Misano: Tickets zu teuer, wieder Zuschauerschlappe
Die beiden MotoGP-Events auf italienischem Boden in Mugello und Misano litten unter akutem Zuschauerschwund. Das hat einerseits mit dem Rückzug von Ikone Valentino Rossi zu tun, anderseits gibt es auch einige weitere Gründe für den bescheidenen Publikumsaufmarsch.
In Mugello (27. bis 29. Mai) hatte der Bürgermeister von Scarperia im Februar verordnet, dass für den Italien-GP 2022 wegen der Covid19-Pandemie nur 60 Prozent der möglichen Eintrittskarten verkauft werden dürfen. Daraufhin wurden vom Veranstalter die Eintrittspreise saftig erhöht, um die Gebühr der Dorna (4 bis 5 Millionen Euro) trotzdem bezahlen zu können. Das war ein riskantes und kurzsichtiges Manöver – im Hinblick auf die Abwesenheit von Valentino Rossi, der die Fans in der Toskana über Jahrzehnte hinweg begeistert hat.
Die triste Bilanz in Mugello:
Freitag: 10.815 Zuschauer
Samstag: 19.602 Zuschauer
Sonntag: 43.661 Zuschauer
Ein Zuschauer-Transparent in Mugello sprach Bände. «Il Mugello senza Vale è come un night senza figa», stand dazu lesen. Das heisst: Ein Mugello ohne Vale ist wie ein Nachtclub ohne Frauen.
Die Betreiber des Autodromo Internazionale del Mugello, das zum Fiat-Ferrari-Konzern gehört, hatten auch im benachbarten Ausland keine Werbung für den Event gemacht und sich wegen der Zuschauerschlappe (total nur 74.078 Zuschauer an drei Tagen) auch den Unmut von WM-Vermarkter Dorna zugezogen.
Denn in Portimão und Jerez liess das Interesse auch 2022 nicht zu wünschen übrig. Mit einem neuen Zuschauerrekord in Le Mans hatte sich zwei Wochen vor dem Mugello-GP gezeigt, dass die Weltmeisterschaft 2022 auch ohne Rossi eine Attraktion geblieben ist. Zumal mit Ducati und Aprilia zwei italienische Werke um den MotoGP-WM-Titel kämpfen und ein halbes Dutzend starker heimischer Fahrer für Begeisterung sorgt.
Auch vor einer Woche in Misano blieben viele Plätze leer, obwohl zahlreiche Besucher noch gültige Karten von 2020 oder 2021 besaßen.
Außerdem boten die Misano-Veranstalter ein wesentlich besseres Rahmenprogramm mit zwei MotoE-Rennen und dem Moto3-JuniorGP-Wettkampf als der Mugello-Promoter. In Misano fand am Mittwoch sogar ein Fußballmatch statt, dessen Schauplatz aber die meisten Fans nicht ausfindig machen konnten.
Die bescheidene Zuschauer-Bilanz von Misano:
Freitag: 18.859 Zuschauer
Samstag: 25.300 Zuschauer
Sonntag: 56.981 Zuschauer
Das entsprach total 101.440 Fans an drei Tagen.
Zum Vergleich: 2019 erschienen am Sonntag noch 96.758 Zuschauer, insgesamt 159.120.
2016 wurden am Sonntag in Misano sogar 100.496 Tickets verkauft, an drei Tagen 158.396.
Jetzt grübeln die Verantwortlichen über die Ursachen des Zuschauerrückgangs, wobei nach dem Frankreich-GP auch der Deutschland-GP ausverkauft war und in Spielberg am Sonntag 92.035 Zuschauer gemeldet wurden. Total kamen in diesem Jahr an drei Tagen 167.850 Besucher ins steirische Murtal.
Auch die Dutch-TT in Assen Ende Juni war tadellos besucht: 104.244 Fans am Sonntag, stattliche 158.298 an drei Tagen.
