Schock in Grossbritannien: Formel 1 nur in Bezahl-TV
Die Channel-4-Experten David Coulthard und Mark Webber (rechts) nach dem Melbourne-GP mit Romain Grosjean und Gene Haas (links)
Erst gestern hatte ein offener Brief der Formel-1-Fahrer für Aufsehen gesorgt: Die Piloten bemängeln in ihrem Schreiben fragwürdige Entscheidungen wie die Vergabe doppelter WM-Punkte beim WM-Finale 2014 in Abu Dhabi, wie die Änderung des Quali-Formats, ohne Not und sehr kurz vor dem WM-Auftakt 2016 in Australien, Einschränkungen im Funkverkehr, fundamentale Schnitzer beim Schritt in die neue Turbo-Ära, Vorschläge wie Gewichts-Handicaps für Sieger oder umgedrehte Startaufstellungen.
Die Piloten stellen einen Mangel an Vision der Strategiegruppe fest, was die Ausrichtung des Sports angeht. Sie monieren die ungerechte Verteilung der Preisgelder, zu Gunsten der Top-Teams. Die Fahrer kreiden ebenfalls an, dass der Sport global mehr und mehr auf Bezahl-TV-Sendern zu sehen ist, einer der Hauptgründe für fallende Zuschauerzahlen.
Und nun das: Ab 2019 wird die Formel 1 im Mutterland des Motorsports, in Grossbritannien, nur noch im Bezahlfernsehen zu sehen sein!
Die britische Sky hat ein Abkommen mit Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone verkündet, das von 2019 bis 2024 dauert und das dem Sender die Exklusivrechte für fast alle Formel-1-WM-Läufe sicher. Fast alle, weil die Ausnahme der Regel der britische Grand Prix in Silverstone ist.
Die britische Sky berichtet seit 2012 aus der Formel 1, sie zeigt sämtliche Trainings und plant, ab 2017 in Ultra-HD zu senden.
Grossbritannien: Abschied des freien Fernsehens
Wochenlang hielten sich hartnäckig Gerüchte, wonach die BBC innerhalb ihres Sparprogramms auf die teure Formel 1 verzichten könnte, kurz vor Weihnachten 2015 wurde es Tatsache: Die britische Rundfunkgesellschaft BBC (British Broadcasting Corporation) muss mehr als 200 Millionen Euro sparen, 50 Millionen davon bei Sportrechten, und das tut sie teilweise, indem auf die Formel 1 verzichtet wird – drei Jahre vor Ablauf eines Abkommens mit Serienpromoter Bernie Ecclestone.
Dennoch müssen die britischen Fans gegenwärtig nicht auf Formel-1-Rennen im freien TV verzichten: Der Sender Channel 4 hat übernommen. Channel 4 wird zehn Grand Prix pro Jahr live übertragen, im Rahmen eines Dreijahresabkommens bis Ende 2018.
Channel 4 ist ein Sender, der 1982 gegründet wurde und sich über Werbung finanziert. Er heisst so, weil es im Gründungsjahr nur drei Sender auf der Insel gab – BBC1, BBC2 sowie ITV. In den 90er Jahren legte Channel 4 vor allem dank Sportanlässen und US-amerikanischen Serien zu sowie durch Reality-TV-Formate wie Big Brother. Auch Starkoch Jamie Oliver ist auf Channel 4 zu sehen.
So sehen die Briten in diesem Jahr Formel 1:
Formel 1 auf Channel 4: Die Live-Rennen
3. April: Bahrain (Sakhir)
15. Mai: Spanien (Barcelona)
19. Juni: Aserbaidschan (Baku)
10. Juli: Grossbritannien (Silverstone)
24. Juli: Ungarn (Budapest)
28. August: Belgien (Spa-Francorchamps)
4. September: Italien (Monza)
2. Oktober: Malaysia (Sepang)
30. Oktober: Mexiko (Mexiko-Stadt)
27. November: Abu Dhabi (Insel Yas)
Formel 1 auf Channel 4: Aus der Konserve
20. März: Australien (Melbourne)
17. April: China (Shanghai)
1. Mai: Russland (Sotschi)
29. Mai: Monaco (Monte Carlo)
12. Juni: Kanada (Montreal)
3. Juli: Österreich (Spielberg)
31. Juli: Deutschland (Hockenheim)
18. September: Singapur
9. Oktober: Suzuka (Japan)
23. Oktober: USA (Austin)
13. November: Brasilien (Sao Paulo)
Damit ist klar: Wer nicht gewillt ist, bei der britischen Sky ein Digital-Abo zu lösen, der muss auf die Live-Übertragungen wichtiger Rennen verzichten – wie auf den Saisonbeginn vom 20. März in Australien, wie auf das Rennen der Rennen, den Monaco-GP Ende Mai, wie auf die Klassiker von Kanada, Österreich, Deutschland und Brasilien oder das fazinierende Nachtrennen in Singapur sowie den USA-GP. Von all diesen Grands Prix werden bei Channel 4 nur zeitversetzt die Höhepunkte zu sehen sein.
