Flavio Briatore: «Sebastian Vettel wurde ignoriert»
Ein Blatt vor den Mund hat Flavio Briatore (64) noch nie genommen, und aufs Alter fängt er damit auch nicht mehr an. Beim Vorsaison-Interview mit den italienischen TV-Kollegen der Sky spricht der Weltmeistermacher von Michael Schumacher bei Benetton (1994 und 1995) sowie von Fernando Alonso bei Renault (2005 und 2006) über Italien, Ferrari und den neuen Liebling Sebastian Vettel.
«Italien ist schon unglaublich. Sebastian Vettel interessierte in Italien früher keinen, und jetzt, wo er Ferrari fährt, ist er der grosse Fahrer der Zukunft und der Vergangenheit. Zuvor war es, als würde Vettel nicht existieren.»
«Ich halte Vettel für einen sehr guten Piloten, sicher einer der besten fünf oder sechs. Als er in starken Autos sass, war er so gut wie unschlagbar. Als er eine Gurke fahren musste, und daran sind mehr Fahrer gewöhnt als er, tat er sich etwas schwer. Bei Daniel Ricciardo war es genau umgekehrt. Er hatte sich meist mit mittelprächtigen Autos abfinden müssen, und nun sass er urplötzlich in einem Wagen, dessen Handling ihm schmeckte. Auch wenn Vettel ein starker Fahrer ist, mit einem Schumacher oder Senna würde ich ihn nicht vergleichen.»
Briatore ist angetan davon, was bei Ferrari passiert: «Ich sehe, was sie derzeit tun, und wenn ich bei Ferrari das Sagen hätte, so hätte ich mehr oder weniger die gleichen Umstellungen gemacht. Da gab es zu viele Überlagerungen, zu viele Leute, das war viel Verwirrung.»
«Die Formel 1 ist im Grunde sehr einfach. Es ist ein wenig wie in der Armee – einer hat das Sagen und die anderen sollen gehorchen. Die Ingenieure sind von ihrer eigenen Arbeit entzückt, die Leute, die das alles bezahlen müssen, sind es etwas weniger. Und die Ingenieure verbrennen förmlich das Geld. Also brauchen sie Kontrolle. Ich würde zu ihnen sagen: Wenn ihr euch vor mich hinsetzt, dann zeigt mir etwas, das wirklich sinnvoll ist, sonst werden wir dieses Geld nicht ausgeben. Die Formel 1 ist keine Demokratie, sie braucht einen Kommandeur, und der muss einen Sinn für Technik haben, denn letztlich garantiert die richtige Technik die Siege.»
«Wenn jetzt der neue Ferrari gelobt wird, dann sollte keiner vergessen – dieses Auto ist vor mehr als einem Jahr aufgegleist worden, zu einer Zeit also, als Stefano Domenicali und Luca Montezemolo noch das Sagen hatten.»
Briatore ist davon überzeugt, dass Maurizio Arrivabene der richtige Mann als Ferrari-Steuermann ist. «Maurizio ist ein toller Arbeiter. Er kennt die Formel 1, er kennt Ferrari, wenn auch aus einer anderen Sicht. Er kommt aus der Tabakindustrie, und ich schätze, er wird Ferrari gut tun, allein schon aus dem Grund, weil man heute einen Rennstall wie eine Firma führen muss.»
Gretchenfrage: Kann Ferrari die Nummer 2 hinter Mercedes werden?
Flavio antwortet: «Ich hoffe es so wie es alle hoffen, denn Ferrari ist wichtig für die Formel 1, nicht nur für Italien. Meine Befürchtung ist, dass in Australien Mercedes und auch gleich die anderen Mercedes-motorisierten Autos überlegen sein werden. Ich halte Williams für sehr stark. Aber Ferrari sollte bei den Verfolgern sein.»
«Das Grundproblem jedoch ist geblieben – wir haben eine Motorenformel eingeführt, welche in eine krasse Überlegenheit eines Herstellers mündete. Dieser Motor hat einen Unterschied erzeugt, welcher dem Sport nichts bringt. Ich hoffe, Ferrari ist konkurrenzfähig. Aber ein Ferrari, das zweite Macht ist, muss schon sehr gut aufgestellt sein, und dann wird die Frage sein – um wieviele Sekunden liegt der Zweite hinten?»