Formel 1: FIA spricht Urteil

Audi-Teamchef: Formel E muss den eigenen Weg gehen

Von Rob La Salle
Allan McNish

Allan McNish

Im Interview spricht Allan McNish über die schwierigsten Momente, die besten Entscheidungen, seine Gedanken über die Zukunft der Formel E und warum es ein Luxus ist, zwei aggressive Fahrer im Team zu haben.
Die erste Formel-E-Saison mit Ihnen als Teamchef war ein Krimi bis zur letzten Runde. Hat sich Ihr Puls seit dem Finale wieder beruhigt?

Ich bin gleich nach dem Finale in New York mit meiner Familie in den Urlaub gefahren. Vor dem Wochenende wusste ich allerdings nicht, ob es ein entspannter Start in den Urlaub oder eher ein frustrierender werden würde. Mit unserem Erfolg im Gepäck hätte es dann nicht schöner sein können. Es war wichtig, für ein paar Tage loszulassen und abzuschalten. Seit ich wieder zurück bin, ist New York Geschichte. Mein voller Fokus liegt auf der nächsten Formel-E-Saison und dem Auftakt in Riad.

Formel-E-Champion – wie klingt das für Sie?

Klingt richtig gut, oder? Es ist überragend, was wir erreicht haben. Aber für mich ist noch viel entscheidender, wie wir diesen Erfolg erreicht haben: Gerade wenn man sich den Start in die Saison anschaut, dann war es alles andere als ein glatter Durchmarsch für uns. Stattdessen haben unser Team und unsere Fahrer tolle Moral und eine fantastische Aufholjagd gezeigt. Das ist etwas, was ich nie vergessen werde.

Zwölf Punkte nach den ersten vier Rennen der Saison – was haben Sie da gedacht?

Ich erinnere mich, wie ich nach einem weiteren Rennen mit null Punkten in Santiago aus dem Fahrerlager gegangen bin. Daniel wurde in der ersten Runde getroffen, und Lucas musste mit einem Problem am Inverter aufgeben. In diesem Moment sah alles danach aus, als wäre unsere ganze Stärke, die wir bei den Tests vor der Saison gezeigt haben, weg. Als wäre sie genauso verflogen wie die Chancen auf die Meisterschaft. Ich hätte damals nicht gedacht, dass wir den Titelkampf bis zum letzten Rennen offenhalten, geschweige denn gewinnen können.

Was waren Ihre größten Herausforderungen als Teamchef in der Formel E?

Diese Position im ersten Jahr von Audi in der Formel E zu übernehmen, war definitiv ein Lernprozess. Die größte Herausforderung war, dafür zu sorgen, dass jeder im Team fokussiert bleibt – auch wenn wir wie in Marrakesch oder Santiago harte Zeiten erlebt haben. Ich bin schon eine ganze Zeit im Motorsport unterwegs und weiß: Manchmal kannst du machen, was du willst, und es geht trotzdem schief. Aber ich weiß auch, dass irgendwann die Wende kommt. Deshalb durften wir nie unser Ziel aus den Augen verlieren. Das Team und die Fahrer haben in der zweiten Saisonhälfte Außergewöhnliches gezeigt, das hat mein Leben sehr viel leichter gemacht.

Was würden Sie als Ihre beste Entscheidung in Ihrer neuen Rolle bezeichnen?

Persönlich war meine beste Entscheidung, die Rolle überhaupt anzunehmen, denn ich genieße es wirklich jeden Tag. Eine der besten Entscheidungen als Team war sicherlich, Daniel weiter zu verpflichten und ihm damit die Chance zu geben, sich als Audi-Werksfahrer zu beweisen. Er ist gereift und hat seine Stärken gezeigt. Zudem nutzt er jetzt auch seine Erfahrung mehr. Ich freue mich, dass wir ihm mit hervorragender Unterstützung der Ingenieure in der Box ein gutes Auto geben konnten. Und ich bin mir sicher, er wird darauf aufbauen und nächste Saison den nächsten großen Schritt machen. Die zwei Siege, die er jetzt auf dem Konto hat, sind erst der Anfang.

Und was würden Sie Lucas di Grassi nach dieser Saison ins Zeugnis schreiben?

Nachdem wir unsere technischen Probleme losgeworden sind, stand Lucas sieben Mal in Folge auf dem Podium – das zeigt seine Klasse in Sachen Leistung, Konstanz und Entschlossenheit. Die Saison hätte für Lucas und die ganze Mannschaft nicht schlechter beginnen können und endete mit den meisten Podiumsplätzen, die je ein Team in der Formel-E-Geschichte in einer Saison geholt hat. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das Niveau mit starken Fahrern und Teams sehr hoch war. Lucas hat trotzdem einmal mehr herausgeragt. Wer in New York die Pokale für Fahrer- und Teammeisterschaft in die Höhe streckt, der hat sie auch wirklich verdient.