Ganz wichtig allerdings für Channel 4: Das Heimrennen in Silverstone gehört weiter zu den Live-GP im freien Fernsehen. Erster Live-GP wird Bahrain sein (3. April, zweiter GP der Saison nach Australien), Direktübertragungen gibt es auch vom ersten Grand Prix in Aserbaidschan sowie vom WM-Finale in Abu Dhabi.
BBC ohne Formel 1: Die Gründe
Die BBC ist in Grossbritannien die grosse alte Dame der Rundfunkgesellschaften: 1922 wurde sie gegründet, jedes Kind ist mit den Radioprogrammen und später mit den TV-Sendern von «The Beeb» oder «Auntie Beeb» (Tantchen Beeb) aufgewachsen.
Noch heute wird die BBC haupsächlich durch Rundfunkgebühren finanziert, wenn auch die Zusammensetzung ein wenig anders ist als bei öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland.
Mitte November hatte der Sender bestätigt, dass im Laufe der kommenden Jahre 214 Millionen Euro gespart werden müssen.
Dies ist notwendig, weil immer weniger Menschen einen Fernseher besitzen und dafür Gebühren entrichten. Es ist versäumt worden, Gebühren für Online-Nutzung einzuziehen, aber immer mehr Menschen gucken Sendungen auf mobilen Geräten.
Etwas weniger als ein Viertel der Ausgabenkürzungen, nämlich 50 Millionen Euro (35 Millionen Pfund) sollen bei Sportrechten eingespart werden, und das hat zur Folge, dass die Formel-1-Berichterstattung gekappt wird.
Barbara Slater, Sportdirektor der BBC: «Die finanzielle Situation macht einige harte und unerwünschte Entscheidungen notwendig. Ein erheblicher Teil der Sparmassnahmen, die BBC Sport beitragen muss, werden durch das sofortige Ende unseres Formel-1-Engagements beigetragen. Uns ist klar, dass das für viele Fans immens enttäuschend ist. Aber in so einer Lage gibt es keine einfachen Lösungen. Alle unsere Optionen waren unpopulär.»
Die BBC hatte die Rechte zur Übertragung der Formel 1 im freien Fernsehen 2009 von ITV übernommen. Seit 2012 wurden die Rechte mit dem Digitalsender Sky Sports geteilt, schon damals eine Entscheidung aus Spargründen. Barbara Slater: «Die BBC steht vor grossen Herausforderungen, und der Sport ist gegen finanziellen Druck nicht immun.»
60 Fachkräfte standen damit kurz vor Weihnachten vor einer ungewissen Zukunft und BBC-Mitarbeiter Eddie Jordan schimpfte im britischen Mirror: «Klar wurde über diese Möglichkeit gemunkelt, aber was nun passiert ist, das ist ein Schock, es ist verheerend. In der Woche vor Heilig Abend will niemand so etwas hören. Noch schlimmer wird es, weil viele Mitarbeiter auf Wunsch der BBC von London in die MediaCity nach Salford/Manchester umgezogen sind. Ganze Familien sind umgesiedelt, Kinder sind neu eingeschult worden, so langsam haben sich alle dort eingelebt – und nun diese Bombe!»
Der Teamgründer des Jordan-Rennstalls sagte weiter: «Die Leute, mit welchen ich gesprochen habe, finden es herzzerreissend. Sie fragen sich, ob das Management im gleichen Team gespielt hat. Sie tun mir wirklich leid.»
Grossbritannien ohne Formel 1 auf BBC, das ist für viele Briten, als würde der ORF in Österreich der GP-Sportberichterstattung den Stecker ziehen oder als würde RTL in Deutschland keine Grands Prix mehr zeigen.