Trackhouse Racing: «Wir lassen uns nicht einbremsen»
Eigentlich hat sich schon seit Juli abgezeichnet, dass die kurzfristigen Pläne des vor einem Jahr gegründeten schummrigen CryptoDATA-RNF-Aprilia-Teams eine begrenzte Haltbarkeitsdauer haben. Der KTM-Vorstandsvorsitzende Stefan Pierer rechnete schon im Sommer damit, dass ihm die zwei MotoGP-Slots dieses rumänisch-malaysischen Rennstalls für 2024 und damit ein zweites Kundenteam neben GASGAS Tech3 in die Hände fallen könnte.
Doch schon beim Österreich-GP (18. bis 20. August) in Spielberg trat eine Abordnung von Trackhouse Racing im MotoGP-Fahrerlager in Erscheinung, stellte sich bei einigen MotoGP-Teams vor, auch beim Yamaha-Werksteam, und erkundete die Einstiegsmöglichkeiten und die MotoGP-Kundenteam-Übernahmemodalitäten für einen US-Investor.
Als Consultant und Türöffner trat Jeremy Appleton auf, der jahrelang bei Alpinestars und Triumph tätig war und mit seiner Firma «Rhinochaser» immer wieder Deals einfädelte und Sponsoren aquirierte.
Als sich der Zusammenbruch des RNF-Teams bei den Übersee-Rennen immer klarer anbahnte und das Zerwürfnis zwischen den Teameigentümern im Rücktritt von Teamprinzipal und 40-Prozent-Eigentümer Razlan Razali (51) gipfelte, wurden die Kontakte ud Gespräche zwischen Trackhouse und Aprilia Racing sowie dem «MotoGP Participation Committee» (bestehend aus IRTA, FIM und Dorna) immer enger und konkreter.
Inzwischen machten sich auch die Dorna-Verantwortlichen Sorgen um die Stabilität von RNF, das als eines von sechs MotoGP-Kundenteams bis 2026 unter Vertrag war. Da nach dem Rückzug von Suzuki Ecstar Ende 2022 und der Reduzierung des Startfelds von 24 auf 22 Bikes kein weiterer Verlust von Startplätzen erwünscht war und sich die finanziellen Ungereimtheiten in Zusammenhang mit der CryptoData-Mannschaft verdichteten, wurden neue Kandidaten für die beiden Slots geprüft.
Die Pierer-Application kam nicht in Frage, weil das Komitee kein drittes KTM-Team, sondern das einzige Aprilia-Satellitenteam am Leben erhalten wollte. Leopard Racing bekam zum wiederholten Male eine Absage für die «premier class»; allmählich kristallisierte sich hingegen Trackhouse-Chef Justin Marks als Favorit für die beiden Teamplätze heraus.
CryptoDATA-CEO Ovidiu Toma mimte in Valencia im SPEEDWEEK.com-Interview am vorletzten Sonntag (26.11.) den seriösen Geschäftsmann. Tags darauf drohte er eine Klage gegen die Dorna wegen Vertragsbruchs an. Aber keine 24 Stunden später saß er am 28.11. mit Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta in Madrid an einem Tisch und verhandelte über eine finanzielle Entschädigung für den «einvernehmlichen» Rückzug.
RNF: Innerhalb von 48 Stunden alles verloren
Sehr friedlich ist diese Trennung freilich nicht vonstatten gegangen, denn das «MotoGP Participation Committee» hat RNF bereits am vorletzten Montagvormittag (27.11.) die beiden Startplätze aberkannt, am selben Abend kündigte auch Aprilia Racing den Vertrag als Motorradlieferant für 2024. Damit stand RNF ohne Slots und ohne Material da. Die Fahrer Miguel Oliveira und Raúl Fernández, der am Sonntag in Valencia noch starker Fünfter wurde, standen sowieso immer bei Aprilia unter Vertrag.
Dadurch war der RNF Racing Limited über Nacht die Geschäftsgrundlage abhanden gekommen.
Die Dorna stellte die CryptoDATA-Manager Toma und Maruntis mit einer finanziellen Regelung still, um Trackhouse innerhalb einer Woche die beiden Startplätze offiziell übergeben und die Phase der Ungewissheit rasch beenden zu können.
Toma hatte kurz vor der Einigung gejammert, er habe nicht erwartet, im Jahr 2023 in einer Rennserie zu landen, in der Diktatur herrsche.
Diese Bemerkung war mutmasslich auf Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta gemünzt, der bei Formel-1-Alleinherrscher Bernie Ecclestone viel gelernt hat – und in 30 Jahren mit viel Gespür und Weitblick aus dem von den der FIM herunter gewirtschafteten Motorrad-GP-Sport einen universellen, attraktiven und spektakulären Sport mit hohem Unterhaltungswert geformt hat.
Die Dorna freut sich jetzt über eine «win win»-Situation. Die Spanier sind ein MotoGP-Team losgeworden, das in drei Jahren als Wackelkandidat dreimal den Hauptsponsor verloren hat. Dafür wurde erstmals seit Kenny Roberts ein US-amerikanischer Rennstall als Partner gefunden, der für die Dorna die TV-Rechte-Vermarktung auf dem riesigen US-Markt stärken wird, neue Geldgeber ins Spiel bringt und das zuletzt extrem geringe Interesse am Red Bull US-GP auf dem Circuit of The Americas (COTA) durch geschickte Marketing-Maßnahmen beflügeln wird.
