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Andrea Adamo: «Wir Fahrer sind keine Maschinen»

Von Nora Lantschner
Von einer schweren Verletzung im Jahr 2020 kämpfte sich Andrea Adamo zurück aus dem Tief auf das MX2-Podest – und in das Red Bull-KTM-Werksteam für 2023: Offene Worte des 18-jährigen Italieners im Interview.

Seit vergangenem Wochenende ist es offiziell, Andrea Adamo wird ab 2023 neben Liam Everts das neue MX2-Duo des Red Bull KTM Factory Racing Teams bilden, während Tom Vialle nach Amerika auswandert. Damit wird nach dem neunfachen Weltmeister Tony Cairoli wieder ein gebürtiger Sizilianer für das österreichische Werksteam antreten.

Adamo, der am 22. August seinen 19. Geburtstag feiert, erlebte zu Beginn dieser Saison mit dem zweiten Platz beim Heim-GP in Mantua den bisherigen Höhepunkt einer Karriere, die nicht immer geradlinig verlief.

Im zweiten Teil des großen Interviews mit SPEEDWEEK.com (Teil 1 beleuchtet seinen Karriereweg) gewährt Adamo persönliche Einblicke in das Auf und Ab des Rennfahrer-Daseins.

Andrea, du sagst, mit dem Sprung in das KTM-Werksteam scheinen sich nun alle Mühen der vergangenen Jahre bezahlt zu machen. Tatsächlich gab es schwierige Momente, vor allem nach der Verletzung 2020.

Ja, es gab Momente, als ich weinend von den Trainings-Sessions nach Hause kam. Denn ich hatte das Gefühl, nicht mehr der Fahrer zu sein, der ich vorher war. Ich hatte Angst, dass ich es nie wieder sein würde.

Wenn es schlecht läuft, geben auch alle ihren Senf dazu: «Es ist so und so, wie ich sage…» Es sind dann so viele Sachen, die dir durch den Kopf schwirren. Dazu kommen noch deine eigenen Gedanken. Es ist ja nicht so, dass ich nicht am Grübeln war. Das war nicht einfach.

Es war auch ein Moment, an dem alles zusammenkam. Du hattest in Valkenswaard gerade deinen ersten Podestplatz in der EMX250 gefeiert, dann kam der Corona-bedingte Stillstand – und die Verletzung: Gebrochener Ellbogen links sowie rechts ein gebrochenes Handgelenk und einen mehrfach gebrochenen Arm.

Richtig, es fühlte sich absurd an. Der Start in die Saison 2020 war super stark: Podium bei den «Internazionali d’Italia» in Mantua, Podium beim EMX250-Auftakt – es war alles wunderbar. Dann stand alles still und, als wir wieder anfingen, kam der herbe Rückschlag.

Zuerst redet jeder von dir und dann erinnert sich plötzlich keiner mehr an dich.

Es ist ein altbekanntes Gesetz im Rennsport, dass immer nur das jüngste Ergebnis zählt.

Ja, genau, und dann reicht ein Moment… Es sah damals so aus, als könnten sich mir Türen bei Yamaha öffnen, um im SM Action Team Factory-Support zu bekommen, da Maxime [Renaux] ins Werksteam aufstieg. Mit der Verletzung hatte sich das aber erledigt.

Wie hast du diesen Tiefpunkt überwunden? Ich kann mir vorstellen, dass auch dein Umfeld sehr wichtig war.

Ja, absolut. Es gab aber auch Leute, die meine Situation im Vorjahr nicht wirklich verstanden. Sie verstanden nicht, dass ich einfach Zeit brauchte und das Vertrauen wiederfinden musste. Mit dem Covid-Stillstand und der Verletzung war ich insgesamt siebeneinhalb Monate außer Gefecht. Denn als es wieder losging, trainierte ich gerade einmal zwei Wochen – und dann kam die Verletzung. Es war also eine wirklich lange Zeit.

Ich erinnere mich sehr gut daran, wie niedergeschlagen du nach der Italienmeisterschaft in Maggiora zu Beginn der Saison 2021 warst.

Ja, es war unglaublich. Das war eines der schwierigsten Rennen meines Lebens. Ich kam nach Hause und mir war zum Heulen zumute. Denn ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich sagte: «Jungs, ich versuche das Maximum zu geben, aber im Moment ist es das.»

Nach einer Weile schirmte ich mich im Vorjahr dann ein bisschen mehr ab. Ich versuchte, etwas mehr nur an das zu denken, was ich im Kopf hatte – und nicht auch an das, was alle anderen dachten.