Hausgemachte Probleme
Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass manche Probleme beim Ticketverkauf hausgemacht sind. In Silverstone spielte zum Beispiel das Fehlen eines starken Lokalmatadors mit, nachdem sich die Engländer von Cal Crutchlow über Scott Redding bis zu Bradley Smith aus der MotoGP-Klasse verabschiedet haben. Und mit der wirtschaftlichen Situation ist es nach dem Brexit in Großbritannien auch nicht zum Besten bestellt.
Klar, in Italien sind die Auswirkungen des Ukraine-Krieges, der Inflation, der gestiegen Treibstoffpreise und der ungewissen Energieversorgung sowie der politischen Instabilität (wieder Neuwahlen am 25. September) überall zu spüren.
Aber wenn ein Geschäftszweig (wie MotoGP in Italien) mit Umsatzrückgängen zu kämpfen hat und vor dem Misano-GP die Vorverkäufe zu wünschen übrig ließen, müssten halt mit geschickten Marketing-Maßnahmen zusätzliche Zuschauer angelockt werden.
Doch aufmerksamen Beobachtern fiel auf dem Misano World Circuit schon am Freitag und Samstag auf, dass einige Tribünen fast leer blieben, die letztes Jahr beim Rossi-Abschied im September und Oktober noch ausverkauft waren.
Der Veranstalter hat jedoch aus dem schleppenden Vorverkauf keine Lehren gezogen. Es gab keine Last-Minute-Schnäppchen, obwohl WM-Promoter Dorna im Fernsehen keine leeren Tribünen zur Schau stellen will. «Das ist das Letzte, was wir jetzt nach zwei Jahren Corona brauchen», erklärte Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta beim Mugello-GP.
SPEEDWEEK.com traf beim Misano-GP etliche GP-Fans aus Deutschland, die sich über die hohen Preise wunderten und zum Beispiel für zwei Personen 537 Euro für zwei Weekend-Tribünenplätze bezahlten. Selbst für einen Stehplatz wurden € 90.- pro Tag (!) verlangt.
Dazu wurde von den Fans in der brütenden Hitze die unzureichende Anzahl von Toiletten bemängelt, die Tribünenplätze färbten ab und hinterließen die frische weiße Farbe auf den Jeans und kurzen Hosen. Ein Bier kostete € 7.- und ein Sandwich ebenfalls, eine 0,3-Liter-Flasche Mineralwasser € 5.-
Offenbar haben sich die gesamte Gastromonie und die übrigens Wirtschaftstreibenden noch nicht auf die veränderte Situation eingestellt. Sie betrachten die GP-Zuschauer weiter als Melkkühe, aber die Quittung folgte auf dem Fuß.
Misano: Stehplatz für 90 Euro am Tag
Selbst eingefleischte GP-Fans reisten zwar aus Deutschland an, um die Atmosphäre zu genießen, sie schauten am Dienstag aufs Rossis VR46-Ranch vorbei und holten sich ein Selfie mit dem neunfachen Weltmeister, der am Misano-Weekend in Hockenheim das 3-h-Sportwagenrennen im Audi bestritt. Dazu wurde das Fußballmatch mit den GP-Piloten besucht.
Täglich wurde nachher noch in der Umgebung der Rennstrecke herumgestöbert, der Motorenlärm genossen, es wurde Geld für Merchandising-Artikel ausgegeben, wobei die Bagnaia-Bekleidung bereits am Mittwoch ausverkauft war.
Aber zahlreiche Rossi-Fans kauften keine Eintrittskarten mehr. Kein Wunder angesichts der Mondpreise: Selbst Stehplatzkarten kosteten 90 Euro pro Tag.
Und die junge Fahrer-Generation mit Bagnaia, Bastianini, Quartararo und Marini löst bei vielen Fans vorläufig weniger Emotionen aus bisher als Rossi und Marc Márquez, der ebenfalls fehlte.
«In Assen kostet ein Stehplatz 20 Euro, auch auf dem Sachsenring sind sie billiger geworden», berichtete der deutsche Superfan Marius Knößl (28), der sich erst am Dienstag beim MotoGP-Test auf die Tribüne setzte.
Denn da kostete eine Tageskarte nur noch 10 Euro.