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Imola 1994: Ayrton Senna tot, Augenzeuge berichtet

Von Mathias Brunner
Ayrton Senna 1994

Ayrton Senna 1994

​Keiner kann dieses Wochenende vergessen, egal ob er 1994 vor dem Fernseher saß oder in Imola war: Roland Ratzenberger und Ayrton Senna aus dem Leben gerissen, innerhalb eines Tages.

Liegen die schwarzen Stunden von Imola wirklich schon 30 Jahre zurück? Wenn ich an die Ereignisse damals denke, dann kommt es mir vor, als hätte der Tod erst vor kurzem das Fahrerlager heimgesucht, so kraftvoll sind die Erinnerungen.

Ich berichtete damals an der Seite meines Vorbilds Helmut Zwickl von den Formel-1-Rennen. Helmut hatte schon in den 1960er Jahren über den Grand-Prix-Sport geschrieben, packend wie kein anderer, zu einer Zeit, als fast jedes Jahr mindestens ein Spitzenpilot sein Leben ließ. Mir ist bis heute schleierhaft, wie er damit umgehen konnte.

Die Formel 1 war 1994 in Sachen Sicherheit in Selbstgefälligkeit verfallen: Was sollte schon passieren? Hatte es nicht seit 1986 und dem Testunfall von Elio de Angelis in Le Castellet keinen Formel-1-Toten mehr gegeben?

Lag der letzte tödliche Unfall an einem GP-Wochenende nicht gar zwölf Jahre zurück? Riccardo Paletti 1982 in Montreal, mein erster Grand Prix übrigens, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Im Winter 1993/1994 waren die wichtigsten Fahrhilfen verboten worden, die Autos wurden nervös, wie Rennpferde kurz vor dem Start. In Brasilien war noch alles gut gegangen, in der Einöde von Aida in Japan auch. Aber das war die Ruhe vor dem Sturm.

Entsetzen über den Unfall von Ratzenberger
Der fatale Unfall von Roland Ratzenberger am Samstag, 30. April 1994, erzeugte grenzenloses Entsetzen. Wie der Österreicher nach dem schlimmen Unfall im Abschlusstraining im Wrack lag, die grausige Färbung des Helmes, da gab es kaum Hoffnung, das war uns sofort klar.

Als die Ärzte am zerschlagenen Chassis von Ratzenberger angekommen waren, schlug das Herz Ratzenbergers noch einige Male, aber Dr. Franco Seradei sagte später: «Im Grunde war der Fahrer klinisch tot.»

Helmut und ich schalteten den Autopiloten ein: Also Emotionen unterdrücken, Informationen sammeln, schreiben, professionell bleiben. Es reichte hin und wieder ein Blick zu meinem Wiener Kollegen, um in seinen Augen zu erkennen, was er über das ganze Geschehen dachte. Das Gleiche wie ich: Passiert das alles wirklich? Oder erwachen wir bald aus diesem Albtraum?

Ich kann nicht behaupten, dass ich Roland Ratzenberger gut kannte. Wir hatten uns kurz in Brasilien unterhalten, etwas länger in Japan.

Was ich jedoch sagen kann: Er war einer jener Mensch, die einem sofort sympathisch sind. Offen, humorvoll, zugänglich, aufmerksam. Abgesehen von den Deutschsprachigen sowie von Journalisten, die Roland aus der Zeit in England oder Japan kannten, blieb der Gästebereich bei Simtek meist leer. Ratzenberger freute sich spürbar, wenn jemand vorbeischaute.

Da war vor der Ära der heutigen Presseverhinderer. Wer mit einem Fahrer reden wollte, ging zu ihm hin und fragte, basta. Vielleicht mit Ausnahme der Stars der Branche. Roland war vom Status her kein Star, Allüren waren ihm komplett fremd. Er war, um es auf den Punkt zu bringen, einfach ein klasse Typ.

Düstere Stimmung im Hotel
Irgendwann waren alle Berichte abgesetzt, die Menschen verließen tröpfchenweise die Strecke in Richtung ihrer Hotels, die übliche Leichtigkeit des Seins in der frühlingshaften Emilia-Romagna war zerschmettert.

Die «Albergo Alma» in Riolo Terme war jahrelang unsere Oase fürs Rennen in Imola.

Jeden Abend nach einem langen Arbeitstag trudelten Journalisten- und Fotografenkollegen nach und nach in dieses Hotel ein, versuchten, mit einer schnellen Dusche den Dreck des Tages und den massiven Pollenflug abzuwaschen (was meist gelang), ohne das ganze Bad und das Zimmer obendrein unter Wasser zu setzen (was meist misslang), dann freute man sich aufs gemeinsame Essen.

