Daniel Abt: «Wehrlein will den Spieß umdrehen»
«Von 2014 bis 2020 bestritt Daniel Abt die Formel-E-Meisterschaft, in der er für Abt-Audi zwei Siege und insgesamt zehn Podestplätze holte. In Saison zehn ist der 31-jährige Allgäuer erstmals Experte bei ServusTV, das sämtliche Rennen live übertragen wird. «Eine neue Herausforderung ist immer gut», meinte Abt schmunzelnd. Wir baten Daniel um eine ausführliche Einschätzung des neuen Rennjahres.
Die Saison zehn startet zweieinhalb Monate nach dem gemeinsamen Valencia-Test. Sind die Ergebnisse und Erkenntnisse daraus jetzt noch relevant, wenn es in Mexiko losgeht?
Daniel Abt: Jein. Einerseits ist der Test die einzige und letzte Möglichkeit vor der Saison, etwas zu versuchen und sich einzuschießen. Das ist schon wichtig. Man muss aber auch sagen, Valencia ist eine sehr spezielle Strecke. Manche Strecken im Kalender sind ähnlich, da sind meistens die gut, die es auch im Test waren. Auf anderen Strecken kann es aber ganz anders laufen. Der Test gibt eine gewisse Richtung an. Aber es gab auch nach dem Test Favoriten, die die Saison dann hinten begannen. Man kann nur abwarten…
Vor einem Jahr war der Wechsel von den Gen2-Autos zur Gen3 ein großer Schritt. Ist die Vorbereitung daher diesmal leichter, weil die Teams Erfahrung mit Gen3 haben?
Auf jeden Fall. Letztes Jahr gab es am Anfang für viele Probleme, Jaguar z. B. hatte mit den Bremsen Schwierigkeiten. Da war noch kein Team richtig aussortiert. Heuer ist es anders, die Teams haben das Auto verstanden. Jetzt geht es mehr um Details und das Feintuning.
Ist die Fluktuation unter den Schauplätzen ein generelles Problem für die Formel E und ihre Fans, dass es wenig Konstanz im Kalender gibt?
Ich denke schon. Die Formel E hat ja ein spezielles Konzept, das auf Rennen auf Stadtkursen basiert. Das kann viel Action bringen, ist aber politisch gesehen eine heikle Sache, wegen der Straßensperren, Anrainerbeschwerden usw. Der zweite Punkt ist die finanzielle Frage. Es funktioniert hier noch nicht so gut wie in der Formel 1 mit Zuschauermassen und fixierten Einnahmen. Die Formel E hätte sicher lieber mehr Stabilität, aber beim Nachrechnen kann sich eben herausstellen, dass ein Rennen nicht das brachte, was man sich erwartete.
Wer sind heuer Deine Favoriten, wie siehst Du die Verteilung der Kräfte?
Ich glaube, dass es wenig Veränderung zum vergangenen Jahr gibt. Ich würde aktuell Jaguar als die treibende Kraft sehen und Mitch Evans als Titelfavoriten. Jaguar startete letztes Jahr schlecht, konnte aber mit Fortdauer viel abräumen und hat jetzt auch Nick Cassidy an Bord. Jake Dennis und Pascal Wehrlein werden mit ihrem Porsche-Antrieb auch dran sein. Pascal wird wohl vehement versuchen, die Oberhand zu bekommen.
Wo steht Abt-Cupra?
Das Thema Mahindra und Abt-Cupra wird schwierig bleiben, ich sehe das Team im Mittelfeld oder auf hinteren Rängen, denn nur durch Tests und ohne Änderung der Hardware wird es keine Riesensprünge geben. Aber das Schöne an der Formel E ist, dass es durch Format, Eigenheiten usw. oft anders läuft, als man sich das vorher vorstellt. Es wird enger als im letzten Jahr zugehen, und vielleicht ändert sich auch etwas drastisch.
Was traust Du Max Günther im Maserati zu?
Sein Problem ist wohl, nicht konstant zu sein. Wenn er gute Tage erwischt, ist er überragend und kann Spitzenleistungen liefern. Er schafft es aber nicht, dieses Level über verschiedene Strecken zu halten. Wenn sein Paket stimmt, kann er immer um Siege fahren.
