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MotoGP-Rivalitäten: Sind wir eine grosse Familie?

Kolumne von Michael Scott
Kein Raum für Freundschaften: Marc Márquez, Valentino Rossi und Maverick Viñales

Kein Raum für Freundschaften: Marc Márquez, Valentino Rossi und Maverick Viñales

Die neue Saison hat begonnen und mit ihr auch das Gerede um die MotoGP-Gemeinde, die sich als eine grosse Familie versteht. Das ist eine Illusion, denn in der WM ist kein Platz für Brüderlichkeit.

Kaum hatten sich die MotoGP-Stars in Katar zum ersten Kräftemessen der Saison versammelt, schwappte auch schon eine Welle nichtssagender Wortspenden durchs Fahrerlager. Als die Fahrer nach ihren Hoffnungen und Träumen gefragt wurden, erklärte etwa Marc Márquez: «Ich bin sehr motiviert, ein weiteres Jahr um den Titel zu kämpfen.» Wow, was für eine Überraschung!

Doch nicht nur der MotoGP-Weltmeister flüchtete sich ins schmerzlich Offensichtliche. Auch alle anderen Piloten beteuerten, dass sie ihr Bestes geben würden, um die bestmöglichen Ergebnisse einzufahren. Ich frage mich: Was sollten sie sonst machen? Niemand wird sagen: «Ich werde nur bei einigen Rennen auftauchen, um ein paar sichere Runden zu drehen, während ich mich nach einem guten Investmentberater umschaue, der mein Einkommen maximiert.»

Nicht nur die Motivation, einen gelungenen Start in die Saison hinzulegen, einte die MotoGP-Teilnehmer in der Wüste. Auch der Ehrgeiz der einzelnen WM-Teilnehmer war deutlich zu spüren. Die Emotionen, die ich immer wieder im Rennsport erlebt habe – vor allem zwischen den Rennfahrern auf der Startaufstellung – haben nichts mit familiärem Altruismus zu tun – auch wenn gerne von der MotoGP-Gemeinde als grosse Familie gesprochen wird. Im Gegenteil.

Wer auf diesem Niveau Rennen fährt, ist auf dem grössten Ego-Trip überhaupt. Im Kampf gegen die Rivalen ist man eher von Rachegelüsten als von brüderlichem Wettkampfgedanken getrieben – auch wenn es sich, wie in einigen Fällen, wirklich um Wettkämpfe zwischen zwei Brüdern handelt. Das sind keine Wochenend-Krieger bei einem Club-Rennen, die um einen silbernen Plastikbecher kämpfen und damit angeben, wer am trinkfestesten ist. Das sind Weltmeister!

Natürlich gibt es so etwas wie Empathie, wenn ein anderer Rennfahrer sich schwer verletzt oder noch Schlimmeres passiert. Aber ich glaube, dass es auch dann aus Selbstinteresse ist, weil man daran erinnert wird, was einem selbst passieren könnte. Vielleicht ist der Begriff Familie angebracht, da es in Familien auch Rivalität gibt, wenn es um Aufmerksamkeit geht.

Ich bin mir sicher, das haben wir alle schon erlebt, lasst uns dennoch einige Beispiele aus der Vergangenheit betrachten: Schaut euch etwa die alten Römer an, Kaiser Nero, der berühmt wurde, weil er Musik machte, während Rom brannte. Er schaffte es auch, seine schwangere Frau zu Tode zu treten (eine weitere Tat dieser Art: Er erstickte einen seiner Dinner-Gäste einst mit Rosenblättern, wie die Historikerin Mary Beard erzählt).

Und er war nicht einmal der Schlimmste, denn Caligula setzte dem Ganzen die Krone auf. Allerdings ist Beard überzeugt, dass die Filmszene, in der er den Fötus seines eigenen Kindes aus dem Leib seiner Schwester reisst und isst, komplett der Phantasie eines übereifrigen Drehbuchautors entsprungen ist.

Passender für den Vergleich mit jenen, die sich in der MotoGP messen, dürfte seine Gewohnheit gewesen sein, in sich hinein zu kichern und dann mit einem breiten Grinsen seiner Familie und den übrigen Gästen zu eröffnen: «Ich habe gerade realisiert, dass ich nur mit meinen Fingern schnipsen müsste, und man würde euch alle enthaupten.»

Ähnlich dürfte die Atmosphäre im vergangenen Jahr in der Yamaha-Hospitality gewesen sein, wenn sich Valentino Rossi und Jorge Lorenzo begegneten. Tatsächlich haben sich die beiden Streithähne gegenseitig gemieden. Es ist doch so: Manchmal sind Rennfahrer Freunde, bevor es ernst auf ernst kommt und manchmal werden sie Freunde, nachdem sie in Rente gegangen sind. Dazwischen bleibt jedoch kein Raum für Freundschaft.

Familienbande sind auch eigenartige Beziehungen. Das ist in der MotoGP genauso – nicht zuletzt, weil die Verhältnisse einem steten Wandel unterworfen werden. Die Konstellationen von Fahrer, Mechanikern und Teams wechseln im Jahresrhythmus, und wer im einen Jahr noch Freund war, kann im nächsten schon der Erzfeind sein.

Wenn ein Fahrer nur ein bisschen zu schnell fährt, kann das Beziehungen bereits auf den Kopf stellen. Ich erinnere mich an die Zeit, als Marco Melandri mir wehmütig erzählte, dass er und Valentino Rossi zu Beginn richtig gute Freunde gewesen waren. Nach dem Motocross-Training «hängten wir unsere Socken nebeneinander auf die Heizung». Bis Melandri in die MotoGP kam und eine wahre Bedrohung darstellte, danach gab es kein gemeinsames Socken-Aufhängen mehr.

Noch früher sprachen Kevin Schwantz und Wayne Rainy darüber, wie sie sich in ihren früheren US-Superbike-Tagen willentlich mit Topspeed gegenseitig von der Fahrbahn abdrängten, ohne daran zu denken, dass sie den jeweils anderen fatal verletzen könnten.

Barry Sheene strahlte gegenüber seinen Rivalen Feindseligkeit aus, auch wenn er es auf die gleiche medien-freundliche und charmante Art machte, wie Rossi es heute so gut schafft. Als der amerikanische Fahrer Pat Hennen vom Suzuki-Werksteam angeheuert wurde, war Sheenes Kommentar: «Wenn man mit Erdnüssen zahlt, bekommt man Affen.»

Aktueller ist die viel-gepriesene Spannung zwischen Maverick Viñales und Marc Márquez, die sich bis in ihre Teenager-Jahre zurückverfolgen lässt. Ich liebe den Motorsport. Ich glaube, das tun wir alle, sonst würdet ihr das nicht lesen. Und ich bewundere die Top-Fahrer.

Aber nicht wegen ihrer Rolle in irgendeiner imaginären MotoGP-Familie. Nicht wegen ihres Charmes oder ihrer Persönlichkeit. Nicht wegen ihrer brüderlichen Liebe. Ich bewundere sie, weil sie alle wirklich gut darin sind, sehr schnell auf Motorrädern zu fahren. Das reicht mir.

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