«Es ist großartig zu wissen, dass das Interesse an der MotoGP hoch ist und für 2024 alles garantiert ist», stellte Carlos Ezpeleta, Chief Sporting Officer der Dorna, beim Valencia-GP fest. «Die Applications kamen diesmal aus der ganzen Welt. So eine Situation hatten wir in der Vergangenheit nie. Bisher haben uns immer nur E-Mails aus Italien, Spanien oder aus dem restlichen Europa erreicht, wenn ein MotoGP-Team in Schwierigkeiten steckte. Es fragten immer Leute an, die schon im Paddock waren, aber in einer anderen Klasse.»
Dass Ovidiu Toma manchmal einen sparsamen Umgang mit der Wahrheit pflegt, war offenkundig. Er behauptete, in einem Jahr 7 Millionen Euro in die MotoGP-Teams investiert zu haben. Doch das Budget betrug 11,6 Millionen, die Dorna bezahlte die üblichen Kundenteam-Zuschüsse von 5 Millionen Euro für das Material direkt an Aprilia statt an das Team, dazu gab es Geldgeber wie Sterilgarda, Wispr und so weiter, die ebenfalls Geld einzahlten.
Man muss also kein Mathematik-Genie sein, um zu erkennen, dass CryptoDATA mit seinem Firmendickicht kaum 7 Millionen beigesteuert hat. Sonst hätten zum Beispiel die November-Gehälter pünktlich bezahlt werden können.
Toma teilte SPEEDWEEK.com vor zwei Wochen mit, die offenen Rechnungen machten nur 1 Prozent des Budgets aus. Das wäre dann immerhin ein hübsches Sümmchen € 116.000.- gewesen.
Trackhouse plant Störung des Normalbetriebs
Das neue Trackhouse Racing Team hat inzwischen die beiden MotoGP-Slots von RNF-Aprilia übernommen, wird die gesamte Technikmannschaft beibehalten und Teammanager Wilco Zeelenberg übernehmen, weiter als einziges Aprilia-MotoGP-Kundenteam auftreten, die beiden Fahrer Miguel Oliveira (Moto2-Vizeweltmeister 2018) und Raúl Fernández (Moto2-Vizeweltmeister 2022) weiter beschäftigen und mit PJ Rashidi den bisherigen NASCAR-Teamprinzipal neu zum MotoGP-Teamprinzipal befördern.
Der 42-jährige Justin Marks ist der Besitzer der Trackhouse Entertainment Group, die sich in den USA durch das Trackhouse Racing Team in der NASCAR einen Namen gemacht hat und seine Motorsport-Aktivitäten 2024 durch den MotoGP-Einstieg auf eine globale Ebene hievt.
Die in Nashville, Tennessee, beheimatete Trackhouse-Entertainment Group wird in der Formel 1 des Zweiradsports für einen frischen Wind sorgen. Durch cooles Design, auffällige Teamklamotten, zahlungskräftige neue Sponsoren und einen typisch jovialen amerikanischen Zugang – «life is a beach.»
In der NASCAR hat Trackhouse namhafte Firmen wie Advent Health, Chevrolet, Coca Cola, Freeway Insurance, GoPro, Jockey, Kubota, Moose Fraternity, onx Homes/Renu, Quaker State, Siemens, Tootsies und Worldwide Express als Partner gewonnen.
Justin Marks treibt die Trackhouse-Mannschaft mit seiner beispielhaften und mitreissenden Energie und Leidenschaft an. «Als wir Kinder waren, war die Welt unsere Spielwiese», blendet er zurück. «Und Möglichkeiten sind nur durch unsere Vorstellungskraft eingeschränkt worden. Wir sind auf Spielzeug-Raketen zum Mars geflogen, wir haben im Geiste Leben gerettet und Goldmedaillen gewonnen und sind in unseren Gedanken nur mit den schnellsten Autos um die Wette gefahren.»
«Als wir erwachsen wurden, hat man von uns erwartet, diese Kindheitsträume beiseite zu legen. Aber einige von uns haben sich geweigert, diese Erwartungen zu erfüllen. An die Träumer, an die 'Believer' und alle, die sich immer geweigert haben, erwachsen zu werden – wir werden euch packen und mitnehmen. Und wenn euch jemand sagt: ‘Eure Zeit wird kommen!’ Dann teilt ihnen mit, welche Stunde bereits wirklich geschlagen hat.»
Beim Debüt des Trackhouse NASCAR Racing Teams betonte Justin Marks selbstbewusst: «Wir haben nur aus einem Grund noch keinen Sieg erreicht – weil wir gerade erst hier eingetroffen sind.»
Der begeisterungsfähige Justin Marks erwähnte in einer Motivations-Ansprache auf der Trackhouse-Website auch: «Wenn sich die Fans nach deinem Team umdrehen, revanchier' dich mit einem freundlichen Kopfnicken. Wir lassen uns nicht einbremsen, denn in jeder Sprache existiert ein Begriff für ‘schnell’. Wir kümmern uns nicht um übliche Verhaltensweisen, wir peilen eine Störung des Normalbetriebs an und fordern die traditionellen Regeln heraus. Es wird eine unterhaltsame Fahrt. Das ist Trackhouse!»