Nyck de Vries kommt aus einem schwierigen F1-Abenteuer zurück in die Serie Nach AlphaTauri-Aus: Überraschende Pläne von de Vries, in der er Weltmeister war, aber im Mahindra-Team, das man wohl nicht ganz vorn erwarten kann. Wie schwierig ist diese Situation für den sympathischen Niederländer?
Es wird einige Zeit dauern, bis er wieder sein Selbstvertrauen hat. Er ist wohl ziemlich gebeutelt von der Erfahrung in der Formel 1. Es ist hart, wenn du als Fahrer in so kurzer Zeit so hochgelobt wirst und dann dein Traum so schnell wegbricht. Das ist für keinen einfach. Er kommt jetzt in eine Serie, in der er sich wohlfühlt. Aber er wird nicht das Paket haben, ganz vorn zu fahren. Andrerseits stellt dich die Formel E nicht so in den Fokus, dass du jedes kleine Missgeschick sofort rechtfertigen musst. So gesehen wird es für ihn ein wenig dauern, aber er wird zurückkommen. Wenn er seinen Teamkollegen im Griff hat, ist das schon die halbe Miete. Er wird es schon hinbekommen.
Lucas di Grassi ist zurück in seiner Formel-E-„Heimat“ bei Abt. Wie wichtig ist so ein Mann mit unendlich viel Routine und der langen früheren Bindung für ein Team nach dem Wiedereinstieg?
Er wird superwertvoll sein. Was letzte Saison gefehlt hat, ist genauso eine Persönlichkeit wie Lucas, der Dinge weiterentwickeln kann. Er schaut auf Details, weiß, wie man Mitarbeiter motiviert, schafft eine Vertrauensbasis. Das alles wird dem Team sehr helfen.
Jehan Daruvala ist der einzige Neuling. Was traust Du ihm zu?
Ich war sehr überrascht von seiner Leistung im Test, mit der er gleich auf sehr hohem Niveau war. Er ist in der Lage, zu überraschen. Aber er wird doch einige Rennen zur Eingewöhnung brauchen. An einem Rennwochenende kann viel passieren.
Es gibt für Saison zehn keine gravierenden Reglement-Änderungen. Nur wird wie schon vor einem Jahr über den Plan Boxenstopps zum Nachladen gerätselt. Was ist da nun zu erwarten?
Nachdem in Valencia einige Versuche schiefgingen, ist man wohl sehr vorsichtig geworden. Ich meine, das Thema wurde schlecht angegangen, weil man etwas ankündigte, was man dann noch nicht bringen kann. Für eine WM, eine Serie auf diesem Level ist so ein Vorgehen wie „schauen wir einmal“ nicht gut. Ich finde generell Eingriff in die Regeln während der Saison schwierig.
Auf welche Rennen freust Du Dich heuer am meisten?
Spontan hätte ich da Rom genannt, aber dieses Rennen haben wir ja nicht mehr. Ich glaube, dass Tokio stark wird, dass es gut zur FE passt und der Austragungsort total cool ist. Durch meine Brille würde ich auch Berlin nennen, dort hatte ich immer Spaß.
Ist es für die Formel E problematisch, wenn sie auf Strecken fährt, auf denen auch die Formel 1 antritt und Vergleiche gezogen werden? Heuer kommt ja auch der Shanghai International Circuit dazu…
Die Vergleiche gibt es seit neun Jahren, die sind nicht das Problem. Die Fans können jetzt wohl zwischen den Serien und ihren Prinzipien unterscheiden. Es könnte aber schon sein, dass sich in Schanghai alles etwas leblos anfühlt, wenn die Tribünen nicht gefüllt sind und die Autos nicht für diesen Streckentyp gemacht sind. Da finde ich den Charme von Stadtkursen viel besser. Aber es geht auch um finanzielle Dinge und um Politik. Es wird immer schwieriger, manche Austragungsorte zu retten.
Alle Rennen der Formel E 2024 werden live auf ServusTV ServusTV übertragen. In Österreich im linearen Kanal ServusTV und auf der Streaming-Plattform ServusTV On; In Deutschland läuft die ServusTV-Übertragung linear auf DF1 sowie digital bei ServusTV On, df1.de sowie via speedweek.com und ServusTV Motorsport bei MagentaTV Andreas Gröbl Andreas Gröbl und Daniel Goggi kommentieren abwechselnd.