Am Ende waren die letzten fünf Rennen der Saison zwar kein Wendepunkt, aber doch die Rennen, in denen ich wieder den Glauben an mich fand. In Arco lag ich zum Beispiel fünf Minuten lang auf P4, danach war ich den ganzen Lauf lang Sechster, bis ich in den letzten Runden nicht mehr konnte und zurückfiel.

Wenn ich heute fast den ganzen Lauf lang Sechster bin und dann auf P8 lande, war es kein großartiges Rennen. Im Vorjahr war ich mit dem achten Platz auf Wolke sieben. Auch Mantua lief sehr gut. Ich hatte mir für das letzte Rennen ein einstelliges Ergebnis vorgenommen – und ich wurde dann Neunter der Tageswertung. Ich war super glücklich.

Du bist also mit einem guten Gefühl in den Winter gegangen.

Ja, ich habe gar nie richtig aufgehört [mit dem Fahren]. Das Saisonfinale in Mantua war an einem Mittwoch. Ich machte bis Sonntag Pause und saß am Montag wieder auf dem Motorrad.

Dazu kam eine wichtige Umstellung, du trainierst jetzt bei Maddii.

Ja, wir entschieden uns für dieses Jahr – nicht unbedingt für eine neue Methode – aber für einen Tapetenwechsel. Ich trainiere mit Marco und Corrado, wir einigten uns auf eine Zusammenarbeit.

Sie haben die Erfahrung und wissen, worauf es ankommt.

Ja, sie machen das, was es braucht. Ich sehe viele Teams, die den Truck immer blitzblank putzen und zwei TV-Geräte unter dem Vorzelt haben, aber am Ende wird der Fahrer sich selbst überlassen. Junge Fahrer kannst du aber nicht allein lassen. Junge Fahrer müssen wachsen und verstehen, woran und wie und warum sie arbeiten müssen.

Sie verschwenden weniger Gedanken an den schönen Auftritt, aber sehr, sehr viele an die Qualität der Arbeit. Ich fühlte mich bei ihnen auf Anhieb wohl. Sie halfen mir, an den noch etwas schwächeren Aspekten zu arbeiten.

Deine mentale Stärke gehört aus meiner Sicht dagegen zu dem, was dich stark macht. Siehst du es auch so?

Ich bin damit einverstanden, auch wenn ich sagen muss, dass ich im Vorjahr kurz davor stand, es nicht mehr so zu sehen. Denn ich erlebte einen der schwierigsten Momente meines Lebens. Ich bin froh, dass ich jetzt wieder in Form bin. Und ich glaube wieder daran, dass ich im Kopf stark genug bin. Denn ich habe Leute gesehen, die sich nach so einer schwierigen Zeit nicht mehr erholt haben. Ich dagegen habe es geschafft zurückzukommen.

So eine Verletzung kann auch das Karriereende bedeuten.

Viel Zeit wird den Fahrern im WM-Business nicht eingeräumt.

Richtig. Es gibt Leute, die ein Jahr nicht fahren konnten, und das Team verschickte sie am Ende der Saison, ohne ihr Potenzial überhaupt gesehen zu haben.

Wir Fahrer sind keine Maschinen. Aber wenn es mit einem nicht klappt, wartet schon der nächste. Das Fahrerlager ist voll von Piloten – oder besser gesagt: Die Teams reichen nicht, um alle Fahrer unterzubringen. Es dauert nur einen Moment und du wirst schon ersetzt.

Wenn du auf deine Geschichte zurückschaust, ist es sicherlich noch schöner, dass sich jetzt diese Gelegenheit im Red Bull KTM Factory Team auftat. Du meintest, damit wird ein kleiner Traum war. Und was kommt jetzt?

Der nächste Traum? Das wäre fast schon banal, das kann sich jeder ausmalen – und deswegen sage ich es nicht. Aber ich glaube, dass ich im besten oder mit Sicherheit in einem der besten Teams im Fahrerlager bin. Daher glaube ich, dass ich alles habe, um es zu schaffen. Ich war auch schon in Belgien, sie ließen mich schon ein bisschen ins Team, ich arbeitete schon ein paar Wochen mit Joel Smets. Ich habe also gesehen, dass alles vorhanden ist, um gut abzuschneiden.

Ich gehe natürlich nicht hin, um dann 15. zu werden. Ich gehe hin, um zu versuchen, an der Spitze zu sein. Wie schon angesprochen: So eine Chance muss man ergreifen – und nicht nur ergreifen, sondern auch nutzen. Ich werde mit Sicherheit alles geben, um es zu schaffen – nicht nur nächstes Jahr, sondern hoffentlich auch noch für mehrere Jahre. Dann werden wir sehen, was das Schicksal bereithält.

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