Stefan Pierer (KTM): Die Ziele, Beweggründe & Gegner
Als KTM-Firmenchef Stefan Pierer beim Jerez-GP 2002 den Einstieg der bescheidenen Offroadfirma in die 125-ccm-Strassen-Weltmeisterschaft ankündigte, stellte er trocken fest: «Es muss mehr Orange ins GP-Fahrerlager.»
In der Saison 2017 ist KTM erstmals in allen drei GP-Klassen mit einem Werksteam vertreten. Der Hersteller aus dem oberösterreichischen Innviertel, 1992 nach einer Pleite von Pierer übernommen, stellt inzwischen 200.000 Zweiräder im Jahr her. KTM hat inzwischen 271 WM-Titel erobert und 16 Mal in Serie die Dakar-Rallye gewonnen.
Heute in vier Wochen beginnt das erste freie MotoGP-Training zum Katar-GP. Und Stefan Pierer, CEO der KTM Group, zu der auch Husqvarna gehört, sprüht vor Tatendrang und Vorfreude.
Herr Pierer, dieses MotoGP-Projekt kostet 30 Millionen Euro im Jahr. Die größte Herausforderung in ihrem bisherigen Geschäftsleben?
Ich habe in den letzten 25 Jahren bei KTM schon viele Emotionen und Herausforderungen erlebt.
Aber klar, die MotoGP ist eine neue Dimension. Aber für ein auf Wachstum ausgerichtetes Werk wie KTM ist das eine Kategorie, um die man irgendwann nicht herumkommt.
Seit drei Jahren beschäftigen wir uns mit diesem Projekt. Jetzt ist es mit den Ankündigungen vorbei. Jetzt stehen wir draußen auf der Bühne. Jetzt wird von uns einiges erwartet, nicht nur von unseren beiden Topfahrern, sondern von uns allen.
Die MotoGP ist für uns das Schließen der letzten großen Lücke. Wir dominieren ja in anderen Motorradsportbereichen ziemlich gut. Deshalb sind die Erwartungen hoch.
Obwohl uns ganz klar ist: Das erste Jahr ist ein Lernjahr. Das zweite Jahr soll besser sein. Und im dritten wollen wir die Podestplätze berühren.
Genau genommen ist das der zweite Versuch von KTM in der MotoGP-WM.
Ja, das war vor ungefähr 13 Jahren, damals haben wir 990-ccm-V4-Motoren entwickelt. Wir wollten 2005 mit einem Werksteam in die MotoGP-Klasse einsteigen und haben uns dann zu einer strategischen Allianz mit dem Team Roberts entschieden. Das hat nicht funktioniert.
Wir haben Roberts in der ersten Saisonhälfte 2005 unsere Motoren geliefert.
Das war für uns damals eine erste Erfahrung in der Königsklasse. So haben wir herausgefunden, wie hart es in diesem Segment zugeht.
Dieses neue MotoGP-Projekt begann vor knapp drei Jahren.
Unser Motorsport-Direktor Pit Beirer hat ganz klar zwei richtige Entscheidungen getroffen. Erstens: Der Standort mit dem ganzen Wissen ist hier in Munderfing. Zweitens: Das gesamte Engineering und die gesamte Technologie muss in unserem Kompetenzzentrum im Innviertel gebündelt sein. Auf dieser Basis hat Pit ein sehr schlagkräftiges Team aufgebaut. Es ist ihm gelungen, Mike Leitner zum Mitmachen zu überreden. Mike ist ein sehr erfahrener Techniker in dieser Kategorie.
Unser Motorenkonstrukteur Ing. Kurt Trieb, der seit fast 15 Jahren bei KTM tätig ist, bildet das Rückgrat für dieses Projekt.
Wir kennen die Arbeitsweise von Pit Beirer sehr gut. Und das gibt uns die Zuversicht, dass wir früher oder später nach vorne kommen werden.
Sie betonen, der MotoGP-Einstieg sei kein Marketinggag, sondern der letzte logische Schritt.
Wir sind ja in der Moto3-Klasse seit 2012 dabei, vorher sind wir schon in der 125er und 250er-WM angetreten. Seit der Umstellung auf die Viertaktmotoren in der kleinsten Klasse im Jahr 2012 sind wir die führende Marke in der neuen Moto3-WM. Da bin ich sehr stolz drauf.
Wir sind also keine richtigen Neuankömmlinge in diesem Segment. Wir haben in der Moto3 bewiesen, dass der Stahlrohrrahmen wesentliche Vorteile bietet.