Wie gehen Sie mit der Situation um, dass Daniel jetzt immer mehr zum Herausforderer seines erfahreneren Teamkollegen Lucas wird?

Für mich ist das ganz einfach: Wir brauchen zwei aggressive und starke Fahrer sowie Autos, mit denen wir Rennen gewinnen. Wenn wir das alles haben, kämpfen wir um Titel. Wenn nicht, dann nicht. Manchmal gibt es den Moment, in dem beide Jungs zur gleichen Zeit ganz vorne sind. Im Motorsport kann aber leider nur einer gewinnen. Mir ist diese Situation deutlich lieber, als wenn wir überhaupt nicht konkurrenzfähig wären. Aus meiner Sicht ist es ein Luxus, zwei Fahrer im Team zu haben, die unbedingt gewinnen wollen – und können. Daniel hat einen großen Schritt nach vorn gemacht. Jetzt pushen er und Lucas sich gegenseitig, und das ist genau das, was wir wollen und auch brauchen.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Formel E, die ja fast noch ein Start-up ist?

Ich war nicht von Anfang an davon überzeugt, dass die Formel E so prächtig wächst und gedeiht. Hauptsächlich, weil ich schon viele Serien habe kommen und nach den ersten paar Jahren wieder gehen sehen. Aber die Formel E hat besser eingeschlagen, als ich und vielleicht 95 Prozent der Motorsportwelt es erwartet hatten. Jetzt muss die Serie darauf achten, dass sie ihre DNA bewahrt – und die besteht aus Rennen in den Metropolen dieser Welt, Action nah bei den Fans, engem und hartem Motorsport sowie der Konzentration auf die Entwicklung von effizienten Antriebssträngen. Gleichzeitig muss sich die Formel E mit neuen Technologien weiterentwickeln und sicherstellen, dass sie so spannend bleibt, wie sie jetzt ist. Ich finde, die Formel E sollte sich dabei nicht mit der Formel 1 vergleichen, sondern ihren eigenen Weg konsequent weitergehen.

Was erwarten Sie, wenn mehr «Big Player» wie BMW, Mercedes und Porsche einsteigen?

Es ist ja nicht gerade so, dass wir bisher wenig Wettbewerb gehabt hätten. Aber ich denke, es wird noch intensiver. Im Moment haben wir einen ganz guten Überblick im Feld und können grob einschätzen, welches Team auf welcher Strecke stark sein wird. Sobald mehr Hersteller am Start sind, wird sich das Feld mehr durchmischen – vielleicht sind einige Jungs dann mal ganz vorn und im nächsten Rennen weiter hinten. Für mich macht das die Serie unterm Strich noch stärker, denn es wird schwieriger, eine konstante Saison hinzulegen. Das ist gut für die Fans und hart für die Teams. Es macht Siege in Zukunft noch wertvoller.

Die fünfte Saison startet Mitte Dezember. Was ist der aktuelle Stand der Vorbereitung?

Unser neuer Audi e-tron FE05 ist seit dem ersten gemeinsamen Test der Hersteller im März auf der Strecke. Seitdem haben wir mit Daniel und Lucas eine Reihe privater Tests absolviert. Aus unserer Sicht sind wir im Zeitplan und zufrieden mit dem Stand der Entwicklung. Das Blöde ist nur, dass wir nicht wissen, wie gut die anderen sind. Deshalb bin ich gespannt auf den einzigen offiziellen Test mit allen Teams Mitte Oktober in Valencia. Das neue Auto ist definitiv ein großer Schritt vorwärts – optisch sowieso, und auch in Sachen Batterie, Leistung und Rekuperation. Daniel und Lucas gefällt das neue Auto noch besser als das Vorgängermodell – so soll es sein.

Der neue Audi e-tron wird in Kürze vorgestellt. Wie gefällt er Ihnen?

Bei Audi ist Motorsport schon immer Pionier für neue Technologien gewesen. Das war bei allen Programmen in der Vergangenheit so. Die e-tron-Technologie war seit 2012 in Le Mans erfolgreich im Einsatz, jetzt ist sie in der Formel E und kommt im Laufe des Jahres zu unseren Kunden. Das zeigt, wie Audi Serienautos mithilfe der wertvollen Erfahrungen aus dem Motorsport entwickelt. Ich selbst habe schon einen Audi e-tron vorbestellt und hoffe, dass ich ihn so schnell wie möglich bekomme.

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