Stefan Bradl: Ein Kandidat für Honda-MotoGP-Testteam
Den Aussagen von Ronald Ten Kate und von Honda-Superbike-Manager Marco Chini ließ sich bereits seit den WM-Rennen in Laguna Seca im Juli deutlich entnehmen, dass sich das Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit mit Stefan Bradl für die SBK-Saison 2018 im Rahmen hält.
Vielleicht hatte der Bayer zu lautstark Kritik an der schleppenden Weiterentwicklung und an seiner Mechanikercrew geäußert. Bradl beschwerte sich oft über die Cosworth-Elektronik und über die aggressive Kraftentfaltung, aber es besserte sich von Februar bis heute nichts.
Die erschütternden Freitag-Ergebnisse der Ersatzfahrer Giugliano und Takahashi an diesem Wochenende in Jerez sagen alles. Im ersten Rennen blieb Honda punktelos.
Bradl wunderte sich mehrmals: «Wenn ich ein Problem schildere, blicke ich in meiner Box in ratlose Gesichter.»
Für Portimão im September wurde die Crew geändert, Bradl bekam die gesamte Technikertruppe von Nicky Hayden mit Dino Acocella an der Spitze. Der Unterschied war sichtbar: Bradl fuhr auf den achten Startplatz und verlor auf dieser anspruchsvollen Piste nur auf Platz 1,4 Sekunden auf die Bestzeit.
Doch dann stürzte Bradl im ersten Rennen in Portugal an siebter Position – und fiel dann mit einer Handgelenksverletzung für den Rest der Saison aus.
Honda Motor Europe hatte Bradls Option für 2018 Ende Juni nicht eingelöst, deshalb schaute sich der Moto2-Weltmeister von 2011 und siebenfache GP-Sieger nach anderen Möglichkeiten um.
Es fanden Gespräche mit Marc VDS Honda statt, doch diesen MotoGP-Platz sicherte sich schliesslich Tom Lüthi. Es kam eine Anfrage von KTM wegen eines Testfahrervertrags für den Fall, dass Mika Kallio ins Werksteam aufrücken und Bradley Smith mit vollen Bezügen verabschiedet wird.
Auf ein Angebot von Honda für die Superbike-WM 2018 wartet Bradl bis heute vergeblich, erzählt er.
Stefan bekam vom Team die Information, «die Japaner» seien enttäuscht von ihm, weil er am Suzuka-8h-Rennen nicht teilgenommen hatte – er bekam wegen einer Ohrenentzündung und eines gerissenen Trommelfells vom Arzt striktes Flugverbot.
Das ganze Jahr fuhr zwar kein Teamkollege schneller als Bradl, kein Gagne, kein Giugliano und kein Takahashi. Trotzdem fühlt sich Bradl für 2018 seit Wochen unerwünscht.
Der Zahlinger wirkte deshalb nie beunruhigt. Er sprach hoffnungsvoll von einem Plan B und Plan C, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Man konnte sich irgendwann ausmalen, dass bei ihm eine Aufgabe als MotoGP-Testfahrer in Aussicht stand.
Beim Phillip Island-GP stellte sich heraus, dass HRC ein in Europa stationiertes MotoGP-Testteam plant, in das Alberto Puig (er betreibt 2017 das British Talent Team in der Moto3-WM mit John McPhee) mit seiner Infrastruktur involviert sein könnte. Stefan Bradl habe ausgezeichnete Chancen, diese Aufgabe für 2018 zu übernehmen.
Die von HME erwähnten «Japaner» haben also den Glauben an den Deutschen nicht verloren.
HRC würde ihm womöglich sogar gestatten, nebenbei die Superbike-WM zu bestreiten, aber er hat den Eindruck gewonnen, das leidgeprüfte Honda-SBK-Team plane die Zukunft offenbar sowieso ohne ihn.
Bei Honda fand sich in Australien kein Mensch, der die Testteam-Idee mit Bradl nicht befürworten würde. Auch bei LCR-Honda-Teamchef Lucio Cecchinello sind die Testfahrer-Qualitäten von Stefan Bradl (er fuhr dort von 2012 bis 2014) in guter Erinnerung.
