Österreich: Vettel (Ferrari) – Bestzeit und Defekt
Die neue Stummelnase am McLaren-Honda von Fernando Alonso
Bei knapp siebzig Sekunden Rundenzeit auf dem Red Bull Ring – die kürzeste Runde in der Formel 1 – rückt das Formel-1-Feld normalerweise zusammen. Doch im ersten freien Training zum Grossen Preis von Österreich zeigte sich: abgesehen von Kimi Räikkönen im Ferrari liegt der Rest der Formel-1-Welt eine Sekunde hinter den Silberpfeilen.
Auch Sebastian Vettel hätte da am Morgen gewiss mitmischen können, doch nach lediglich vier Runden war Schluss: «Ich habe keinen Vortrieb», hatte der vierfache Weltmeister an die Ferrari-Box gefunkt.
Gut für Vettel: das Problem erfordert zunächst keinen Getriebewechsel – was wiederum eine Strafversetzung zur Folge gehabt hätte. Eine Antriebswelle hatte schlapp gemacht.
Das zweite freie Training begann unter der Gefahr, dass sich einige der düster aussehenden Regenwolken über dem Red Bull Ring entladen würden. Nachvollziehbar daher: ausser den beiden Williams rückten alle Fahrer sofort aus.
Der Poker von Williams zahlte sich aus: abgesehen von ein paar Tropfen blieb es trocken.
Neue Nase am McLaren-Honda, alte Sorgen
Fernando Alonso zeigte dabei erstmals die neue kurze McLaren-Nase, die sehr an Williams erinnert. Das wird nichts an der 20-Ränge-zurück-Strafe für den Asturier ändern (10 Ränge für Wechsel des Verbrennungsmotors, 5 weitere für einen neuen Turbolader sowie einen neuen Generator für die am Lader abgezapfte Energie).
Die Kollegen der BBC haben genau nachgerechnet: Alonso hatte 2015 mit McLaren-Honda nun mehr Defekte als zu seiner kompletten Ferrari-Ära von 2010 bis 2014!
Pistenspion Martin Brundle berichtete aus Kurve 4: «Nicht überraschend scheint Alonso im McLaren-Honda auf der Piste am meisten mit seinem Auto zu kämpfen. Der Honda-Motor läuft meiner Meinung nach auch nicht sauber.» Tatsächlich erkannten die Techniker ein Problem mit dem Aufladen der Energierückgewinnung.
Bei nur 25 Grad Pistentemperatur stellt GP2-Champion Jolyon Palmer fest: «Wie bei den Rennen zuvor in Monaco und Kanada ist das Reifenaufwärmen ein grosses Thema.»
Ganz andere Probleme hatten Max Verstappen (Toro Rosso) und Felipe Nasr (Sauber): Der 17jährige Niederländer beklagte sich über Kopfschmerzen, der Brasilianer monierte – wie wir in unserer Hintergrundgeschichte beleuchtet haben – mangelndes Gefühl für die Bremse. Die Probleme von Max waren schnell zu lösen: Verstappen war lediglich etwas dehydriert. Die Probleme des Brasilianers sind schwieriger zu lösen. Sauber arbeitet weiter daran.
Nico Rosberg setzte auf den superweichen Reifen eine erste Duftmarke nach Halbzeit des Trainings: 1:09,611 min, doch kurz darauf knöpfte ihm Ferrari-Star Sebastian Vettel die Bestzeit gleich wieder ab.
Die Fans wussten überhaupt nicht, wo sie hingucken sollten: zahlreiche Fahrer waren in der ersten und zweiten Kurve sowie in der zweitletzten und letzten Kurve neben der Strecke, auf der Suche nach dem Limit, das sich ständig verschob. Lotus-Testfahrer Jolyon Palmer: «Die Piste entwickelt sich rasant, die Rundenzeiten werden weiter dramatisch fallen.»
Unter den Piloten neben der Bahn auch Kimi Räikkönen (Ferrari) und Lewis Hamilton (Mercedes). Martin Brundle: «Unter diesen Bedingungen attackiert Lewis zu viel, die Piste bietet noch nicht den notwendigen Grip, den Hamilton braucht.»
Der Leidensweg von McLaren-Honda geht weiter: Jenson Button berichtete von einem Verlust an Motorleistung in Kurve 2 und rollte im Schneckentempo zurück an die Box. Ob da neue Teile ersetzt werden müssen, was zu einer weiteren Strafe führt?
Es kommt noch übler: Die Techniker befanden beim Problem am Wagen des Engländers, das es sich um ein (nicht näher definiertes) Problem handelt, das jederzeit auch Fernando Alonso treffen kann. Daher wurde der Spanier von der Bahn geholt.
Ferrari: Schnell, aber nicht kugelsicher
Ferrari und Mercedes teilten die Arbeit auf: Hamilton und Vettel auf superweichen Reifen im Dauerlauf, Rosberg und Räikkönen auf weichem Gummi.
Aber 24 Minuten vor Schluss des zweiten Trainings erhielt Sebastian Vettel einen Funkspruch: «Bitte langsamer fahren, wir haben ein Problem mit dem Getriebe.» Seb funkte zurück: «Kann ich hier auf der Bahn etwas machen?» – «Negativ, negativ. Komm einfach zurück an die Box.»
Das erneute Problem ist vielleicht eine doppelte Strafe: erstens musste ein weiteres Mal nach einem Defekt gesucht werden, zweitens konnte Ferrari nichts Schlüssiges über den Abbau der superweichen Reifen lernen.
Aus Ferrari-Kreisen sickert dennoch Zufriedenheit durch: der Rennrhythmus auf weichen Reifen liegt auf Niveau von Mercedes, Spritverbrauch im grünen Bereich.
Ferrari ist bereit, mit den ganzen Verbesserungen von Kanada hier in Österreich Mercedes mehr zu fordern als in Montreal. Mercedes-Teamchef Toto Wolff hatte schon nach dem Kanada-GP befürchtet: «Wir haben noch nicht gesehen, was Ferrari wirklich kann.»
Fazit für Lotus-Testfahrer Jolyon Palmer: «Ich kann mich nicht daran erinnern, 2015 ein zweites freies Training erlebt zu haben, in dem Ferrari mit den Rängen 1 und 3 auftrumpft. Das macht richtig Appetit fürs Abschlusstraining morgen und fürs Rennen.»