Derzeit wird der gut zwei Minuten lange Film aus Schumachers Helmkamera genau ausgewertet, aber die Geschwindigkeit ist im Rahmen unserer Ermittlung kein zentrales Thema.»
Schumi: Tempo nicht überhöht
Benoit Vinnemann, der Leiter der Untersuchungsabteilung, ergänzt: «Michael Schumacher bewegte sich mit der normalen Geschwindigkeit eines erfahrenen Skifahrers, angepasst dem Gelände.»
Kommandant Stéphane Bozon bestätigt: «Wir können nicht feststellen, dass Michael Schumacher mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen ist. Die Bilder zeigen, dass er mit kleinen Schwüngen unterwegs war, das Gefälle ist gering.»
Schumi eilte jemandem zu Hilfe – ein Märchen
In Albertville ist auch das Gerücht entkräftet worden, wonach Michael Schumacher einem anderen Skiläufer zu Hilfe eilen wollte. Patrick Quincy: «Der Film zeigt – in Bild und Ton – keineswegs, dass Herr Schumacher jemandem zu Hilfe geeilt wäre. Wir sehen keine anderen Personen. Wir sehen nur die Aufnahmen eines einzelnen Menschen und seinen Unfall.»
Untersuchung dauert möglicherweise noch Wochen
Patrick Quincy: «Erst gegen Ende der Untersuchung, wenn alle Fakten vorliegen, können wir auf Haftungsfragen vertieft eingehen. Dazu müssen wir die Gutachten abwarten. Ich habe kein Zeitlimit dafür festgesetzt; die Ermittler sollen so viel Zeit erhalten, wie sie eben brauchen.»
Spezialist für Strafrecht
Offenbar sind sich die Betreiber des (nach eigenen Angaben) grössten Skigebiets der Welt (mit 600 Pistenkilometer und 80 Liften) ihrer Lage aber nicht allzu sicher – selbst wenn die Ermittler bislang von Pistenmarkierungen sprechen, die alle Normen erfüllen.
Aus diesem Grund haben die Pistenbetreiber Maurice Bodecher engagiert, einen Spezialisten für Strafrecht, der sich beim Thema Ski bestens auskennt. Bodecher arbeitete bis ins Jahr 2010 als leitender Jurist im französischen Skiverband.
Michael Schumacher ist durchaus nicht der einzige Ski- oder Snowboard-Fahrer, der am Fusse des Bergs Saulire von der einen Piste auf die andere kreuzt. Vor Ort ist immer wieder zu sehen, wie Wintersportler dort zwischen den Felsen hindurchfahren.
Frage eines Journalisten: Handelte Michael Schumacher beim Kreuzen von der einen auf die andere Skipiste unveranwortlich?
Staatsanwalt Patrick Quincy: «Dazu kann ich derzeit keine Antwort geben.»