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Wie lang macht Marc Márquez das Honda-Theater mit?

Von Günther Wiesinger
«Mit diesem Motorrad werden wir 2023 nicht um die WM kämpfen können», ätzte ein missmutiger Marc Márquez im November. Wann verliert er die Geduld mit Honda? Vielleicht schon vor dem Vertragsende?

Der Honda-Superstar will nach drei vermurksten Jahren endlich wieder Weltmeister werden. In den letzten Monaten äußerte Marc Márquez jedoch mehrmals deutliche Kritik gegenüber Honda, weil die diesjährige RC213V auf keinem Gebiet konkurrenzfähig war, weder im Qualifying noch in der Rennpace.

Der Spanier hat 2021 noch drei MotoGP-Siege errungen, trotz des krummen rechten Oberarms. In der Saison 2022 gelang ihm nur ein Podestplatz – mit Platz 2 beim turbulenten Australien-GP auf Phillip Island.

Marc Márquez wurde nach dem Mugello-GP Anfang Juni in Amerika zum vierten Mal am rechten Oberarm operiert. Er kehrte dann erst beim Misano-Test Anfang September auf das Motorrad zurück, besuchte aber im August den Österreich-GP in Spielberg. Dort stellte er fest: «Honda muss die Herangehensweise grundlegend ändern.»

Seither stellte Marc Ducati und die anderen europäischen Werke immer wieder als Musterbeispiele für technische Innovation und beispielhafte Entwicklungsgeschwindigkeit dar.

Er weiß auch: Nicht zuletzt wegen der kürzeren Wege hat Honda zum Beispiel die Formel-1-Motorenentwicklung schon vor sechs Jahren nach Milton Keynes in England verlagert.

Die Honda-Manager pochten zuletzt gerne darauf, die Pandemie habe die Entwicklung behindert. Doch Suzuki und Yamaha haben 2020 und 2021 die MotoGP-WM dominiert – und auch 2022 Siege errungen.

Der 59-fache MotoGP-Sieger Marc Márquez hätte sich im Mai mitten in der Rennsaison nicht zur Oberarm-Operation entschieden, wenn Honda konkurrenzfähig gewesen wäre. Doch in Mugello schaffte er mit Ach und Krach den zehnten Platz. Und er wusste: Es sind für in den nächsten Monaten keine vielversprechenden neuen Technik-Updates in Sicht.

Tatsächlich blieb die Honda-RC213V technisch bis Misano und zum Comeback des Superstars weitgehend unverändert.

Deshalb wuchs auch bei den restlichen HRC-Piloten wie Pol Espargaró, Alex Márquez und Taka Nakagami die Verärgerung.

Wobei sich der Japaner erst ab September kritisch über HRC äußerte, nachdem sein MotoGP-Vertrag verlängert und Ai Ogura zu einer weiteren Moto2-Saison verdonnert worden war.

Auch Test- und Ersatzfahrer Stefan Bradl hielt nicht mit Kritik gegenüber Honda hinter dem Berg. Vor allem nach dem Heim-GP auf dem Sachsenring, wo Honda erstmals seit 40 Jahren in der Königsklasse keinen einzigen Punkt kassierte. Drei Fahrer schieden aus, Bradl verbrannte sich wegen unzureichender Luftzufuhr am heißen Chassis die Füße.

«Ich frage mich, warum, ich nicht an die Box gefahren bin», wetterte der zornige Bayer.

Nach Platz 2 beim Australien-GP: «Uns läuft die Zeit davon»

Marc Márquez gelang mit Platz 2 in Phillip Island nur ein einzelnes Saison-Highlight.

Eine Woche später erlebte er mit Platz 7 in Sepang die nächste Enttäuschung. «Wir brauchen mehr als einen Entwicklungsschritt», betonte er danach. Er wusste damals schon, dass auch beim Valencia-Test am 8. November nach dem GP-Finale keine neuen technischen Wunderdinge auf ihn warten würden. Deshalb fügte er niedergeschlagen hinzu: «Uns läuft die Zeit davon.»

Diesen Eindruck wurden auch die anderen Honda-Piloten nicht los. Das Quartett beendete die Fahrer-WM auf den Rängen 13 bis 18. und errang bei 20 Rennen nur zwei Podestplätze. Ducati sammelte deren 32 ein.

Von 2013 bis inklusive 2019 konnten sich die Honda-Manager darauf verlassen, dass Marc Márquez alle technischen Nachteile des Bikes durch grenzenlose Einsatzbereitschaft, Risikobereitschaft und seinen nur mäßig ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb ausgleichen würde, auch mit dem Risiko, jedes Jahr 30 bis 35mal zu stürzen.

Doch beim Jerez-GP im Juli 2020 brachte er das Fass zum Überlaufen.

Honda: Kokubu als neuer starker Mann?

Bis Ende 2016 führten bei HRC der Vizepräsident Shuhei Nakamoto und Teamprinzipal Livio Suppo Regie. Sie kümmerten sich wegen der Siegesserie von Marc Márquez nie großartig um das Entdecken neuer Talente, wie es bei Suzuki, Ducati und KTM passierte.

Marc Márquez räumte ja einen Sieg und einen WM-Titel nach dem andern ab. Sechsmal gewann er die WM in den sieben Jahren von 2013 bis 2019.

Für die Saison 2017 installierte HRC ein Quartett von Managern. Als neuer starker Mann galt Takeo Yokoyama, der als Technical Director fungierte und von Tetsuhiro Kuwata (General Manager), Shinichi Kokubu (HRC-Director) sowie Shigehisa Fujita (General Manager in der Administration Division) unterstützt wurde.