Allgemeines Türenknallen (die Wände bestanden der Akustik zufolge aus Karton) war jeweils das Signal zur Tafel. Die Tische waren lang, die Abende auch, im Zeitalter ohne Internet, Facebook und Twitter gab es so etwas wie Geselligkeit ohne den Druck, ständig auf sein Handy gucken oder etwas posten zu müssen.

Hin und wieder wurden die Gespräche tiefgründig, meist wurde eher geblödelt, oft leidenschaftlich über Racing diskutiert, immer wurde viel gelacht.

Als wir erstmals im Alma bei der Familie Sangiorgi zu Gast waren, rannte ein Wirbelwind von Knirps unter den Tischen durch. Jahre später stand der gleiche Sohn des Besitzer-Ehepaars, inzwischen baumlang, in der Küche und hat die leckersten Speisen auf die Teller gezaubert. Es geht nichts über einen Familienbetrieb in Italien.

Aber an diesem Abend des 30. April 1994 war alles anders.

Gabeln klapperten zurückhaltend, die meisten von uns stocherten lustlos im Essen herum, Appetit hatte keiner, das Geschehene in Alkohol zu ertränken, machte auch nichts besser.

Aber reden tat gut, wie sonst lässt sich dieses Entsetzen verarbeiten?

«Das ist fürchterlich», sagte einer.

«Schlimmer geht es nicht, zuerst der Unfall von Barrichello am Freitag und nun Ratzenberger», sagte einer anderer.

Und ein dritter meinte: «Schlimmer wäre eigentlich nur, wenn morgen Senna stirbt.»

Dieser Satz verfolgt mich bis heute.

Furchtbare Bilder
Sonntagmorgen, 1. Mai, Renntag: Ein italienischer Kollege sprach mich an, ein Fotograf wolle mich sehen. Er stellte uns vor, dann ging er auffällig schnell, so als ob er mit der folgenden Szene nichts zu tun haben wollte.

Ich weiß den Namen des Fotografen nicht mehr. Aber die Farbabzüge, die er mir zeigte, bester Laune, wie ein Knirps auf dem Pausenhof, der seine Panini-Bildchen vorführt, ich werde sie nie mehr aus meinem Kopf bekommen. Ein Bild grauenvoller als das nächste, Nahaufnahmen, sehr viel Rot, den Rest überlasse ich Ihrer Phantasie.

Ich habe keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, so nahe an den Verunfallten heranzukommen, als Roland noch im Wagen lag. Und warum ihn niemand wegschickte, als der Salzburger aus dem Auto gehoben wurde.

Ich schob die Bilder von mir weg: «Es tut mir leid, das ist nichts für uns. Versuchen Sie ihr Glück woanders.»

Mir war spei-übel.

Kurz vor dem Start zum San-Marino-GP. Helmut Zwickl und ich schauten uns wie immer an, gaben uns kurz die Hand, es war ein kleines Ritual zwischen Freunden, fast als ob wir selber bald Rad an Rad kämpfen würden, und wünschten uns: «Gutes Rennen.»

Leider blieb der Wunsch unerfüllt: Ayrton Senna kam im San-Marino-GP von der Bahn ab, in Führung liegend, beim Sturz in der Tamburello zog er sich tödliche Verletzungen zu.

Gerhard Berger hat das vielleicht am treffendsten gesagt: «Es war, als sei die Sonne vom Himmel gefallen.»

Die Arbeit: ein grausiges Abziehbild des Vorabends. Viele Menschen im Fahrerlager, die sich ihrer Tränen nicht schämten. Fahrer und Team-Mitglieder, erstarrt in entsetzter Wortlosigkeit. Texte, die wie in Trance getippt und übermittelt wurden. Tränen zurückhalten, meinen Job machen, zusammenreißen.

Als ich spätabends Richtung Medienparkplatz schritt, um in die Schweiz zurück zu fahren – Menschen, die sich in den Armen lagen, die Blicke leer, die Akustik gedämpft, so als wäre alles in Watte gepackt, einige irrten auf der Rennanlage herum, als hätten sie die Orientierung verloren. Die meisten Fans jedoch hatten Imola längst verlassen, einige davon fluchtartig, als gäbe es ein Entrinnen vom Grausen.

In der Nacht vor dem Unglücksrennen war der große Brasilianer in tiefer Bestürzung. Die Unfälle von Rubens Barrichello und Roland Ratzenberger hatten ihn aufgewühlt.

Seinem engen Freund, dem Rennarzt Professor Sid Watkins, vertraute er sich an. Watkins riet ihm: «Dann fahr doch einfach dieses Rennen nicht. Oder warum hörst du nicht gleich ganz auf? Ayrton, was musst du noch beweisen? Lass das alles zurück und wir gehen fischen.»

Senna antwortete: «Es gibt gewisse Dinge, über die ich keine Kontrolle habe. Ich kann nicht aufhören. Ich muss weitermachen.»


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