Marc Surer: Daniel Ricciardo kann in Kanada gewinnen
Kein Zweifel: Ohne den Reifenwechselpatzer bei Red Bull Racing hätte der Australier Daniel Ricciardo in Monaco seinen vierten Grand Prix gewonnen. Nun ist der WM-Dritte von 2014 grimmig entschlossen, in Montreal nachzuholen, was er in Monte Carlo verpasst hat. «Für uns wird es ein wegweisendes Rennen», meint Ricciardo zum kommenden Wochenende. «Montreal gilt eigentlich als Strassenkurs, aber aufgrund des Pistenlayouts ist es eben auch ein Power-Kurs. Für mich gilt – wenn wir dort bei den Leuten sind, dann dürfen wir uns auch für die darauffolgenden Rennen Chancen ausrechnen. Kann ich in Montreal ein Wörtchen um einen Podestplatz mitreden, dann sind wir für den weiteren Verlauf der WM gut aufgestellt.»
Aber Marc Surer, der Schweizer GP-Experte der deutschen Sky, ist davon überzeugt, dass für Ricciardo mehr drin liegt. Der 64jährige frühere Formel-1-Fahrer meint: «Für mich ist Ricciardo als Sieger fällig und zwar bei jedem Wetter.»
Damit sind wir voll im Thema: Am Mittwochnachmittag sind über Montreal dunkle Wolken aufgezogen, ein kühler Wind pfeift über den Circuit Gilles Villeneuve, fürs ganze Wochenende sind wechselhafte Bedingungen vorhergesagt. Nicht auszuschliessen, dass Training und Rennen durch Niederschläge noch mehr Würze erhalten.
Marc Surer meint: «Montreal ist eine sehr schnelle Strecke, so dass bei Regen auf jeden Fall mit einer Safety-Car-Phase gerechnet werden sollte. Darauf müssen sich die Piloten schon vor dem Rennen einstellen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die sehr kurze Boxengasse – die Kürzeste der ganzen Saison. Wenn ein Fahrer in die Box fährt, dann lässt er drei Kurven aus und kürzt die Strecke automatisch ab. Das erzeugt natürlich viel Spielraum für Variationen.»
«In Kanada sind die Voraussetzungen das genaue Gegenteil vom letzten Rennen in Monaco. Aufgrund der wenigen Überholmöglichkeiten versuchten die Teams im Fürstentum, so wenige Stopps wie nur möglich zu machen. Aber in Montreal müssen bei den ersten Anzeichen von Regen sofort neue, frische Reifen aufgezogen werden. Das Wechseln der Reifen kostet hier wenig Zeit und ermöglicht es den Fahrern schnellere Runden zu drehen.»
Klar sind nicht alle Rennwagen auf nasser Bahn so gut wie auf trockener. Und auch unter den Piloten stossen Niederschläge auf unterschiedliches Echo – einige applaudieren, andere seufzen.
Marc Surer meint: «Welche Teams und Fahrer von einem Regenrennen profitieren, das ist davon abhängig, wie heftig es regnet. Bei starkem Regen sind die mutigen Fahrer gefragt, wie Fernando Alonso, Lewis Hamilton oder auch Max Verstappen. Diese Jungs kennen auch bei schlechten Witterungsbedingungen nur Vollgas. Wenn es allerdings nur feucht ist, dann sind die Feinfühligen gefragt, wie Nico Rosberg, der auf wenig Wasser gut fahren kann oder auch Jenson Button. Und dann gibt es noch einen, der auf halbtrockener Strecke sehr gut zurecht kommt – das ist für mich Nico Hülkenberg. Er hat seine besten Rennen in Brasilien gefahren, jeweils auf abtrockenden Strecken.»
Regen macht den Kanada-GP zur strategischen Denksportaufgabe. Marc Surer weiss: «Wenn unkonstantes Wetter herrscht, dann besteht die Aufgabe des Kommandostandes darin, zu checken, wie schnell der Fahrer mit Regenreifen oder Intermediates unterwegs ist und welche Reifen für den jeweiligen Moment die beste Wahl sind. Der Fahrer selbst kann nicht sehen, welche Reifenmischung die Schnellste ist. Mit Hilfe der Computerdaten analysieren die Spezialisten auf dem Kommandostand und reagieren spontan auf die Gegebenheiten. Da ist viel Flexibilität gefragt.»