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Jett Lawrence (HRC): Ist er nun der Erste oder nicht?

Kolumne von Thoralf Abgarjan
Über die Frage, ob Jett Lawrence der erste US-Outdoors-Sieger der 450er Klasse ist oder nicht, ist eine Debatte entbrannt. Der letzte Honda-Erfolg liegt 19 Jahre zurück. Sind diese beiden Titel vergleichbar?

HRC-Werksfahrer Jett Lawrence beendete mit dem Gewinn der US Nationals 2023 eine 19-jährige Durststrecke von Honda in der US-Premiumklasse des Motocross. Der letzte Honda-Meisterschaftsgewinn im Jahre 2004 war ebenfalls eine perfekte Saison für Honda, denn Ricky Carmichael gewann in jenem Jahr sämtliche Läufe. Dieser Triumph war nach 2003 bereits seine zweite perfekte Saison in Folge.

Im Artikel 'Hondas Triumph zum 50. der CR250M Elsinore' vom 29. August 2023 wird herausgestellt, dass Jetts 450er Titel in diesem Jahr überhaupt der erste 'große' US-Titelgewinn für Honda seit dem Übergang zur modernen Viertakt-Ära des Motocross gewesen sei. Aufmerksame Leser von SPEEDWEEK.com merkten aber an, dass Carmichael im Jahr 2004 seinen Titel auf einer Honda CRF450 gewonnen hat, also mit einem Viertakt-Bike. Damit wäre er der erste Honda-Titelgewinner der Viertakt-Kategorie in den USA und nicht Jett Lawrence, wie im Artikel behauptet wurde.

Um es vorweg zu nehmen: Beides ist weder ganz richtig noch ganz falsch. Unstrittig ist, dass Carmichael 2004 mit einem 450er Viertakt-Bike gewonnen hat. Aber die Klasse war damals noch offiziell als 250 ccm Klasse deklariert. Die Erweiterung auf die 450ccm-Viertakt-Klasse erfolgte erst später, im Jahre 2006. Aus diesem Grunde wird Ricky Carmichaels Titel bis heute in sämtlichen Archiven konsistent als 250er Titel geführt, obwohl er mit einem 450er Bike gestartet war.

Um zu verstehen, was damals genau passierte, muss man etwas weiter in die Geschichte blicken. Die Öffnung der Klassen für die Viertakter geht bis in die Mitte der 1990er Jahre zurück. Die Hersteller wollten die gegen die Zweitakter nicht konkurrenzfähigen Viertakt-Motoren im Motorsport etablieren. Einer der damaligen Gründe war übrigens ähnlich wie heute der Umwelt- und Naturschutz, allerdings hat sich das rückblickend nicht bewahrheiten können, denn ein moderner Zweitakter verbraucht weniger Öl als ein vergleichbarer Viertakter. Auch von der Geräuschemission ist ein Zweitakter beherrschbar. Aber das soll hier nicht das Thema sein.

Yamaha war zu jener Zeit federführend in der Viertakt-Entwicklung und erwirkte eine Sondergenehmigung der AMA in Hinblick auf die Hubraumbegrenzung. Im Jahre 1997 wurde in den USA das Hubraumlimit der 250er Zweitakter auf bis zu 550 ccm für Viertakter angehoben (in Worten: Fünfhundertfünfzig). Die 125er Klasse wurde auf 250 ccm für Viertakter erweitert. Die Entwickler wussten damals noch nicht, wie viel Hubraum sie tatsächlich brauchen, um an die Leistungswerte der Zweitakter heranzukommen. Während der Testphase kristallisierte sich zunächst ein Hubraum von 400 ccm für ein Optimum aus Leistung, Drehmoment, Beweglichkeit, Handling und Gewicht heraus. Doug Dubach war damals in das Yamaha-Testprogramm involviert. Er hatte bereits 1996 ein Vorserienmodell der YZ400 zu Testzwecken erhalten. «Anfangs war ich kein großer Fan davon», erinnert sich Dubach, «aber die Entwicklung schritt rasch voran». 1997 rückte Doug Henry mit der Yamaha YZM400 aus und gewann das Supercross in Las Vegas. Im Jahre 1998 gewann er mit der YZM400 die US-Motocross-Meisterschaften der 250er Klasse, die aber die erwähnte Ausnahmeregelung für Viertakter hatte.

