Audi: Tiefstapeln oder ernste Sorge vor Toyota?
Audi gegen Toyota: Power gegen Reichweite
Audi kann vor den 24h von Le Mans nur tiefstapeln. Beim Auftakt der Langstrecken-WM in Silverstone, bei der zweiten Runde in Spa und beim Le Mans-Testtag am vergangenen Sonntag haben die Ingolstädter Toyota stets eine schallende Ohrfeige verpasst. Auch wenn man ruhigen Gewissens davon ausgehen darf, dass Toyota bis zum Rennen am Samstag (22. Juni, Start: 15:00 Uhr) noch zulegen wird: Der Status des haushohen Favoriten klebt Audi an den Reifen.
Vorsichtshalber warnt Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich allerdings schon einmal. «In diesem Jahr wird Le Mans eine besonders große Herausforderung für uns. In den letzten Monaten ergaben sich verschiedene Regeländerungen. Dadurch wurden wir in eine Position gebracht, in der es schwierig wird, den Wettbewerb über die Renn-Performance für uns zu entscheiden.»
In die Position hat sich Audi allerdings zum Grossteil selbst manövriert. Audi tritt in dieser Saison ist einer aggressiveren Strategie als in den vergangenen Jahren an. Auch wenn die Ingolstädter stets Effizienz predigen, hat man bei Audi Sport beim V8-Turbodiesel eine weitere Entwicklungsstufe gezündet und Reichweite gegen Power eingetauscht. Tritt Audi in ähnlicher Konfiguration wie bei den beiden ersten Rennen der Sportwagen-WM auch in Le Mans, liegt der Intervall zwischen den Boxenstopps bei 10 Runden.
Toyota wird zwei Umläufe mehr schaffen und wie im Audi im vergangen Jahr zwölf Runden fahren können. Über die Distanz muss Audi sechs Mal mehr stoppen und für diese Zusatzstopps rund sechs Minuten auf der Strecke aufholen. Das bedeutet im Schnitt müssen die R18 e-tron quattro eine Sekunde schneller pro Runde fahren als die Toyota TS030. Das ganze gilt allerdings nur unter Normalbedingungen – mit jeder Safety-Car-Phase, und die werden auch in diesem Jahr kommen, verschiebt sich die Kalkulation pro Audi.
Drei Mal wurde seit Januar die Einstufung in der LMP1-Klasse geändert, zwei Mal zugunsten der Privatteam, die aber ohnehin in Le Mans keine Rolle spielen und nur das ernten könnten, was ihnen die sechs Werksautos von Toyota und Audi übrige lassen. Toyota konnte in diesem Rahmen von einem grossen Tankrestriktor profitieren, der die Boxenstandzeiten von Audi und Toyota angleicht, sowie drei Liter mehr Sprit.
Nur: Bevor Audi einen so einschneidenden Schritt macht und 20% Reichweite aufgibt, ist in Ingolstadt in jeder erdenklichen Variante simuliert worden, ob die Rechnung aufgeht. Und unter diesem Aspekt dürften die drei Liter mehr Sprit für Toyota bei Audi keine schlaflosen Nächte bereiten. Denn mit drei Litern kann sich Toyota keinen weiteren Rundenvorteil verschaffen, auf einer Runde auf der 13,629 langen Strecke verbraucht der 3,4-Liter-V8 des TS030 rund sechs Liter Sprit.
Wenn sich Audi sorgen über Toyota macht, dann wohl kaum aufgrund der Einstufung. Audi dürfte eher das Unbekannte fürchten. Denn wie schnell der kompromisslos für Le Mans gebaute Toyota ist, hat bisher noch niemand gesehen, dass wird sich erst in Le Mans zeigen.
Chris Reinke, Audi-Projektleiter LMP1: «Am Testtag vor einer Woche haben wir über die Kräfteverhältnisse in diesem Jahr noch nicht viel gelernt. Auch die ersten beiden WEC-Rennen waren nicht repräsentativ. Wir sind gespannt, wie sich die Rennwoche entwickelt und ob der Kampf entstehen kann, den sich das Publikum und wir alle so sehr wünschen – ein ausgeglichener Wettbewerb um den Gesamtsieg.»
Auch Ralf Jüttner, der technische Direktor vom Audi-Einsatzteam Joest Racing, erwartet ein klares Bild erst nach den ersten Rennstunden, wenn der Faktor Spritverbrauch mit ins Spiel kommt: «Vielleicht gewinnen wir im Qualifying einen Eindruck von absoluten Rundenzeiten. Wir werden aber wahrscheinlich erst im Lauf des Rennens feststellen, wie sich die jüngste Regeländerung auswirken wird. Erst dann können wir unsere Marschroute endgültig festlegen. Ich erwarte einen intensiven Kampf.»