Wir haben jahrelang immer relativ traurig in die MotoGP hinauf geschaut. Ein Casey Stoner hat bei uns auf der 125er sozusagen das Fahren erlernt. Auch ein Marc Márquez und ein Maverick Viñales waren bei uns in den kleinen Klassen. Maverick ist auf KTM 2013 Weltmeister in der Moto3 geworden, inzwischen wird er in der MotoGP mit Millionen gehandelt.
Deshalb haben wir strategisch entschieden: Wir wollen unsere Fahrer von der Moto3 bis hinauf zur MotoGP begleiten. Das bedeutet auch, dass wir die Lücke in der Moto2 schließen mussten. Jetzt haben wir 2017 erstmals alles in einem Guss – von der Moto3 bis zur MotoGP.
KTM geht eigene Wege: Stahlrahmen, WP-Suspension und Screamer-Motor, obwohl Honda jetzt den Weg zum Big-Bang-Motor beschreitet?
Unser großer Vorteil gegenüber den Konkurrenten besteht darin, das wir eine hohe Fertigungs- und Entwicklungstiefe haben. Wir bestimmen die leistungsbestimmenden Komponenten selber. Das ist die Grundvoraussetzung, um ein konkurrenzfähiges Rennmotorrad auf die Welt zu bringen.
Wir hören dann den Fahrern zu und bemühen uns, mit Hilfe ihrer Aussagen technisch an die Spitze zu kommen. Dieser Weg hat sich bis dato in allen Motorsportserien bewährt und zum Erfolg geführt.
Wir wollen auch in der Königsklasse zeigen, dass dieser Weg zielführend und machbar ist.
Wer Erfolg haben will, muss konsequent seinen Weg gehen und ihn mit allen Mitteln verfolgen. Nur so kommt man ganz an die Spitze.
Das eine Ziel ist es, an die Spitze zu kommen. Danach geht es darum, dort oben zu bleiben.
Bei der Dakar-Rallye haben wir auch gezeigt, wie es geht. Momentan ist es fast schon kitschig – 16 Siege hintereinander. Trotz aller Tricks vom Mittbewerb.
Wir haben jahrzehntelange Erfahrung im Rennsport, auch Motorsport-Direktor Pit Beirer ist inzwischen zehn Jahre bei uns. Wir haben das ganze Know-how im Werk und in der Rennabteilung. Wir müssen nicht nach Italien oder Spanien oder sonst wohin gehen, wenn wir Know-how benötigen.
Wir haben bei KTM das Kompetenzzentrum.
und wir haben mit unseren Werkspiloten eine sehr gute Wahl getroffen, Pol Espargaró und Bradley Smith kommen aus Ländern, die für uns wichtige Märkte sind. Es ist unsere Philosophie, Fahrer zu engagieren, die in unsere Familie passen und möglichst lange bei uns bleiben, vielleicht auch nach ihrer Karriere bei uns Aufgaben übernehmen. Das ist dieser typische Familiengedanke von KTM, der die Community bildet.
Wie sieht die Zielsetzung für die MotoGP bei KTM aus?
Wie gesagt: Im ersten Jahr wollen wir lernen. Im zweiten Jahr streben wir einstellige Ergebnisse an. Vielleicht können wir 2018 das eine oder andere Mal schon am Podium schnuppern. Im dritten Jahr rechnen wir uns Podestchancen aus.
Im vierten oder fünften Jahr möchten wir gewinnen, aber das wird natürlich auch von der Qualität der Fahrer abhängen.
Für uns ist Suzuki die Benchmark, dieser Mitbewerber hat in den ersten zwei MotoGP-Jahren einen guten Job gemacht. Suzuki ist eine gute Messlatte.
Wir haben zwar vor 25 Jahren ganz klein angefangen. Aber inzwischen sind wir nicht irgendwer. Wir sind der größte Motorradhersteller in Europa. Wir sind der Leitbetrieb im Innviertel, wir beschäftigen insgesamt 5000 Mitarbeiter, davon mehr als 3000 am Standort in Mattighofen und Munderfing. Wir haben allein in der Rennabteilung 320 Mitarbeiter. 60 Mitarbeiter begleiten dieses MotoGP-Projekt. Das heißt: Wir spielen in der Champions League.
Irgendwann wird also in der MotoGP-WM Honda und Yamaha angegriffen?
Das ist absolut klar. Das ist immer mein größtes Ansinnen. Unser Wachstum kam in den letzten 25 Jahren von Marktanteilsgewinnen von den vier japanischen Herstellern.
Es gibt nichts Schöneres, als Japaner im Wettbewerb zu schlagen. Das motiviert.