Und den japanischen HRC-Technikern fiel beim Superbike-Rennen in Portimão auf, dass der japanische Ersatzfahrer und HRC-Schützling Takumi Takahashi über die Fireblade des Ten-Kate-Teams dieselben kritischen Aussagen machte wie Bradl.
Bisher wurde die meiste MotoGP-Testarbeit von Hiroshi Aoyama in Motegi erledigt. Künftig soll vermehrt in Europa getestet werden.
Bradl hofft, dass er im Falle einer Einigung mit HRC nach dem Vorbild von Michele Pirro (Ducati) und Mika Kallio (KTM) in der nächsten Saison ein paar Wildcard-MotoGP-Einsätze absolvieren kann, um den Rennschliff nicht zu verlieren.
Livio Suppo, HRC-Sportdirektor und Teamprinzipal bei Repsol-Honda, bestätigte in Phillip Island im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com die Verhandlungen mit Stefan Bradl.
Livio, Ducati und KTM leisten sich erfolgreiche Testteams. Bei Honda, Yamaha und Suzuki fehlt bisher so ein Projekt. Aber das soll sich bei HRC 2018 ändern, ist zu hören. Braucht Honda auch einen stärkeren Ersatzfahrer als Aoyama, wenn sich 2018 einer der sechs MotoGP-Piloten verletzt?
Wir sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten, wie wir unser MotoGP-Motorrad verbessern können.
Und sicher, wenn man ein starkes Testteam hat wie Ducati und KTM, ist das sinnvoll. Aber es ist für einen japanischen Hersteller nicht einfach, so etwas aufzubauen.
Wir denken über so ein Projekt nach. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch nichts bestätigt.
Nächstes Jahr werden erstmals 19 Grand Prix durchgeführt. Die Anzahl der Tests für die Stammfahrer soll reduziert werden. Das erhöht den Wert eines Testteams, wenn der Testfahrer so schnell ist wie Pirro oder Kallio?
Es ist eine Frage der Organisation. Für einen europäischen Hersteller ist das einfacher. Du kannst dann die meisten Tests in Europa abspulen; so ist die Logistik wesentlich überschaubarer. Für ein japanisches Werk ist es mühseliger. Deshalb hat im Moment kein japanischer Hersteller ein Testteam in Europa.
Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta sagt: Es ist finanziell sinnvoller, mehr Rennen zu veranstalten und dafür die Anzahl der Tests zu reduzieren, die nur Geld kosten und nichts einbringen.
Wenn man es aus der Sicht des Serien-Promoters betrachtet, muss ich Carmelo total zustimmen. In der Formel 1 testen sie ein paar Tage in Barcelona, dann fahren sie zehn Monate lang pausenlos ein Rennen nach dem andern.
Die Kosten für einen Test sind so hoch wie für einen Grand Prix, aber bei einem Grand Prix sind die Einnahmen und die Profite um ein Vielfaches höher.
Yamaha hat anscheinend sogar Ducati-Testfahrer Michele Pirro ein Angebot gemacht. Welchen Testfahrer hat HRC ins Auge gefasst?
Ich weiß nicht, ob Yamaha mit Pirro in Kontakt steht. Ist er auf dem Markt?
Nein, Spaß beiseite: Wir haben noch keinen richtigen Plan, es ist zu früh, um über einen Fahrerkandidaten zu sprechen.
Wenn dich jemand bitten würde, eine Kandidatenliste aufzustellen...
... wenn du willst, dass ich erwähnen soll, dass Stefan Bradl für uns von Interesse sein könnte, dann lautet meine Antwort: Sicher, Stefan hat viel Erfahrung in der MotoGP-Klasse, er hat unterschiedliche Fabrikate gefahren, wir haben mit ihm zusammengearbeitet, wir kennen ihn gut. Er ist also ganz sicher ein potenzieller, sehr interessanter junger Mann.
Aber wie gesagt: Es ist zu früh, um festzustellen, ob dieses Projekt klappen wird.
Ist das auch ein Budgetproblem? So ein Projekt kostet mindestens 1,2 bis 1,5 Millionen Euro?
Wenn so ein Testteam anständig betrieben wird, erfordert es eine gewaltige Anstrengung.
Es geht nicht nur ums Budget, es geht auch ums Personal, um die Logistik. Es ist kompliziert. Besonders für einen japanischen Hersteller.