Ken Roczen: «Wirkung wie 20 Tassen Kaffee»
Steve Astephen war von 2003 bis 2019 als «Managing Partner» für die Wasserman Group tätig, die bei seinem Abgang 1100 Mitarbeitende beschäftigte und 1500 Athleten aus allen erdenklichen Disziplinen auf der ganzen Welt managte, darunter auch zahlreiche Motocross-Fahrer und einzelne GP-Piloten. Inzwischen betreibt der aus Boston kommende Astephen seine eigene Agentur mit der merkwürdigen Bezeichnung «TheFamilie». Astephen ist laut eigenen Angaben seit mehr als 25 Jahren im Motorsport unterwegs.
Trotzdem weiß er bis heute nicht, dass jede Motorrad-Weltmeisterschaft unter dem Dach des Weltverbands FIM ausgetragen wird – und deshalb regelmäßige Dopingkontrollen an der Tagesordnung stehen.
Jedenfalls verkündete die Wasserman Group am Oktober 2015 eine Kooperation mit Ken Roczen, er wurde dort von Steve Astephen betreut. Die Wasserman Media Group, eine globale Sports- Entertainment- und Lifestyle-Company, hatte damals die Firma «The Sports Syndicate» aufgekauft, die zu den führenden Action Sports und Olympic Athlete Management und Marketing Agenturen der Welt zählte. Der Deal wurde von Wassermans Managing Partnern Steve Astephen und Bobby Nichols, Präsident von «The Sports Syndicate» verlautbart. Der neue Wasserman-Partner brachte zum Beispiel Ryan Villopoto (Motocross) in das neue Unternehmen mit.
Ob Ken Roczen von Astephen immer gut beraten wurde, sei dahingestellt. Der Agent setzte jedenfalls im Sommer 2022 das Ende des hoch dotierten HRC-Vertrags aufs Spiel, um an der trostlosen Supercross-WM teilnehmen zu können. HRC wollte in dieser armseligen Serie nicht mitmachen. Seither tingelt der 28-jährige Thüringer von einem Privatteam und einer Marke zur nächsten.
Supercros-WM als Nebenschauplatz mit nur 2 Events
Die von Ken Roczen gewonnene «globale» Supercross-WM wurde von der FIM in zahlreichen Press Releases als große Errungenschaft angepriesen, nachdem die vorherige SX-WM-Serie in den USA geplatzt war. Sie entpuppte sich jedoch 2022 als trostloser Nebenschauplatz ohne Werksteams. Die komplette Pierer Mobility AG entschied sich am ersten Tag der Gründung der WM gegen eine Teilnahme; also fehlten schon einmal alle prominenten SX- und MX-Stars von KTM, GASGAS und Husqvarna.
Und mit zwei SX-WM-Events in Cardiff (Wales) und Melbourne (Australien) blieb das Interesse der Veranstalter sehr überschaubar.
Übrigens: Es ist nicht lange her, seit bei der FIM sechs Veranstaltungen erforderlich waren, um einen Weltmeistertitel vergeben zu können.
Endgültig ins Fettnäpfchen trat Steve Astephen beim Finale zur Supercross-WM 2022 in Melbourne am 25.Oktober, als er die Funktionäre von FIM und WADA beschimpfte und in seiner Ahnungslosigkeit kein Verständnis dafür aufbrachte, dass sein deutscher Schützling bei einem FIM-Event jederzeit für eine Dopingkontrolle gerufen werden kann.
Astephen meinte, dass Ken in der angeblichen Nebensaison (er sprach sichtlich verwirrt von «off season») eine Substanz einnahm, die womöglich auf der Verbotsliste stand. Deshalb telefonierte er zuerst mit dem Arzt in Amerika, ehe in den Dopingtest einwilligte.
Ken Roczen vertraut auf Astephen, denn dieser hat im Winter 2016/2017 nach dem Weggang bei Suzuki für ihn schon den lukrativen Drei-Jahres-Deal mit HRC für die Championship Indoor und Outdoor) in den USA abgeschlossen.
Honda hatte damals seit 2004 keinen Supercross-Titel gewonnen – Ken Roczen sollte dieses Versäumnis nachholen. Aber er scheiterte von Jahr zu Jahr – oft wegen Verletzungen.
Die Supercross-Weltmeister seit 2010:
2010: Ryan Dungey (Suzuki)
2011: Ryan Villopoto (Kawasaki)
2012: Ryan Villopoto (Kawasaki)
2013: Ryan Villopoto (Kawasaki)
2014: Ryan Villopoto (Kawasaki)
2015: Ryan Dungey (KTM)
2016: Ryan Dungey (KTM)
2017: Ryan Dungey (KTM
2018: Jason Anderson (Husqvarna)
2019: Cooper Webb (KTM)
2020: Eli Tomac (Kawasaki)
2021: Cooper Webb (KTM)
2022: Ken Roczen (Honda)
Übrigens: Die Konkurrenz blickt schadenfroh auf die jüngste Odyssee von Ken Roczen mit pausenlosen Team- und Markenwechseln. Die Agentur von Astephen nennt sich «TheFamilie» und wird in der Branche teilweise belächelt, weil durch diese Firmennamen leichtsinnig ein Zusammenhang mit zwielichtigen italienischen Clans hergestellt werden könnte, mit denen Fahrer und Agent natürlich herzlich wenig am Hut haben.
