Hervé Poncharal (Tech3): «Jonas leidet an Burnout»
Jonas Folger
Seit Tech3-Yamaha-Teambesitzer Hervé Poncharal am Dienstagabend um 22 Uhr den Anruf von Jonas Folgers Manager Bob Moore bekam, der den Rückzug des Bayern aus der MotoGP-WM 2018 zum Inhalt hatte, steht beim französischen Teambesitzer Hervé Poncharal das Telefon nicht mehr still. «Allein mit Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta habe ich gestern zehnmal telefoniert», erklärte Poncharal im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com.
Denn Poncharal und Yamaha müssen jetzt so rasch wie möglich einen Ersatz für Folger suchen.
Aber es zeichnet sich bisher keine Lösung ab. «Denn ich werde auf keinen Fall einen Fahrer kontaktieren, der einen existierenden, gültigen Vertrag hat», versichert Poncharal.
Im Internet kursieren in diversen Postings bereits viele gut gemeinte Ratschläge, es werden Namen wie Reiterberger, Guintoli und Bradl ins Spiel gebracht, sogar Cortese wurde erwähnt.
Für Poncharal kommen diese Fahrer nicht in Frage. Er erläutert, warum sie nicht auf seiner Kandidatenliste stehen.
Hervé, ich kann mir vorstellen, dass es bei dir drunter und drüber geht.
Ja, seit Mittwochfrüh stehen mein Telefon, mein E-Mail und mein WhatsApp-Account nicht still. Erst gestern Mitternacht habe ich mich entschlossen, alles abzuschalten und ins Bett zu gehen.
Klar, jeder weiß, die M1-Yamaha ist ein fantastisches MotoGP-Motorrad. Und wenn so eine Maschine verfügbar ist, möchte jeder Fahrer die Gelegenheit nutzen, um auf dieses Motorrad zu springen.
Deshalb haben mich viele Leute angerufen.
Aber ich will gleich einmal festhalten: Viele Leute sind nicht sehr seriös. Denn manche Manager bieten mir Fahrer an, die bereits einen gültigen Vertrag für 2018 haben.
Aber wer mich kennt, der weiß: Wir müssen ehrlich und korrekt sein, das ist meine Einstellung. Wir müssen uns wie Gentlemen benehmen und uns gegenseitig respektieren.
Wir bekämpfen uns auf der Rennstrecke. Aber ich würde niemals, wirklich nie, einen Fahrer nehmen, der nicht frei ist.
Warum sollte ich ein anderes Team beschädigen oder zerstören, weil mein Team in Schwierigkeiten steckt? Das halte ich nicht für korrekt.
Ich ziehe es vor, einen weniger aufregenden zweiten Fahrer neben Zarco zu haben, aber dafür das Gefühl zu genießen, dass ich keinen anderen Teamchef hintergangen habe.
Klar, es gibt viele junge, vielversprechende Moto2-Fahrer, die ich liebend gern ausprobieren würde. Aber sie haben alle Verträge.
Die jeweiligen Teambesitzer haben sich bemüht, die jeweiligen Pläne umzusetzen.
Jetzt komme ich Mitte Januar, und weil ich Hervé Poncharal bin und eine M1-Yamaha habe, zerstöre ich den Plan eines anderen Teams?
Nein, das ist nicht meine Absicht, das ist nicht korrekt.
War Ralf Waldmann einer der Manager, die sich gemeldet haben? Wegen Markus Reiterberger?
Ha, ha, ha, ha… Ich liebe deine Fragen. Warum? Hat Reiterberger einen Vertrag oder nicht?
Ich glaube ja, mit Werner Daemen und BMW für die Superstock-EM.
Ja. Es wurden so viele Namen genannt…
War Reiterberger dabei?
Ich habe nicht mit Waldi gesprochen. Aber gestern Abend habe ich einen Text von ihm erhalten. Er schrieb: «Falls du in Schwierigkeiten bist, Reiterberger könnte eine Möglichkeit sein.»
Das ist alles. Ich habe nicht geantwortet.
Reiterberger hat auf meiner Liste momentan keine Priorität. Wie könnte ich Yamaha, Monster und Sponsoren wie Black & Decker erklären, dass er ein Kandidat ist? Die haben alle von diesem Kerl noch nie gehört.
Ich weiß, dass Reiterberger in Aragón die KTM getestet hat. Aber ich habe keine Ahnung, wie gut er dort war.
Er steht bei uns momentan nicht zur Debatte.
Der einzige Moto2-Fahrer, der keinen Vertrag hat, ist Sandro Cortese. Aber er hat null Erfahrung mit 1000-ccm-Maschinen und entspricht wohl nicht deinem Anforderungsprofil?
