Mike Leitner (KTM): «Wir können Zarco nicht zwingen»
Mike Leitner mit Johann Zarco
Das Red Bull KTM Factory Team muss für 2020 einen neuen Teamkollegen für Pol Espargaró suchen, der nach elf Rennen in der MotoGP-WM an elfter Stelle liegt. Denn Johann Zarco hat beim GP von Österreich in Spielberg vor zehn Tagen KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer und Teammanager Mike Leitner am Samstagabend um eine vorzeitige Vertragsauflösung ersucht.
Firmenchef Stefan Pierer hat eingewilligt, er hatte bereits am Freitag gegenüber SPEEDWEEK.com durchblicken lassen, Zarco leide an Burnout-Symptomen, das habe eine Untersuchung im Trainings und Diagnose Zentrum von Red Bull in Thalgau ergeben. Pierer meinte, man müsse Zarco helfen und denke darüber nach, ihn «für ein oder zwei Rennen aus dem Verkehr zu ziehen».
SPEEDWEEK.com sprach mit Mike Leitner über die Kündigung von Zarco, die Probleme des unbestritten schnellen Franzosen und was alles getan wird, um die KTM RC16 fahrbarer zu machen.
Mike, am Sonntag in Spielberg war selbst Stefan Pierer nicht sicher, ob Johann Zarco alle restlichen MotoGP-Rennen 2019 bestreiten wird. Aber inzwischen geht das Team davon aus?
Ja, momentan gehen wir davon aus. Das ist einmal der jetzige Stand.
Man wird schauen, wie sich die Saison weiterentwickelt.
Aber der Plan wäre schon, dass der Johann die Saison fertig fährt.
Er hat jetzt sicher auch weniger Druck. Jetzt schauen wir, wie er mit dieser Situation umgeht.
Wie überrascht warst du, als Zarco am Samstag in Spielberg die Vertragsauflösung nach der Saison 2019 gebeten hat?
Das war schon überraschend, muss ich sagen. Da waren wir alle drei baff.
Aber jetzt ist es so. Es ist eine Fahrerentscheidung. Wir werden sicher nie einen Fahrer zwingen, mit einem Motorrad zu fahren, auf dem er sich nicht wohlfühlt.
Deshalb haben wir dieser Lösung zugestimmt.
KTM hat bei Johann Zarco einiges schlucken müssen. Das begann in Jerez («shit chassis, shit power delivery») und setzte sich mit der Aufgabe in Assen fort; in Brünn packte er beim Montag-Test um 13 Uhr ein. Dazu bemerkte er beim deutschen WM-Lauf, KTM habe bisher bei ihm 1000 Sachen probiert, aber nichts davon habe funktioniert.
Wir haben uns da sehr loyal verhalten und haben diese Vorkommnisse eingesteckt und sie hingenommen.
Aber happy waren wir damit nicht.
Wir haben versucht, dem Fahrer zu helfen, so gut es ging.
Aber wenn sich der Fahrer selber keine Hoffnungen mehr macht, dann muss er so eine Entscheidung treffen.
Stefan Pierer sprach von einem Burnout. Zarco hatte in Assen, nach zehn Runden keine Kraft mehr, um das Motorrad zu kontrollieren. Das hört sich tatsächlich nach schwerwiegenden Problemen an, die nicht allein körperlicher Natur sind. Es wird vermutet, Zarco habe die Trennung von Manager Fellon noch nicht verarbeitet, es sei ihm alles über den Kopf gewachsen.
Ja, das sind Sachen, die können wir als Team nicht beeinflussen.
Wenn ein Fahrer bei uns unterschreibt, wissen wir zu diesem Zeitpunkt gar nicht, wie das Verhältnis zwischen ihm und seinem Manager aussieht.
Pol, Miguel und Hafizh haben die Challenge angenommen. Der Johann hat sich halt mehr erwartet, glaube ich. Dass es dann anders gekommen ist, hat ihn deprimiert.
Man sieht ja bei den anderen Fahrern, dass man mit unserem Motorrad mittlerweile gute Resultate erzielen kann.
Man kann mit der KTM sicher nicht um einen GP-Sieg fighten, aber man kann damit eine anständige Performance abliefern.
Über den körperlichen Zustand von Johann Zarco werde ich mich nicht äußern. Das ist nicht meine Abteilung. Darüber muss der Fahrer selbst am besten Bescheid wissen.
Falls Zarco nicht mehr alle Rennen 2019 bestreiten will, wird Kallio einspringen?
Ja, unser offizieller Ersatzfahrer ist Mika Kallio. Dann würde er auf dem Motorrad sitzen.
Wie sieht der technische Stand bei deinen vier KTM-MotoGP-Piloten in England aus? Haben die Tech3-Fahrer Oliveira und Syahrin inzwischen identisches Material wie das Factory Team?
Wir haben in den letzten Wochen viel neues Material an die Strecke gebracht. Aber ich kann nicht im Detail sagen, welcher Fahrer welches Material verwendet. Die Tech3-Mannschaft hat auf jeden Fall einen sehr, sehr ähnlichen Stand wie das Werksteam.
Zarco, Oliveira und Syahrin haben jetzt teilweise ein Paket zur Verfügung, das Testfahrer Dani Pedrosa entwickelt hat.
Da geht es in erster Linie um das Setting. Sie gehen mehr in eine Richtung, wie sie Dani fährt und bevorzugt. Mittlerweile hat von diesen Settings auch Pol Espargharó schon ein paar Sachen probiert.
Geht es da in erster Linie um eine sanftere Kraftentfaltung?
Nein, es geht auch um Chassis-Setting, dazu um Motoren-Mappings und solche Sachen. Wir arbeiten an der Verbesserung der Fahrbarkeit. Und natürlich will jeder Fahrer, dass wir den Hinterreifen im Rennen länger am Leben erhalten können.
Das ist das Hauptaugenmerk.
Wie stark wird KTM in Silverstone sein?
Unsere Leistungen sind überall recht ausgeglichen. Es wird darauf ankommen, wie gut der neue Asphalt funktioniert. Darüber wissen wir bisher gar nichts. Wir gehen davon aus, dass wir auch in Silverstone ähnliche Ergebnisse erreichen können wie bei den letzten Grand Prix.
Wir haben diesmal vier statt drei unterschiedliche Reifen-Compounds. Aber genau werden wir unsere Chancen erst einschätzen können, wenn wir den Griplevel am Freitag gesehen haben. Unser Ziel wird wieder sein, um einstellige Rennergebnisse zu kämpfen.