«Wenn du Athleten betreust, managt du gleichzeitig eine Brand, eine Marke», lautet die Devise von Astephen. Bei der eigenen Marke schert ihn das offenbar herzlich wenig..
Nach dem zweiten Platz beim SX-WM-Finale in Melbourne erfuhr Ken Roczen auf dem Podest, dass er zur Dopingkontrolle antreten musste. Sein Manager verlor danach die Beherrschung.
«Aber letzten Endes hat Ken den Test gemacht», schilderte Astephen. «Denn man hat uns gesagt, wenn er sich weigert, droht ihm eine Sperre bis zu zehn Jahren.»
Der Manager ließ durchblicken, Ken Roczen habe für die beiden SX-WM-Events in Wales und Australien sowie dem nicht zur WM zählten Supercross in Paris weit mehr als eine halbe Million US-Dollar Startgeld bekommen.
Astephen demonstrierte seine Ahnungslosigkeit, indem er bis heute glaubt, Ken Roczen sei bei diesen Events «out of competition» unterwegs gewesen. «Wir sind nach Cardiff in Wales gekommen, es wurde nichts von Dopingtests erwähnt», sagte Astephen gegenüber RacerX. «Wir sind nicht zu diesen SX-Events angetreten, um zu gewinnen. Kenny fährt bei keinen FIM-Veranstaltungen mit.»
Unglaublich: Auf dem Parcours in Melbourne waren am Streckenrand unzählige Werbeflächen mit unübersehbaren FIM-Logos platziert. Und natürlich kann nur der Weltverband FIM einen WM-Status vergeben!
Die Fußball-WM in Katar kann ja auch nicht ohne den Segen der FIFA stattfinden.
Astephen hat offenbar das Einmaleins des Motorradsports noch nicht verstanden und bringt auch sonst einiges durcheinander. «Wenn meine NBA-Athleten in China spielen, fallen sie nicht unter die NBA-Vorschriften.»
Ja, das mag sein. Aber was hat das mit den Vorkommnissen in Australien zu tun, wo Astephen die Funktionäre der FIM und WADA (World Anti Doping Agency) lautstark beschimpfte?
Am Ende machte der Amerikaner die mickrige «World Supercross Championship» noch kleiner als sie ist. «Ich hätte laut schreien sollen: ‘Warum nennt ihr das eine Rennserie?' Zwei Events sind keine Meisterschaft.»
Naja, die lächerlich geringe Anzahl der SX-Veranstaltungen müsste ja auch dem Fahrermanager lange vor dem Saisonstart in Wales ins Auge gestochen sein.
«Wir spulen unser out-of-season-Programm mit Substanzen ab, die von Dr. Lamay verschrieben wurden, alles legal», knurrte Astephen.
Aber ganz so unumstritten war die Legalität der verabreichten Substanzen offenbar nicht.
Denn bevor Ken Roczen in Melbourne einen Urintest abgab, erkundigte sich Astephen telefonisch bei Dr. Lamay in Amerika nach der Bezeichnung der verschriebenen Substanz. Yarrive Konsky, der Besitzer des Genuine Honda Teams, vergewisserte sich danach auf der WADA-Website, dass das Medikament nicht auf der WADA-Verbotsliste steht.
Danach gab er Entwarnung.
Astephen: «Ich hatte das Tablettenfläschchen in Australien dabei und habe es den Funktionären gezeigt. Das Fläschchen war nicht einmal beschriftet und diente nicht zur Leistungssteigerung! Als sich herausstellte, dass dieses Nahrungsergänzungsmittel gemäß WADA-Code nicht verboten war, war ich erleichtert. Ich sagte: ‘Gott sei Dank.’»
Auf die Frage, was diese Substanz bewirke, entgegnete Kenny Roczen: «Sie hat eine Wirkung wie 20 Tassen Kaffee.»
«Diese Ärzte verschreiben den Athleten nichts Illegales, weil sie nicht ins Gefängnis wollen», versicherte Astephen.
Übrigens: Roczen hat von der USDA in Amerika eine Ausnahmegenehmigung oder TUE (therapeutic use exemption); er darf wegen Atembeschwerden einen Asthma-Inhalator verwenden.
Ergebnis WSX Melbourne, 25. Oktober 2022:
1. Joey Savatgy (USA), Kawasaki, 2-1-1
2. Ken Roczen (D), Honda, 1-15-2
3. Justin Brayton (USA), Honda, 3-2-8
4. Vince Friese (USA), Honda, 4-3-5
5. Cade Clason (USA), Yamaha, 12-4-6
6. Jordi Tixier (F), Honda, 7-6-9
7. Josh Hill (USA), Yamaha, 6-17-3
Endstand WSX 2022:
1. Ken Roczen (D), Honda, 116
2. Joey Savatgy (USA), Kawasaki, 112, (-4)
3. Vince Friese (USA), Honda, 112, (-4)
4. Justin Brayton (USA), Honda, 108, (-8)
5. Josh Hill (USA), Yamaha, 83, (-33)
6. Eli Tomac (USA), Yamaha, 76, (-40)
7. Cedric Soubeyras (F), Kawasaki, 72, (-44)
8. Jordi Tixier (F), Honda, 68, (-48)