Mercedes-Brief: Heftige Reaktion auf Sabotage-Gerede
Lewis Hamilton gibt im Autodrom von Sotschi Autogramme
Der offene Brief von Mercedes-Benz hat einen Nerv getroffen. Es ist für die Geschäftswelt im Allgemeinen und für die Formel 1 im Besonderen ungewöhnlich, dass eine Weltfirma wie Mercedes-Benz auf Unterstellungen aus dem Internet so heftig und emotional reagiert. Sie könnte die Sabotagegerüchte um Lewis Hamilton auch einfach totschweigen.
Es entspricht dem Führungsstil von Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, dass genau das nicht getan wird. Der Wiener hat sich am Sonntagabend nach dem Russland-GP über entsprechende Internet-Spinnereien fürchterlich aufgeregt, vielleicht auch noch aufgewühlt durch einen Doppelsieg, der bei beiden Fahrzeugen an einem Seidenfaden hing.
Toto Wolff sagte in seiner Medienrunde: «Mir ist natürlich auch aufgefallen, dass es in den sozialen Netzwerken sehr viel Schelte für uns gibt, und da ist der Weg nicht mehr weit zu allerlei Verschwörungstheorien. Ich reagiere in solchen Situationen immer gleich: Am liebsten würde ich solche Schwachsinnsverbreiter nicht einmal ignorieren. Der Gedanke schmerzt mich jedoch, dass wir einem Mann, der für uns zwei WM-Titel eingefahren hat, absichtlich Schaden zufügen sollten. Er hat uns nie im Stich gelassen, also wieso sollten wir ihm das zuleide tun? Nein, die Wahrheit ist einfach – dies ist ein mechanischer Sport, in dem es zu Defekten kommen kann und fertig.»
«Wir tun uns ein wenig schwer damit, Leute ernst zu nehmen, die mit dem Laptop auf der Brust im Bett herumfläzen und beleidigende Nachrichten tippen. Manchmal frage ich mich wirklich, was in solchen Köpfen so vor sich geht.»
«Die Leute werden jetzt vielleicht denken – warum reagiere ich so heftig auf dieses Gerede? Der Grund ist: Ich will mich schützend vor meine Jungs stellen, die sich Tag und Nacht ein Bein ausreissen, um Nico und Lewis das bestmögliche Auto hinzustellen. All die Verschwörungstheorien finde ich eine Beleidigung für ihre tägliche Arbeit. Das ist nicht zu entschuldigen und äusserst unfair. Ich will nicht, dass unsere Fachkräfte solch dummes Zeug persönlich nehmen.»
Das war erst der Auftakt, nun kam der offene Brief. Die Reaktionen darauf unter den Fans sind in der Regel positiv. Die meisten Formel-1-Anhänger – nicht alle davon Mercedes-Benz-Fans – sind klug genug, von ihrem Lieblingssport zu wissen: Irgendeine Trickserei mit den Autos, das käme früher oder später sowieso ans Licht. Die Strafe des Autoverbands FIA wäre zweifelsfrei vernichtend, eine Sperre oder ein Ausschluss von der WM sehr wahrscheinlich. Der Imageschaden für das deutsche Renommierunternehmen wäre gewaltig.
Jede Unterstellung, Nico Rosberg würde von Mercedes begünstigt, ist lächerlich: Lewis Hamilton ist weltweit viel bekannter. Wenn Mercedes letztlich nur in der Formel 1 ist, um technische Überlegenheit zu demonstrieren und damit mehr Autos zu verkaufen, dann müsste vielmehr der Wagen von Rosberg lahmgelegt werden.
Der Verdacht, Hamilton werde zurückgebunden, ist auch Nico Rosberg gegenüber unfair: Der Deutsche hat kaum Fehler gemacht. Seit Lewis’ Titelgewinn in Austin (Texas) geht Rosberg mit einem stählernen Siegeswillen ans Werk. Und er hat den Schwung von 2015 in die neue Saison mitgenommen.
Mir gefällt der Ansatz von Mercedes: Die Weltmeister lassen sich nicht von Schwätzern schlechtreden, die grossteils einen Formel-1-Renner noch nie von nahem gesehen haben. Mir gefällt auch die Emotionalität, mit welcher der Brief verfasst wird. Denn es sich Emotionen, welche Menschen für den Sport begeistern.
Gleichzeitig unterstreicht der offene Brief von Mercedes auch: Es ist eben nicht egal, was die Fans denken. Auch wenn einige davon etwas irregeleitet sind.
Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass eine Firma wie Mercedes-Benz auf irgendwelche Spinnereien von Möchtegernfachleuten auf diese Weise reagiert. Aber die sozialen Netzwerke haben unser Leben verändert. Nicht immer zum Besseren vielleicht. Wenn sie aber mithelfen, dass sich die echten Formel-1-Freunde dem Sport verbundener fühlen, dann kann ich nichts Falsches darin erkennen.