Zur Not mit Gewalt: Raymond Roche steckte nie zurück
Raymond Roche gehört zu jenen Weltmeistern, die man nicht mehr auf der Rennstrecke trifft, die aber zumindest mir trotzdem im Gedächtnis blieben. Roche stammt aus Ollioules, gelegen am Südzipfel der französischen Mittelmeerküste. Er kommt aus dem Arbeitermilieu im Hafen, einige nannten ihnen einen Gassenjungen. Einer der härteren Sorte, der auch mal die Fäuste fliegen ließ.
1976 stieg Roche in die 250er-WM ein und nahm dort sporadisch an Grands Prix teil.
Zwischen 1979 und 1989 fuhr Roche für Yamaha, Suzuki, Honda und Cagiva 500er-GP, seine größten Erfolge feierte er 1984 auf Honda, als er zwei Pole-Positions, vier zweite sowie vier dritte Plätze einfuhr und hinter Eddie Lawson und Randy Mamola WM-Dritter wurde.
1988 wurde die Superbike-WM ins Leben gerufen, Roche war von Anfang an dabei. 1990 wurde der Franzose auf Ducati Weltmeister, 1991 und 1992 jeweils hinter dem Amerikaner Doug Polen Vize. Roche gewann von seinen 95 Superbike-WM-Läufen erstaunliche 23 und stand 57 Mal auf dem Podium. Nach der Saison 1992 beendete er seine Karriere – und verschwand von der Bildfläche.
Niemand hatte es verboten
Einige Anekdoten sind mir trotzdem in Erinnerung geblieben. Etwa, als er in Brainerd einen weiblichen Streckenposten schlug – keine schöne Szene.
Lieber eine, die zum Schmunzeln einlädt – es geschah 1990 in Mosport, Kanada.
Als das Rennen gelaufen war, fuhr Roche mit seinem Mietwagen in die Boxengasse, um sein Gepäck einzuladen. Niemand hatte ihm gesagt, dass er das darf. Es sagte aber auch niemand, dass er das nicht darf.
Ducati-Teammanager war damals Marco Lucchinelli, der Italiener half ihm beim Beladen des Autos. Als alles gepackt war, stieg Roche ein und wollte losdüsen. Doch ihm versperrte ein sehr offensiver Streckenposten den Weg. Der Typ hatte lange fettige Haare und trug ein weißes T-Shirt, das schon bessere Tage gesehen hat. Aber er verfügte über eine gewisse Macht und wollte diese auch zur Schau stellen.
Er stand ungefähr zwei Meter vor und leicht versetzt neben dem Mietwagen von Roche. Mit erhobener Hand erklärte er dem späteren Weltmeister, dass er sich etwas zu Schulden hatte kommen lassen und deshalb nicht losfahren dürfe.
Roche gab Gas und ruckelte mit dem Auto langsam vorwärts. Der Typ schrie Roche an und sagte ihm, dass er gar nirgends hinfahren würde. Roche ignorierte ihn und begann loszufahren. Der Streckenposten sprang mit ausgestreckten Armen auf die Motorhaube – eine Szene, wie man sie sonst nur in Filmen sieht.
Roche beschleunigte, der Typ hielt sich im Angesicht des Todes an der Windschutzscheibe fest – bis der Franzose heftig auf die Bremse trat und der Marshall von der Haube flog.
Das ganze Fahrerlager schaute dabei zu: Fahrer, Mechaniker und einige Journalisten, darunter ich. Als der Typ zu fliegen begann, versuchte jeder sich zurückzuhalten – dann brach das schallende Gelächter aus.
Der Motorrad-Weltverband FIM brummte Roche später eine Strafe dafür auf, ich meine, es waren 1000 Schweizer Franken.
Herzlich Glückwunsch zum 60!