«Yamaha hat damals alle anderen Hersteller überrascht» erinnert sich Dubach. «Wir wussten ja, dass sie von uns lernen und so schnell wie möglich nachziehen würden. Nach kurzer Zeit hatten wir einen Prototyp der Yamaha 250F

In der WM begann das Viertakt-Thema übrigens noch früher als in den USA: Jacky Martens wurde schon 1993 Weltmeister der 500er Klasse mit der Viertakt Husqvarna 630. In der 500er WM wurde das Hubraumlimit der 500er Klasse auf 650 ccm für Viertakter erweitert. 1997 und 1998 gewann Joel Smets mit dem Husaberg-Viertakt-Dampfhammer die 500er WM. KTM begann ebenfalls mit der Viertaktentwicklung und konnte dabei auf Erfahrungen ihres Erfolgsmotors LC4 zurückgreifen.

Es passierte also viel in jener Zeit. In den USA schickte Honda Ricky Carmichael im Jahre 2003 noch mit der CR250 in die Rennen, also mit Zweitakt-Technik, aber Chad Reed konnte ihm mit seiner Viertakt-Yamaha immer wieder das Vorderrad zeigen. Carmichael gewann dennoch alle Rennen der Saison, aber Honda sah akuten Handlungsbedarf. 2004 rückte Carmichael erstmals mit der CRF450 Viertakt Honda aus und gewann die US Nationals mit einer weiteren perfekten Saison! Dieses Bike soll dem Vernehmen nach ein wahres Torque-Monster gewesen sein, also Drehmoment ohne Ende gehabt haben, besonders bei niedrigen Drehzahlen. Wer dieses Motorrad bewegte, soll jede Streckenpassage mindestens einen Gang höher gefahren sein. Es gibt zahlreiche Youtube-Filme, die belegen, dass Carmichael selbst sein Bike damals verglichen mit heutigen Maßstäben untertourig bewegt hat.

Trotz seiner Erfolge verließ Carmichael Ende 2004 Honda und wechselte zu Suzuki und damit wieder zurück zur Zweitakt-Technik. Er holte 2005 prompt erneut den Titel wurde der letzte Supercross-Champion auf einem Zweitakt-Bike.

Nochmals zur Erinnerung: Bis zu diesem Zeitpunkt galt in den USA in der 250er Klasse die Hubraumbeschränkung bis 550 ccm für Viertakter. Erst 2006 wurde in Amerika die bis heute etablierte 450er Klasse mit ihrem Regelwerk von der AMA eingeführt. Das ist auch der Grund, weshalb Carmichaels Nationals-Titel von 2004, den er definitiv auf der 450er Viertakt-Honda eingefahren hat, bis heute als Titel der 250er Zweitaktklasse geführt wird.

Zurück zur Eingangsfrage: Ist der 450er Titel von Jett Lawrence nun der erste 450er Titel für Honda in den USA oder nicht? Mit Blick auf das Reglement kann diese Frage nur mit einem klaren JA beantwortet werden, denn das bis heute gültige technische Reglement der 450er Klasse wurde erst 2006 eingeführt. Mit Blick auf die Technik war es aber Ricky Carmichael, der 2004 den ersten Viertakt-Titel in den USA für Honda geholt hat.

Unabhängig davon, ob es nun der erste oder zweite Viertakt-Erfolg für Honda war, Jett Lawrence hat mit seiner perfekten Saison einen Meilenstein gesetzt und eine 19-jährige Durststrecke der Roten beendet. Als Ricky 2004 die Meisterschaften gewann, war Jett gerade geboren.

Es gibt noch ein weiteres Detail: Während Yamaha Mitte der 1990er Jahre einer der Pioniere der Viertakt-Technik im modernen Motocross war, ist Yamaha heute der einzige verbliebene japanische Hersteller, der weiterhin moderne Zweitakter entwickelt und anbietet. Neben Yamaha setzen nur noch die Hersteller der Pierer Mobility AG, also KTM, Husqvarna und GASGAS auf aktuelle Zweitakt-Bikes. Honda, Kawasaki und Suzuki haben, abgesehen von einigen Kindermodellen, mit der Zweitaktentwicklung abgeschlossen und das hat unter anderem zu einem erheblichen Preisanstieg der Wettbewerbsmotorräder geführt. Für die Breitenentwicklung des Sports war dies ganz sicher nicht von Vorteil.

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Von Ivo Schützbach
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