Márquez-Vorgänger: Bewegte Gresini-Teamgeschichte
Nach sieben Joint-Venture-Jahren mit Aprilia tritt Gresini Racing seit 2022 wieder als eigenständiges Independent Team in der Königsklasse der Motorrad-WM an. Fausto Gresinis Witwe Nadia Padovani setzte den Traum ihres Mannes mit Unterstützung der gemeinsamen Söhne Lorenzo und Luca sowie des Kaufmännischen Direktors Carlo Merlini entschlossen und erfolgreich um und verbündete sich mit Ducati.
Eigentlich hatte sich Aprilia Racing Hoffnungen darauf gemacht, die Zusammenarbeit mit Gresini fortzuführen – als Kundenteam und nicht wie von 2015 bis 2021 als Partner für die beiden MotoGP-Plätze, die Fausto Gresini gehörten, der am 23. Februar 2021 an den schweren Folgen einer Covid-19-Infektion verstarb. Doch der 125-ccm-Weltmeister von 1985 und 1987 (auf Garelli) hatte insgeheim schon 2020 beschlossen, dass er für die Jahre nach 2021 mit Ducati arbeiten werde.
Denn mit Aprilia hatte er sich auseinandergelebt, die Verantwortlichen in Noale hatten sein Fachwissen nie ausreichend ausgeschöpft, sondern betrachteten ihn mehr als Logistik-Dienstleister. Die Expertise des charismatischen Ex-Weltmeisters war auch bei der Fahrerwahl nicht gefragt.
Im Nachhinein betrachtet erwies sich die Entscheidung für Ducati als goldrichtig: Bereits beim Saisonauftakt 2022 in Doha bescherte Enea Bastianini dem neu aufgestellten Kundenteam auf der GP21 einen siegreichen Einstand und emotionale Szenen. Es war der erste MotoGP-Sieg für Gresini Racing seit Toni Elias beim Portugal-GP 2006 (5621 Tage waren dazwischen vergangen!) und gleichzeitig das erste Mal überhaupt in der MotoGP-Geschichte, dass mit Nadia Padovani eine Frau als siegreiche Teamchefin geehrt wurde.
Zur Erinnerung: Elias setzte sich (damals noch auf Honda) in Estoril am 15. Oktober 2006 um gerade einmal 0,002 sec gegen Valentino Rossi durch. Bis heute ist es die knappste Entscheidung der MotoGP-Ära. Rückblickend weiß man: Die fünf Punkte, die der Spanier dem italienischen Yamaha-Star damals abluchste, fehlten Rossi am Ende in Valencia auf den Titelgewinn.
Zurück zu Bastianini: Die «Bestia» ließ 2022 in Austin, Le Mans und Aragón drei weitere Siege folgen. WM-Rang 3 und die Beförderung ins Ducati-Lenovo-Werksteam waren der Lohn dafür.
Für 2023 verpflichtete Gresini Racing Alex Márquez als Nachfolger, der schon bei seinem zweiten Grand Prix auf der Gresini-Ducati für den ersten Podestplatz sorgte. Zwei Sprintsiege gingen ebenfalls auf das Konto des jüngeren Márquez, für den einzigen Saisonsieg für Gresini Racing über die volle Distanz sorgte aber Fabio Di Giannantonio im Flutlicht von Doha. Zu diesem Zeitpunkt stand allerdings bereits fest, dass «Diggia» für keinen Geringeren als Marc Márquez Platz machen musste. Der achtfache Weltmeister steuert 2024 an der Seite seines Bruders eine Desmosedici GP23 aus der Vorsaison.
Erfüllt der 59-fache MotoGP-Sieger die hohen Erwartungen vieler Beobachter und Fans der Szene, die Marc Márquez im WM-Kampf sehen? Nadia Padovani selbst hofft auf ein weiteres Kapitel in der Erfolgsgeschichte des Rennstalls, der von ihrem Mann begründet wurde. Seit 1997 sammelten die Gresini-Fahrer bereits 61 GP-Siege und total 190 Podestplätze über alle GP-Klassen.
Mutiger Beginn in der «premier class»
«Ich kam in meiner Karriere an den Punkt, an dem ich entscheiden musste, ob ich ein alter Fahrer oder ein junger Teamchef sein wollte», erzählte Fausto Gresini einmal. Der 1961 geborene Italiener entschied sich für Letzteres und brachte 1997 sein eigenes GP-Team an den Start.
Gresini mühte sich bei seinem Debüt als Teambesitzer nicht in den kleinen Klassen ab, sondern begann lieber mit einem «low budget» in der 500er-WM und der neuen Honda NSR500-V2 mit Alex Barros. In Donington Park stand der Brasilianer als Dritter hinter Mick Doohan und Tadayuki Okada sogar auf dem Podest. 1998 – mit der Honda NSR 500 – folgten zwei weitere Podestplätze und WM-Rang 5 für Barros.
