Andrea Iannone: Von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen
Andrea Iannone
Das Urteil des Motorradweltverbands FIM steht noch aus. Aber man muss davon ausgehen, dass Aprilia-Werksfahrer Andrea Iannone (30) für seine beiden positiven Dopingproben nach dem Rennen in Sepang am 3. November die Konsequenzen tragen muss. Ob er drei oder sechs Monate oder ein Jahr gesperrt wird, lässt sich vorläufig nicht beurteilen. In der Vergangenheit hat die FIM bei Dopingvergehen oft seltsame Entscheidungen getroffen. Es existiert offenbar kein rigoroser, klarer Strafenkatalog wie in anderen Sportarten. Die Testergebnisse lassen mitunter ein halbes Jahr auf sich warten – so war es bei Anthony West im Jahr 2012. Er durfte nach dem positiven Test in Le Mans noch die ganze Saison weiterfahren. Das ist inakzeptabel, unverständlich, unprofessionell – und unfair für die sauberen Gegner.
Bisher hat quasi noch nie ein Dopingsünder in irgendeiner Sportart, ob Radsport, Triathlon, Leichtathletik oder Skilanglauf, ein Geständnis abgelegt. Bei Iannone ist es nicht anders. Aber seine Verteidigungsstrategie hört sich besonders dilettantisch an.
Er sei im Herbst im Oktober und November für vier Grand Prix (Buriram, Motegi, Phillip Island und Sepang) in Übersee gewesen. Dort habe er viele Steaks verzehrt, und man wisse ja, dass in Asien die Rinder gern mit Steroiden präpariert werden. Außerdem: Die Konzentration der verbotenen Substanz sei mit 1,150 Nanogramm pro Milliliter gering, war aus dem Iannone-Lager zu hören.
Das mag schon sein. Aber Niki Lauda hat in Zolder einmal wegen 0,5 kg Untergewicht einen Formel-1-Sieg verloren. Fabio Quartararo hat wegen 0,05 bar zu wenig Luft im Hinterreifen 2018 den Moto2-Sieg in Motegi verspielt. Wenn nur 20 Liter Sprit erlaubt sind, drückt bei einem Tankinhalt von 20,2 Liter kein Kommissar ein Auge zu. Und wenn der Hubraum mit 1000 ccm festgesetzt ist, darf niemand mit 1001 ccm um die Wette fahren.
Wer in angeblich gefährdeten Gebieten zu viele Steaks verspeist, ist selber schuld. Von einem Italener wie Iannone sollte man meinen, er bevorzuge die mediterrane Küche, also auch viel Fisch (der nicht mit anabolen Steroiden vollgepumpt werden kann) und Teigwaren.
Wer sich nicht für die Liste der verbotenen Substanzen interessiert, darf nachher nicht das Unschuldslamm mimen, nachdem er auf frischer Tat ertappt wurde.
Der Anwalt von Iannone, Antonio De Rensis, reiste gemeinsam mit dem herangezogenen Berater Alberto Salomone, Antidoping-Experte und Chemiker an der Universität Turin, Anfang der Woche nach Dresden, um bei der Öffnung der B-Probe anwesend zu sein.
Keine Überraschung: Auch sie fiel positiv aus.
Andrea Iannone:
Es soll jetzt niemand behaupten, ein Dopingvergehen sei ein Kavaliersdelikt. Es geht hier um nichts anders als Betrug und um den Versuch einer illegalen Leistungssteigerung. Im Radsport und im nordischen Skilanglauf gab es in den letzten Jahren Dutzende Razzien, Verhaftungen, staatsanwaltliche Ermittlungen und Gerichtsverfahren.
Klar, wie jeder Mensch verdient Andrea Iannone nach Verbüßung seiner Sperre eine zweite Chance. Auch West und Fenati bekamen sie.
Tatsache ist aber: Die Fédération Internationale de Motocyclisme (FIM) fand bei einer Kontrolle beim Sepang-GP im November die Substanz «Exogenous Anabolic Androgenic Steroids» (AAS) im Urin von Iannone, die 2019 auf der Liste der verbotenen Mittel steht. Offenbar ist die erlaubte Dosis des verbotenen Stoffes Drostanolon überschritten worden.
BSB-Champion Scott Redding schrieb zur Meldung von Iannones Suspendierung auf seinem Instagram-Account: «Interessant. Testet mehr Fahrer regelmäßiger, damit der Sport sauber bleibt. Oder würde es dadurch einige unerwartete Überraschungen geben?»
Cal Crutchlow forderte schon 2018 strengere Doping-Kontrollen: «Wer glaubt, dass im besten Motorradsport der Welt niemand versucht, den einfachen Weg zu gehen, ist meiner Meinung nach dumm», meinte der LCR-Honda-Pilot, der mit Rennradprofi Mark Cavendish eng befreundet ist. Cal versicherte: «Ich wurde einmal in 365 Tagen getestet.»
Die Rennfahrerkollegen sind von Iannone enttäuscht: Denn seinetwegen wird eine populäre Sportart weltweit in den Dreck gezogen und skandalisiert.
Ein Blick in die Statistik der der Welt Anti Doping Agentur (WADA) zeigt: Im Motorradsport – dazu zählen neben Straßenrennsport unter anderem auch Motocross, Supercross, Speedway, Enduro, Supermoto, Trial, Quad, Cross-Country und Endurance – wurden 2017 insgesamt 433 Proben auf verbotene Substanzen untersucht. Neun davon fielen positiv aus, das entspricht 2,1 Prozent.
Zum Vergleich: Im Radsport waren es im selben Zeitraum 23.575 Kontrollen, wobei der Befund in 280 Fällen (1,2 Prozent) positiv ausfiel. Im Wassersport (Schwimmen, Tauchen, Synchronschwimmen, Wasserball) waren es 15.138 Proben bei 64 positiven Tests (0,4 Prozent). Sogar im Segelsport gab es 567 Kontrollen, wobei deren drei (0,5 Prozent) auffällig waren.
Die FIM-Richter müssen jetzt in absehbarer Zeit zu einem Urteil kommen – am besten noch im Januar. Denn Aprilia muss bei einer Sperre den Testfahrer Bradley Smith zum Stammfahrer befördern – und womöglich einen neuen Testfahrer verpflichten.
Theoretisch könnte Iannone, MotoGP-Sieger in Spielberg 2016 auf Ducati, alle privaten MotoGP-Tests bestreiten, dafür braucht er keine Lizenz. Aber ob das das richtige Signal für die Dopingbekämpfung wäre, darf man bezweifeln. Im Radrennsport müssen sich die Athleten für die Dauer ihrer Sperre sogar von Hobbyrennen fernhalten. Lance Armstrong, ein ehemaliger Triathlet, darf wegen seiner Sperre nicht einmal an Schwimm- oder Laufwettbewerben teilnehmen.
Andrea Iannone ist kein Opfer, sondern Täter. Dieser begnadete Motorradrennfahrer ist in den letzten Jahren in zahlreiche Fettnäpfchen (Krach mit Suzuki, misslungene Schönheits-OP, Bentley vom Zoll in Italien beschlagnahmt usw.) getreten. Er hat seinem Künstlernamen «The Maniac» (der Verrückte) meist alle Ehre gemacht.
Es bleibt zu hoffen, dass er nach diesem Schlamassel seine Lehren zieht und nach der Sperre seine ins Trudeln geratene Karriere rettet.