Beim Silverstone-GP 2022 wurde offenkundig, dass Yokoyama gehen muss, obwohl HRC diese Maßnahme selbst beim Misano-GP noch heftig dementierte.

Dort gab es die nächste Bankrotterklärung, als Honda in Misano im September plötzlich eine Alu-Schwinge von Kalex testete, während die Konkurrenz mit Karbonschwingen von Sieg zu Sieg eilte. Aber immerhin erwies sich das Kalex-Erzeugnis dem japanischen als überlegen.

Offenbar wollten die HRC-Manager dem entrüsteten Marc Márquez manchmal nur weismachen, dass jetzt Nägel mit Köpfen gemacht werden. Manches sah nach Augenauswischerei aus.

So wie das Märchen von Sepang, als Marc Márquez erfreut von einem «neuen Chassis» berichtete, was ihn glauben ließ, Honda sei unermüdlich am Entwickeln.

Doch aus dem LCR-Team war in Malaysia zu hören, dieses Chassis sei von Nakagami längst einmal probiert und wegen Unbrauchbarkeit wieder entsorgt worden.

Der Japaner stellte irgendwann genauso wie Pol Espargaró und Alex Márquez fest: «Wir haben seit dem Saisonauftakt in Doha nichts Neues bekommen, was uns irgendwie weitergebracht hätte.»

Als ziemlich größte Baustelle entpuppte sich bei Honda 2022 die veraltete Aerodynamik, und die Aero-Updates erwiesen sich als Fehlschläge.

Am Ende fiel dem weltgrößten Motorrad-Hersteller nichts anderes ein, als mit ein paar Wochen Abstand einfach die Dinosaurier-Heckflügel von Ducati zu kopieren.

Nicht nur Alex Márquez ist längst überzeugt, Honda habe die Geduld seines Bruders inzwischen überstrapaziert.

Alex meint, sobald er seinen kleineren, aber älteren Bruder 2023 mit der Gresini-Ducati-GP22 besiege, werde der sechsfache MotoGP-Weltmeister über einen Markenwechsel nachdenken.

Auch die Neuzugänge Joan Mir (Repsol) und Alex Rins (LCR) wollen bei Honda Fortschritte sehen. Bei Suzuki sind sie 2020 Weltmeister und WM-Dritter geworden. Rins hat 2022 zwei der letzten drei Rennen gewonnen.

Der diesjährige Suzuki-Teamchef Livio Suppo, bei HRC nach 2016 abserviert, tat schadenfroh die Überzeugung kund, Marc Márquez werde bei HRC die Motivation verlieren, wenn er 2023 wieder nicht um die Weltmeisterschaft kämpfen kann.

Marc wird im Februar 30 Jahre alt, sein Vertrag mit HRC läuft Ende 2024 aus.

Er hat nicht mehr ewig Zeit, wenn er noch einmal World Champion werden will.

Und auch Zarco, Lorenzo, Viñales und Dovizioso haben in den letzten Jahren ihre Werksverträge frühzeitig beendet.

Nach dem Valencia-Test am 8. November tat Marc Márquez (er kam über Rang 13 nicht hinaus)  gegenüber seinem Arbeitgeber Honda klar zum Ausdruck: «Mit dem Motorrad, das wir hier bekommen haben, werden wir 2023 nicht um die WM kämpfen.»

Von HRC erwartet der 59-fache MotoGP-Sieger für den Sepang-Test (10. bis 12. Februar 2023) deutlich mehr Neuerungen und Updates, ließ er unmissverständlich durchblicken.

Seit dem Misano-GP deutet einiges darauf hin, dass jetzt bei HRC in erster Linie Shinichi Kokubu das Kommando übernehmen wird.

Ob er in der Lage ist, für frischen Wind zu sorgen, bleibt abzuwarten.

Ein dynamischer Neuanfang, wie ihn Yamaha nach 2018 vollführt hat, sieht anders aus.

Denn Kokubu mischt im GP-Sport seit mehr als zehn Jahren an vorderster Front dabei, schon bei der Entstehung der NSF 250RW für die Moto3-WM wirkte er mit.

Neue Besen kehren gut, lautet ein Sprichwort.

Aber vorläufig sieht es so aus, als würde bei HRC der alte Trott fortgesetzt.

Darüber kann auch die jüngste Crew-Chief-Rochade mit Giacomo Guidotti (von LCR zurück zu Repsol), Klaus Nöhles (vom Testteam zu LCR und Nakagami) Ramon Aurín (von Repsol zum Testteam) nicht hinwegtäuschen.

Valencia-Test, MotoGP (8. November):

1. Marini, Ducati, 1:30,032 min
2. Viñales, Aprilia, + 0,225 sec
3. Bezzecchi, Ducati, + 0,230
4. Oliveira, Aprilia, + 0,335
5. Aleix Espargaró, Aprilia, + 0,366
6. Di Giannantonio, Ducati, + 0,451
7. Brad Binder, KTM, + 0,464
8. Martin, Ducati, + 0,544
9. Quartararo, Yamaha, + 0,546
10. Bastianini, Ducati, + 0,560
11. Zarco, Ducati, + 0,594
12. Bagnaia, Ducati, + 0,623
13. Marc Márquez, Honda, + 0,644
14. Morbidelli, Yamaha, + 0,659
15. Álex Márquez, Ducati, + 0,680
16. Pol Espargaró, GASGAS, + 0,725
17. Miller, KTM, + 0,755
18. Mir, Honda, +0,882
19. Nakagami, Honda, + 1,049
20. Rins, Honda, +1,196
21. Raúl Fernández, Aprilia, +1,308
22. Augusto Fernández, GASGAS, + 1,698
23. Pirro, Ducati, + 2,773

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