1999 stieß Loris Capirossi mit der Nummer 1 im Gepäck zum Team, das nun die 250 ccm-Klasse ins Visier nahm. Er war bei Aprilia trotz des Titelgewinns in Ungnade gefallen, weil er seinen Teamkollegen Harada unsanft von der Strecke befördert und dank dieser Aktion Weltmeister geworden war.
«Capirex» gewann das erste Rennen 1999 in Malaysia, dann auch in Assen und in Imola und beendete die 250er-WM mit sechs weiteren Podestplätzen hinter Rossi und Ukawa als Dritter.
2000 wurde der junge Japaner Daijiro Kato engagiert: Er gewann vier Grand Prix, stand insgesamt neun Mal auf dem Podest und beendete seine erste volle WM-Saison als Dritter.
2001 dominierte Kato dann die Viertelliterklasse auf der Gresini-Honda NSR 250 fast nach Belieben. Er gewann 11 von 16 Rennen und bescherte Gresini Racing den ersten WM-Titel.
MotoGP-Ära: Dreimal Vizeweltmeister
2002 wechselte Kato in die Königsklasse, musste aber mit einer Zweitakt-NSR500 gegen die Fünfzylinder-Honda von Rossi und Ukawa kämpfen. Bereits im dritten Rennen in Jerez mischte Kato flott an der Spitze mit und wurde Zweiter hinter Rossi. In Brünn durfte er erstmals eine Viertakt-Honda RC211V einsetzen und bedankte sich bei Honda gleich mit einem zweiten Platz hinter Max Biaggi (Yamaha) und vor Tohru Ukawa.
2003 dann die Tragödie: Kato verunglückte beim Saisonauftakt in Suzuka und verstarb wenige Tage später. Ein schwer zu verkraftender Schicksalsschlag für Teamchef Fausto Gresini. Sete Gibernau widmete seinem verstorbenen Teamkollegen im Laufe der Saison noch vier Siege (Welkom, Le Mans, Assen und Sachsenring) und wurde hinter Rossi MotoGP-Vizeweltmeister.
2004 gelangen Gibernau wieder vier Siege, er musste sich aber ein weiteres Mal hinter Rossi mit dem Vize-Titel begnügen. 2005 war es dann Marco Melandri, der für Gresini zwei Rennen gewann (Istanbul und Valencia) und hinter dem zu diesem Zeitpunkt unschlagbaren Rossi, der in dem Jahr elf MotoGP-Rennen gewann, WM-Rang 2 belegte.
2006 gewann Melandri auf der Gresini-Honda erneut in Istanbul, dann in Le Mans und auf Phillip Island, er beendete die WM aber nur als Vierter. Zur Abwechslung wurde nicht Rossi Weltmeister, sondern der Amerikaner Nicky Hayden. Mitverantwortlich dafür war der bereits erwähnte Sieg von Melandris Teamkollegen Toni Elias in Estoril. Es sollte für eine lange Zeit der letzte Gresini-Sieg in der Königsklasse bleiben.
Für weitere Podestplätze sorgten aber neben Melandri und Elias in den folgenden Jahren auch noch Alex De Angelis (2009 in Indianapolis zweiter hinter Lorenzo) und natürlich Marco Simoncelli.
Der 250-ccm-Weltmeister von 2008 wurde 2011 in Brünn Dritter, auf Phillip Island sogar Zweiter – doch dann kam der verhängnisvolle 23. Oktober 2011 in Sepang, als «SuperSIC» im Alter von 24 Jahren viel zu früh sein Leben ließ.
Ein weiterer harter Schlag für Fausto Gresini, der sogar daran dachte, sein Team aufzulösen. Aber in der Moto2 bescherte ihm Michele Pirro gleich beim nächsten Grand Prix in Valencia einen Sieg, den er als Zeichen des Himmels interpretierte und der ihn zum Weitermachen animierte.
Álvaro Bautista fuhr auf der Gresini-Honda 2012 und 2014 noch insgesamt drei MotoGP-Podestplätze ein. Nach dem unrühmlichen und kurzfristigen Rückzug von Hauptsponsor Go & Fun kam Gresini allerdings finanziell ins Trudeln, daher ging Fausto Gresini 2015 ein Joint-Venture mit Aprilia ein, das bis 2021 Bestand hatte.
In diesen Jahren als Aprilia Racing Team Gresini gelang nur ein Podestplatz durch Aleix Espargaró (2021 in Silverstone), den Fausto aber nicht mehr erlebte.