Exakt. Für mich würde es mehr Sinn machen, wenn ich Xavi Vierge zurückhaben könnte und das Intact-Team Cortese zurückholt. Aber ich werde nie fragen.
Denn das Intact-Team hat seinen Plan mit Vierge gemacht. Sie haben alles korrekt abgewickelt, das respektiere ich. Deshalb werde ich dort nie anrufen. Niemals.
Auch Sylvain Guintoli wurde ins Spiel gebracht. Aber er hat einen MotoGP-Testfahrervertrag bei Suzuki Ecstar.
Nein, nein. Guintoli ist ein sehr, sehr guter Freund von mir. Ich glaube, er hat eine Vereinbarung mit Suzuki. Für ihn ist es wohl besser, bei einem Werk unter Vertrag zu sein. Er kann mit Suzuki einige Projekte abwickeln, er kann auch bei der Entwicklung des Production-Bikes mitwirken. Vielleicht kann er ein paar Wildcard-Einsätze machen. Das ist sicher die bessere Lösung für ihn.
Vielleicht hat er bei Suzuki sogar eine bessere Gage als bei uns. Und er hat ganz sicher nicht das Profil, das wir suchen.
Vielleicht nehmen wir einen Fahrer, der ähnlich viel Erfahrung hat.
Aber ich will jetzt nichts überstürzen. Ich will mich nicht zur Eile antreiben lassen und eine verrückte Entscheidung treffen.
Es wäre gut, wenn wir beim Sepang-Test von 28. bis 30. Januar jemand auf dem zweiten Motorrad sitzen hätten. Aber wir können auch nur mit Zarco fahren und dann versuchen, jemand für den Thailand-Test im Februar zu finden.
Yamaha hat beim privaten MotoGP-Test von 24. bis 26. Januar fünf Testfahrer in Malaysia. Du könntest also dort Nakasuga oder Nozane fahren lassen?
Absolut richtig.
Ich habe Yamaha gleich wegen Jonas informiert und war sehr positiv überrascht über die Reaktionen.
Die Yamaha-Rennmanager Tsuya und Tsuji haben mir ein sehr nettes E-Mail geschrieben und gesagt, dass sie schockiert sind. Sie waren große Fans von Folger, von seinem fahrerischen Niveau.
Aber jetzt stehen sie hinter mir, sie werden jede Entscheidung von mir akzeptieren. Sie haben sich sehr nett verhalten.
Gestern hatte ich einen wirklich anstrengenden Tag. Es tat gut, zwischendurch so ein rücksichtsvolles Mail zu bekommen. Sehr, sehr nett.
Bob Moore und Jonas Folger haben ihre Entscheidung lange hinausgezögert. Es sieht so aus, als sei Jonas in erster Linie psychisch angeschlagen. Das hat sich bereits im August abgezeichnet. Leidet er an einem Burnout?
Ja, ich stimme völlig zu. Körperlich ist Jonas absolut gesund. Davon bin ich überzeugt. Er trainiert. Das Problem ist das Burn-out. Das Problem steckt im Kopf. Zu 100 Prozent, ganz klar, ganz klar.
Und dagegen kann man nicht ankämpfen.
Ich habe gestern mit Jonas telefoniert. Ich habe ihm klargemacht: «Die Entscheidung, die du jetzt triffst, kann gleichbedeutend mit deinem Karriereende sein.»
Er hat entgegnet: «Ich weiß es, Hervé. Aber ich bin nicht in der Lage, es zu machen, ich spüre, es geht nicht. Ich spüre, dass ich deine Erwartungen nicht erfüllen kann. Das wird nichts. Ich brauche eine Pause und muss aus dieser MotoGP-Welt rauskommen.»
Ich respektiere das. Sicher, Jonas hat mich in eine brenzlige Situation gebracht. Ich stecke in Schwierigkeiten, denn wir haben Verpflichtungen gegenüber Yamaha, der Dorna und meinen Sponsoren. Ich habe ein Team, das auf zwei Fahrer ausgerichtet ist.
Ich habe viel Personal, das jetzt wartet, ob sie nach Sepang gehen werden. Ich denke, ich werde sie in Marsch setzen.
Aber ob sie dann dort was zu tun haben, weiß ich nicht.
Meine Situation ist ungemütlich.
Aber Jonas hat klargestellt, dass er nicht in der Lage ist, 2018 Rennen zu fahren. Damit muss ich leben.
Es ist schwierig, das Team neu zu organisieren.
Es wird nicht einfach, eine Lösung für 2018 zu finden. Wir werden vielleicht zu einer Lösung kommen, die nur 50 Prozent von dem bringt, was wir erwartet haben.