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Jo Leberer, warum fasziniert Ayrton Senna bis heute?

Von Mathias Brunner
Im Gespräch mit jenem Mann, der Sennas Sarg von Europa zurück nach Brasilien begleitete: Jo Leberer spricht über den Ausnahme-Racer und einen aussergewöhnlichen Menschen.

Jo Leberer, Formel-1-Urgestein, seit 1988 in der Branche, heute in Diensten von Sauber und dort für das physische und manchmal auch psychische Wohl der Fahrer Esteban Gutiérrez und Adrian Sutil zuständig. Vor allem jedoch war Jo Leberer einer der wenigen engen Vertrauten des grossen Ayrton Senna.

Jo, wie hat die Zusammenarbeit mit Ayrton begonnen?

Das erste gemeinsame Rennen war 1988 der Brasilien-GP in Rio de Janeiro. Zu meinem Job in der Formel 1 kam ich über Professor Willy Dungl, der in den 70er Jahren Niki Lauda betreut hatte und das auch fortsetzte, als Lauda seine zweite Formel-1-Karriere bei McLaren begann. McLaren-Teamchef Ron Dennis sprach Dungl dann an, er wolle einen Betreuer für seine beiden Fahrer, ob er, Dungl, da vielleicht jemanden wüsste. Willy, in dessen Reha-Klinik ich damals tätig war, hat dann mich vorgeschlagen.

Im Grunde war es also ein Zufall. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wenn du so willst. Willy sagte mir: «Du bist prima geeignet, du hast in Sachen Betreuung alles drauf, du bist kommunikativ, das ist dein Job.» Und schon sass ich im Flieger Richtung Brasilien! Ich selber fragte mich eher: Pack ich das wirklich?

Du hast dann nach einer gewissen Zeit exklusiv mit Ayrton Senna gearbeitet. Was hat ihn für dich von anderen Piloten abgehoben?

Alle in der Formel 1 arbeiten sehr erfolgsorientiert und zielstrebig, und Senna war das beste Beispiel dafür. Er war extrem fordernd, aber er gab auch enorm viel. Er hatte eine unfassbar tolle Einstellung – willensstark, hingebungsvoll, positiv, kämpferisch, unglaublich diszipliniert, detailtreu, leidenschaftlich, natürlich auch kompromisslos. Was viele jedoch erst im Laufe der Zeit kennenlernten, das war eine extreme Menschlichkeit, eine tiefe Wärme.

Wie war Senna damals körperlich beieinander?

Zu Beginn war er vielleicht körperlich nicht der am besten vorbereitete Fahrer. Prost war fitter. Dafür war Ayrton schon damals von der mentalen Seite her der Massstab. Senna hat dann sehr bald begriffen, dass er eine weitere Stufe erklimmen kann, wenn er mehr an sich arbeitet und hat dies mit der ihm eigenen Konsequenz begonnen. Er wusste, er sitzt in einem Siegerauto, aber er merkte, er muss körperlich stärker werden, und das hat von Jahr zu Jahr umgesetzt, bis er auch in dieser Hinsicht der Beste war.

Was hast du von ihm gewissermassen mit auf den Lebensweg bekommen?

Ich bin ein Jahr vor Ayrton geboren, also können wir sagen – wir waren gleich alt. Ich glaube, er hat an mir geschätzt, dass ich auch, auf meine Weise, versuche, das Beste zu geben. Er war kein Mensch, der schnell jemandem vertraut hat. Aber es dauerte nicht lange, bis wir ein Vertrauensverhältnis hatten. Das ist gerade bei der Arbeit mit einem Fahrer ganz wichtig. Als Mensch hat er sich zusehens geöffnet, und ich lernte mehr kennen als den Racer Senna.

Das macht es für mich auch bis heute so schwierig, wenn ich höre, dass er als rücksichtslos dargestellt wird. So in der Art, dass er quasi durch die Gegner durchfahre, um zum Erfolg zu gelangen. Ich wusste, dass es die andere Seite von Senna gab. Wir er sich schon bald um Kinder in Brasilien zu kümmern begann, seine Unterstützung für Krankenhäuser, seine Arbeit als Menschenfreund. Aber er sagte mir oft: «Das will ich alles nicht publik machen. Ich habe noch zu wenig Macht, um wirklich etwas zu bewegen. Aber es ist meine Absicht, die Dinge in Brasilien zum Positiven zu wenden.» Diese Seite also kannte ich von Senna schon früh, und ich fand sie extrem bewegend.