In bis zu vier Klassen gleichzeitig vertreten
Als 2010 die neue Moto2-Kategorie eingeführt wurde, dominierte Toni Elias auf der Gresini-Moriwaki mit sieben Siegen. Der Spanier holte für Gresini somit neun Jahre nach Kato den zweiten WM-Titel in der Mittelgewichtsklasse.
Ab 2012 engagierte sich Gresini dann auch in der Moto3-250-ccm-Viertakt-Klasse. Die ersten Podestplätze in der neuen Einsteigerklasse fixierte 2014 Enea Bastianini für die italienische Truppe, den Titelgewinn schaffte Enea in der Moto3-Klasse allerdings nie. 2016 war er immerhin Vizeweltmeister.
Es war dann 2018 Jorge Martin, der Fausto Gresini den dritten WM-Titel der Teamgeschichte bescherte. Damit nicht genug: Mit Fabio Di Giannantonio als Vizeweltmeister landeten die zwei Gresini-Fahrer sogar auf den Rängen 1 und 2 in der Moto3-WM.
Ab 2019 nahm Gresini auch am neuen MotoE-Weltcup und somit an vier Klassen teil! Matteo Ferrari holte gleich im ersten Anlauf den Gesamtsieg. Gresini Racing hat somit nach den drei WM-Titeln (durch Kato, Elias und Martin) auch schon einen MotoE-Weltcup gewonnen. WM-Status hatte die Elektro-Serie damals aber noch nicht.
Um das ehrgeizige MotoGP-Projekt stemmen zu können, zog sich Gresini Racing nach der Saison 2021 aus der Moto3-WM zurück. Neben der Königsklasse ist die Mannschaft aus Faenza aber weiterhin in der Moto2 (2024 mit den Neuzugängen Manuel Gonzalez und Albert Arenas) und der MotoE (mit Matteo Ferrari und Alessio Finello) vertreten. Die offizielle Teamvorstellung findet am kommenden Samstag, 20. Januar in Riccione statt.
Die Erfolge von Gresini Racing
WM-Titel: 3
Daijiro Kato, 250 ccm 2001
Toni Elias, Moto2 2010
Jorge Martin, Moto3 2018
(Matteo Ferrari, MotoE-Weltcup 2019)
Grand Prix-Siege: 61
19 in MotoGP (8x Gibernau, 5x Melandri, 4x Bastianini, 1x Elias, 1x Di Giannantonio)
18 in 250 ccm (15x Kato, 3x Capirossi)
12 in Moto2 (7x Elias, 2x Sam Lowes, 1x Pirro, 1x Siméon, 1x Di Giannantonio)
12 in Moto3 (8x Martin, 2x Di Giannantonio, 2x Bastianini)
GP-Podestplätze: 190
66x in MotoGP (19x Platz 1, 28x Platz 2, 19x Platz 3)
28x in Moto2 (12x Platz 1, 11x Platz 2, 5x Platz 3)
51x in Moto3 (12x Platz 1, 17x Platz 2, 22x Platz 3)
42x in 250 ccm (18x Platz 1, 12x Platz 2, 12x Platz 3)
3x in 500 ccm (3x Platz 3)
Die erfolgreichsten Gresini-Fahrer
Sete Gibernau: 24 Podestplätze (MotoGP)
Daijiro Kato: 24 Podestplätze (22x 250 ccm, 2x MotoGP)
Enea Bastianini: 21 Podestplätze (6x MotoGP, 15x Moto3)
Fabio Di Giannantonio: 20 Podestplätze (2x MotoGP, 4x Moto2, 14x Moto3)
Jorge Martin: 19 Podestplätze (Moto3)
Marco Melandri: 17 Podestplätze (MotoGP)
Toni Elias: 12 Podestplätze (4x MotoGP, 8x Moto2)
Loris Capirossi: 9 Podestplätze (250 ccm)
Roberto Rolfo: 7 Podestplätze (250 ccm)
Sam Lowes: 6 Podestplätze (Moto2)
Emilio Alzamora: 4 Podestplätze (250 ccm)
Alex Barros: 3 Podestplätze (500 ccm)
Álvaro Bautista: 3 Podestplätze (MotoGP)
Xavier Siméon: 3 Podestplätze (Moto2)
Colin Edwards: 2 Podestplätze (MotoGP)
Marco Simoncelli: 2 Podestplätze (MotoGP)
Michele Pirro: 2 Podestplätze (Moto2)
Yuki Takahashi: 2 Podestplätze (Moto2)
Jeremy Alcoba: 2 Podestplätze (Moto3)
Filip Salac: 2 Podestplätze (Moto2)
Alex Márquez: 2 Podestplätze (MotoGP)
Alex De Angelis: 1 Podestplatz (MotoGP)
Aleix Espargaró: 1 Podestplatz (MotoGP)
Gino Rea: 1 Podestplatz (Moto2)
Gabriel Rodrigo: 1 Podestplatz (Moto3)