VW-Technikchef Willy Rampf: «Das tut weh!»
Kein Vergleich zur Formel 1: In einer Schotter-Rallye werden die Rennautos hart rangenommen
Welchen Eindruck hast Du von der Akropolis-Rallye gewonnen?
Die Rallye wird ihrem Anspruch als härtester WM-Lauf gerecht. Wir haben in Griechenland rund 800 Kilometer getestet. Aber man muss doch einsehen, dass der Wettbewerb noch einmal eine Nummer härter ist. Wenn wir diese Rallye gut überstehen, können wir sehr zufrieden sein.
Du kommst aus der Formel 1, in der auf glatten Asphaltpisten vergleichsweise vorsichtig mit den Rennautos umgegangen wird. Was fühlst Du als Ingenieur, wenn Du mitbekommst, wie hart Deine Autos bei einer Schotter-Rallye rangenommen werden?
Ich habe an einer Wertungsprüfung gestanden und mir das Ganze live angeschaut. Wenn ich sehe, wie brutal über die dicksten Steine gefahren wird, tut mir das buchstäblich weh.
Im Vergleich zur Formel 1: Wie weit liegen im Rallyesport Simulation und Wirklichkeit auseinander?
Im Rallyesport liegen sie viel weiter auseinander. In der Formel 1 wird inzwischen fast alles bis auf die Hundertstelsekunde simuliert. Alle Strecken, alle Witterungsbedingungen, jeder Grad des Reifenabbaus, der Einfluss der Aerodynamik... Im Rallyesport ist dies durch die sich permanent ändernden Streckenbedingungen nicht möglich. Man kann eine Wertungsprüfung nicht mit der gleichen Präzision im Computer erzeugen wie eine Rennstrecke. Das Aufschlagen auf Felsen oder dicke Steine kann man zum Beispiel nicht berechnen. Eine Felge ist unglaublich stabil gebaut. Und dennoch werden häufig grosse Bruchstücke herausgeschlagen. Durch solche Vorfälle bekommt man eine gute Vorstellung davon, wie hoch die Belastungen bei einer Schotter-Rallye sind.
Heisst das auch, dass für die Ingenieure die Aussagen der Fahrer wichtiger sind als in der Formel 1?
Viel wichtiger. Wenn ein Formel-1-Auto nach ein paar Testrunden in die Box kommt, wissen die Ingenieure dank der Telemetrie schon ganz genau, was passiert ist. Über 200 Informationskanäle sendet ein Formel-1-Auto ständig Daten in die Box. Da braucht ein Fahrer nicht mehr zu erzählen, dass er in Kurve 3 Untersteuern hat. Da geht es um viel kleinere Details. Das ist im Rallyesport anders. Erstens gibt es keine Telemetrie, wir können die Daten erst auslesen, wenn das Auto zurück am Service ist. Zweitens wird die Anzahl der Sensoren und damit auch die Qualität der Aufzeichnung durch das Reglement stark eingeschränkt. Dadurch sind viele Vorgänge aus den Daten nicht herauszulesen. Rallye-Ingenieure sind deswegen stark auf die Aussagen der Fahrer angewiesen. Weil aber gleichzeitig bestimmte Situationen nicht exakt reproduzierbar sind – zum Beispiel kann eine bestimmte Kurve bei der nächsten Durchfahrt schon ganz anders aussehen –, braucht man sich im Rallyesport nicht so auf die winzigen Details zu konzentrieren.
Was kann der Ingenieur im Rallyesport von der Formel 1 lernen?
Ich glaube, dazu unterscheiden sich beide Disziplinen zu stark. Es gibt technisch einfach zu wenige Parallelen. Die Formel 1 ist heute sehr wissenschaftlich. Man weiss schon vorher genau, was man braucht, und daraufhin wird ein bestimmtes Teil ohne Kompromisse entwickelt. Im Rallyesport ist technische Entwicklung immer eine Mischung aus Wissenschaft, Ingenieursleistung und Pragmatismus.
Ursprünglich hatte Volkswagen Motorsport ja den Plan, 2013 nur Erfahrungen zu sammeln, um spätestens 2015 um den Titel zu fahren. Momentan sind aber schon dieses Jahr Fahrer- und Markentitel in Reichweite. Musstest Du deswegen die Kapazitäten in der Entwicklungsabteilung neu strukturieren?
Umstrukturieren musste ich nicht. Aber die Herangehensweise an technische Entwicklungen hat sich schon geändert. Wir haben für den aktuellen Polo R WRC den Schwerpunkt der Entwicklungsarbeit von Haltbarkeit auf Performance verschoben. Schliesslich wollen wir für den Rest der Saison das Niveau der ersten fünf Rallyes halten. Parallel dazu arbeiten wir natürlich intensiv an der Evolutions-Version des Polo R WRC für 2014.
Wird es grosse Änderungen geben?
Ich denke nicht, dazu setzt das Reglement zu enge Grenzen.
Hast Du es schon bereut, dass Du in den Rallyesport gewechselt hast?
Nein, überhaupt nicht. Für mich ist es eine Herausforderung, die viel Spass macht. Die grösste Umstellung war für mich, an Probleme auch pragmatisch heranzugehen. Anders als in der Formel 1 muss man im Rallyesport ganz einfach Kompromisse eingehen. Das liegt schon daran, dass ein World Rally Car auf einem Serienauto basiert und homologiert werden muss. Daran musste ich mich erst gewöhnen.