Formel 1: Abschied in der Unterhose

Geil, pervers, grotesk: Die kuriose Situation der DTM

Kolumne von Andreas Reiners
Keine Ahnung, wie viele Abgesänge auf die DTM schon angestimmt wurden. Auch wenn es mal wieder fünf vor Zwölf ist: Die Serie lebt, und sie kämpft mit allen Mitteln, die sie hat.

Die Situation ist nicht einfach nur seltsam. Sie ist geradezu grotesk. Kurios. Es ist eine perfide Mischung aus Aufbruchstimmung, Leidenschaft und Euphorie auf der einen und Zukunftsangst, Pessimismus und Ernüchterung auf der anderen Seite. Mittendrin die DTM. Die Zukunft der Tourenwagenserie ist offen. Und das zu einer Zeit, in der sie den besten Sport seit Jahren bietet. Pervers. Irgendwie.

Keine Frage: Die Serie lebt. Ein angeschlagener Riese, ein Boxer, der wankt, aber wie so oft nicht fällt, sich mit allem wehrt, was er hat. Weigert, sich aufzugeben. Kämpft, mit dem Rücken zur Wand, bäumt sich auf. Man kennt das in der DTM bereits. Aber diesmal ist es fünf vor Zwölf. Wenn nicht sogar später.

Das Auftakt-Wochenende in Hockenheim bot die ganze Palette an Problemen und Argumenten, die die Serie hat. Da war ein Fahrerlager, das ohne die früheren Rahmenserien arg gerupft aussah. Tribünen, die erschreckend leer waren. Dazu passt, dass die ITR auf einmal die Zuschauerzahlen nicht mehr veröffentlicht. Die wurden in der Vergangenheit durchaus mal geschönt und auf sehr einfallsreiche Art berechnet, souverän ist das Schweigen allerdings nicht.

Verlässt man sich auf sein Auge, sein Gefühl und den gesunden Menschenverstand, dürften es am Wochenende vielleicht rund 35.000 Fans gewesen sein. Fakt ist: Für einen Saisonauftakt bei strahlendem Sonnenschein schwach. Den einen Grund wird es wie so oft nicht geben. Eher eine Mischung. Das dürftige Rahmenprogramm. Das frühe Ende des DTM-Tages mit Rennende um 14.30 Uhr. Vielleicht war auch das Wetter zu schön. Die Winterpause zu lang. Oder aber der späte Vorverkauf war ein dickes Eigentor: 2016 gingen die Karten für 2017 bereits im November in den Verkauf, diesmal erst Mitte Februar. Doof.

Fakt ist aber auch: Parallel herrscht Aufbruchstimmung. Mit dem neuen TV-Partner Sat.1 weht ein frischer Wind, der Privatsender spart das schwierige Thema kurzerhand aus, feiert die DTM, emotional, anders, erfrischend, mitreißend. Hebt die Vorteile hervor, zeigt, was möglich ist mit diesen Fahrern, mit dem Potenzial, das die Serie hat.

Und die DTM ließ sich nicht lange bitten. Denn diejenigen, die nicht da waren, haben ein denkwürdiges Rennen verpasst. Einen epischen Kampf um den Sieg am Sonntag, mit wirklich allem, was der Tourenwagensport zu bieten hat. Es war exakt der Ritt auf der Kanonenkugel, den sich DTM-Chef Gerhard Berger seit einem Jahr so sehr wünscht. Unter anderem eine Folge der Anpassungen, die über den Winter gemacht wurden: Weniger Aerodynamik, weniger Abtrieb, keine Spielchen mehr durch Gewichte.

Racing pur. Emotionen pur.

Als Sieger Timo Glock nach der Zieldurchfahrt den jetzt schon legendären Satz «Mercedes, ihr verdammten Idioten, ihr solltet diese Serie nicht verlassen» und sechsmal «Fuck» durch den Funk jagte, war die Storyline perfekt.

Ein starkes Drehbuch. Geil, Mann. Drama, Baby!

Die Frage bleibt aber: Gibt es ein Happy End? Denn Berger hat Druck. Audi setzte vor dem Auftakt eine Deadline, will Planungssicherheit: Gibt es bis Mitte des Jahres keinen Nachfolger für Mercedes, wird es wohl auch kein Übergangsjahr 2019, keine Zukunft geben. Das ist das Perverse: Möglicherweise feiert die DTM eine spektakuläre Saison, muss aber im Juni ihren Tod für Mitte Oktober verkünden.

Berger kämpft weiter an allen Fronten, führt Gespräche, viele positive, aber ohne den Durchbruch, den sich alle erhoffen. Opel, Alfa, VW – was wären das für Namen. Doch immer noch hat die DTM den Ruf, viel zu teuer zu sein. Auch die Japaner werden wohl nicht kommen, auch wenn das Class-One-Reglement zu 95 Prozent steht.

Aus Kostengründen hat sich wohl auch ein weiterer Rettungsanker erledigt: HWA als Privatteam. «Das lässt sich in meinem Weltbild nicht finanzieren. So traurig das auch ist», sagte Mercedes-Teamchef Ulrich Fritz, gleichzeitig HWA-Geschäftsführer.

Er rechnete vor: Fünf, sechs Millionen Euro würden zwei Autos kosten. Entwickelt hat man die Boliden damit noch nicht. «Dafür einen Sponsor zu finden, ist wie ein Sechser im Lotto.» Hinzu kommt die Frage: «Bist du damit wettbewerbsfähig? Was sagt der Sponsor dann zum Thema Kanonenfutter? Es ist schwierig, ein schlüssiges Konzept zu haben», so Fritz. BMW wiederum schließt nicht aus, dass so etwas darstellbar wäre. «Im Kundensport gibt es die unterschiedlichsten Konstrukte. Das funktioniert seit Jahren. Da kommt es darauf an, wie gut ein Team da unterwegs ist», sagte BMW-Boss Jens Marquardt. Auch Berger glaubt, dass das möglich ist. Machen will es aber (noch) niemand.

Berger hofft, dass das Mega-Rennen am Sonntag Werbung in eigener Sache war. «Ich sag’ immer MotoGP bietet den besten Motorsport und ich glaube, heute haben wir Motorsport auf diesem Niveau geliefert», sagte der Österreicher, ehe er mit den Protagonisten Glock, Gary Paffett und Mike Rockenfeller anstieß: «Wir haben unseren Fans Rad-an-Rad-Duelle versprochen und heute haben wir geliefert. Die Änderungen am Reglement waren gering, aber das, was wir gemacht haben, war offensichtlich eine Punktlandung.»

Eine Punktlandung. Das ist genau das, was Berger bei der Herstellersuche jetzt noch einmal braucht.

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