Im Team wurde er vergöttert. Die Mechaniker und Ingenieure spürten und sahen, wie viel er zu geben gewillt war. Das hat alle mitgerissen. Das war schon faszinierend, diese zwei Gesichter, wenn du so willst – auf der einen Seite der zu allem entschlossene Rennfahrer, auf der anderen Seite ein scheuer, fast zurückhaltender Privatmann, dem das Wohl seiner Landsleute über alles ging. Dem Land ging es damals schlecht. Alle zwei Wochen gab ihnen Senna Hoffnung, dass das Leben besser sein kann.

All diese Facetten haben mich schon sehr fasziniert. Und ich war nicht der Einzige: Ich habe es oft erlebt, dass ihn Menschen trafen, auch solche, die mit Rennsport überhaupt nichts am Hut haben, und von diesen Augen, von diesem tiefgründigen Wesen, von dieser magnetischen Art in den Bann gezogen wurden. Das ist Charisma, das ist Ausstrahlung, das ist die Grundlage für den heutigen Mythos.

Besonders in Japan kommen noch heute Menschen zu mir, ganz ehrfurchtsvoll, und sagen: «Sie haben doch mit dem grossen Senna gearbeitet. Bitte erzählen Sie uns etwas von ihm.» Ich meine, das ist jetzt zwanzig Jahre her, und diese Faszination für Ayrton Senna ist ungebrochen! Das sagt alles. Ich bin stolz, dass ich an seiner Seite Zeit verbringen durfte.

Natürlich hat sich Senna als Rennfahrer verwirklicht und zwar in aller Extremität. Aber gleichzeitig hat er schon früh beschlossen, dass das Leben nicht daraus bestehen kann, immer nur zu raffen und zu nehmen. Er baute ein Gerüst, um sehr viel zurückzugeben, um seine Berühmtheit dafür zu nutzen, aus der Welt einen besseren Ort zu machen. Das hat mich irrsinnig beeindruckt: dass jemand ganz konsequent plant, seine Popularität zum Wohle eines Volkes einzusetzen. Die Menschen haben gespürt, dass dieser Wunsch von ganz innen kommt.

Wie bist du mit dem Verlust umgegangen?

Jeder verliert in seinem Leben Verwandte und Freunde. Schon mein Vater hat mich gelehrt, dass dies eben auch Teil des Lebens ist, es ist ein Kommen und ein Gehen. Natürlich machte es die Situation damals nicht leichter. Ayrton hatte zu mir gesagt: «So lange ich fahre, will ich, dass du mich betreust.» Streng genommen, war das auch so, obgleich niemand sich so ein abruptes Ende hätte vorstellen können.

Auf dem Flug nach Brasilien hatte ich Zeit genug, mich auf meine Weise von Ayrton zu verabschieden. Einige Bekannte von Ayrton sassen mit mir zusammen in der Business-Klasse, die Varig hatte einige Sitze ausgebaut, um Platz für den Sarg zu schaffen. So sind wir nach Brasilien geflogen. Der Zug vom Flughafen in die Stadt erlebte ich wie in Trance – überall Menschen, überall Spruchbänder. Ein Volk in Trauer.

Die Familie zu treffen, das war extrem emotional. Wir haben uns auch lange darüber unterhalten, was aus mir werden soll. Natürlich dachte ich daran, mit der Formel 1 aufzuhören. Aber letztlich habe ich weitergemacht. Vielleicht hätte er das auch so gewollt. Das Leben muss weitergehen.

Was ich schön finde: Ayrton Senna ist immer präsent geblieben, nicht nur jetzt, wo so viele von ihm sprechen, weil Imola eben 20 Jahre her ist. Die ganzen Jahre ist immer und rund um den Globus die Rede auf Senna gekommen. Die Erinnerung an Ayrton ist frisch. Bis heute sind an den Rennstrecken Senna-Flaggen oder Spruchbänder und Verkaufsartikel zu sehen. Das ist einmalig.

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