Quartararo: «99 Prozent hätten das Gleiche getan»
Fabio Quartararo
Die Yamaha M1 ist seit Jahren nicht konkurrenzfähig, von einem Sieg ist man derzeit weit entfernt. Trotzdem ist Fabio Quartararo der dritterfolgreichste Fahrer in der aktuellen MotoGP-Startaufstellung, wenn es nach Grand-Prix-Siegen geht. Der Franzose konnte in der Königsklasse bislang elf Rennen über die lange Distanz gewinnen, das letzte Mal allerdings 2022. Von den aktiven Fahrern liegen in dieser Statistik nur Marc Marquez (62) und Pecco Bagnaia (28) vor Quartararo.
Im Interview mit SPEEDWEEK.com spricht der Franzose offen darüber, was ihn motiviert, weshalb er Yamaha die Treue hält und wann er denkt, wieder ganz oben zu stehen.
Motiviert oder entmutigt es dich, nicht zu gewinnen?
Es ist eine Motivation, kein Zweifel. Im September 2023 habe ich wirklich darüber nachgedacht, die Marke zu wechseln. Ich setzte mich mit den Yamaha-Leuten zusammen und sprach Klartext mit ihnen. Ich habe alles auf den Tisch gelegt, was ich brauchte und was ich wollte. Ab November 2023 haben sie begonnen, Leute einzustellen und sie haben ein sehr großes Budget für Personal, die Aerodynamik und den Motor genehmigt. Ich hatte die Gelegenheit, ein langes Gespräch mit Max Bartolini zu führen, der ein Profil hat, das bei Yamaha eindeutig fehlte. Ich bin hauptsächlich geblieben, weil das Projekt groß ist und auch wegen der Chance, die sie mir damals gaben, in die MotoGP zu kommen, als ich noch ein Niemand war.
Woher weißt du, welche Ingenieure besser sind als andere, so dass du sagen kannst: «Ich will diesen oder jenen?» Und ist das etwas, das du selbst entscheiden kannst?
Theoretisch nein. Du hast Recht, es liegt nicht wirklich an mir. Aber damit ich an das Projekt glauben konnte, wusste ich, dass es eine Reihe von Leuten und eine Reihe von Dingen gibt, die die Marke und das Projekt schneller wachsen lassen können. Und das geschieht jetzt.
Zunächst einmal ist die Art und Weise, wie wir jetzt arbeiten, im Vergleich zum März oder April, eine andere Welt. Wir arbeiten viel aggressiver und viel mehr wie die Europäer. Das ist eine sehr positive Sache. Sie tun viel, geben sich viel Mühe, und es gibt jetzt das Satellitenteam, das sehr wichtig sein wird.
Was bedeutet es, aggressiv zu arbeiten?
Es bedeutet, sich nicht drei Monate Zeit zu nehmen, um einen neuen Motor einzubauen oder das Chassis zu wechseln. Als wir in Valencia einen Test mit einem Motor hatten, hatten wir den Motor im Rennen danach in unserer Box – das ist noch nie passiert. Wir haben dieses Jahr vier oder fünf Mal den Motor gewechselt. Ich denke, die Zugeständnisse haben dazu beigetragen, dass wir diese Arbeitsweise anwenden können, aber die Realität ist, dass wir eine Menge getan haben, auch wenn die Ergebnisse das nicht widerspiegeln.
Vier oder fünf Motoren in einer Saison sind schon ein starkes Stück...
…und vier oder fünf Chassis auch. Aber einen Motor zu bauen ist etwas, das sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Es ist nicht so, dass der ganze Motor komplett verändert wird, aber viele Details. Es wird sehr hart gearbeitet.
Irgendwann während der Saison hörte ich dich sagen: «Wir haben keine schlechte Leistung, das Problem ist, wie wir sie abgeben.» Zu einem anderen Zeitpunkt hast du dich dafür entschieden, die Leistung zu reduzieren. Wonach suchst du?
Du hast Recht. Zu Beginn des Jahres hatten wir viel Leistung, das Motorrad lief gut, aber es lenkte nicht ein. Wir haben die Leistung nach und nach reduziert, um herauszufinden, was das Problem war, das uns daran hinderte, das Motorrad einzulenken. Wir sind wieder bei einem Motorrad, das im Vergleich zum Saisonbeginn 10 km/h verloren hat, aber wir haben die Agilität zurückgewonnen. Jetzt müssen wir diese Agilität beibehalten, aber mit viel mehr PS. Das geschieht nach und nach, und außerdem fehlt uns der Grip – das ist es, was uns wirklich zu schaffen macht.
Kannst du erklären, was du mit Agilität meinst?
Theoretisch hat das nichts mit der Leistung zu tun, aber es gibt sicherlich Dinge im Motor, die verändert wurden, um diesem mehr Leistung zu geben, was sich negativ auf die Agilität ausgewirkt hat.
Was sagst du zu denen, die dich als Söldner bezeichnen, weil du von Yamaha einen hoch dotierten Vertrag bekommen hast?
Das ist mir egal. Ich weiß, was ich denke, und wie ich mich entschieden habe. Natürlich hat das bei meiner Entscheidung, bei Yamaha zu bleiben, eine Rolle gespielt. Es war aber nicht mein Hauptkriterium, denn ich habe alle Aspekte geschätzt. Und ich bin überzeugt, dass 99 Prozent der Leute, die mich kritisiert haben oder kritisieren, an meiner Stelle genau das Gleiche getan hätten. Ich respektiere es, kritisiert zu werden, aber die Kritik ist mir egal.
Hast du die ganze Zukunft auf den V4-Motor gesetzt?
Nein. Ich denke, es ist eine Option, die man ausloten sollte, denn wir sehen das Potenzial bei Ducati, Aprilia, KTM und auch Honda. Bei Honda gibt es Dinge, die schlechter sind als bei uns, aber andere Dinge sind viel besser. Aber ich habe nicht mit Yamaha wegen dem V4-Motor verlängert. Wir werden viele Dinge prüfen und vergleichen müssen.
Wann rechnest du damit, dass du wieder konkurrenzfähig bist? Macht Yamaha die notwendigen Fortschritte?
Sie kommen nach und nach, aber es müssen noch viele Dinge verbessert werden. In Australien war es nicht schlecht, besonders in den letzten zehn Runden, als wir die Gruppe vor uns mit Maverick, Binder, Morbidelli und Di Giannantonio eingeholt haben. Am Ende ist das für mich der Punkt, an dem wir sein müssen. Zu Beginn des nächsten Jahres müssen wir um die Top-5, Top-6 kämpfen, ohne zu stürzen. Für mich ist das erste Ziel immer, direkt ins Q2 zu kommen und aus der ersten, zweiten, maximal dritten Startreihe zu starten. Das ist das Ziel, das wir erreichen müssen, egal wie die Streckenbedingungen sind. Denn wenn diese schlecht sind, sind auch wir schlecht.