Franz Tost, kommt der nächste Vettel aus Russland?
Es ist eine der heissesten Fragen dieses Formel-1-Sommers: Wer dockt neben Weltmeister Sebastian Vettel an – der Red-Bull-Nachwuchsfahrer Daniel Ricciardo (derzeit bei Toro Rosso) oder Lotus-Star Kimi Räikkönen oder am Ende Fernando Alonso? Die Qualitäten der Champions sind bekannt. Wir wollten vielmehr mit Franz Tost, dem Teamchef der Scuderia Toro Rosso, über die Vorzüge des jungen Australiers Ricciardo sprechen. Wir blicken aber auch etwas voraus und wollten wissen, wie sich die übernächste Generation der Red-Bull-Fahrer schlägt. Carlos Sainz junior (18) aus Madrid und Daniil Kvyat (19) aus Ufa sassen bereits im Toro Rosso. Franz Tost ist auch von ihnen beeindruckt.
Franz, lass uns von den Jungen und ihren Einsätzen in Silverstone sprechen. Was hat dir an Carlos Sainz junior gefallen?
Der junge Carlos Sainz war in der Woche vor dem Einsatz in England bei uns im Werk von Faenza. Da wurde ihm nicht nur der Sitz angepasst, der Spanier hat sich auch intensiv mit der Technik auseinander gesetzt. Mir fiel dabei auf: Er hat intelligente Fragen gestellt und man spürte, dass er sich gründlich auf den Test vorbereitet hatte, auch in Form von ausführlichen Simulationen.
Der Test selber verlief gut. Sainz hat sich stetig gesteigert, das zeigt, dass er seinen Speed unter Kontrolle hatte. Seine technischen Aussagen waren ebenfalls recht fundiert. Hier muss man einschieben, dass wir einen guten britischen Grand Prix hatten, und der Wagen entsprechend gut abgestimmt war. Nichtsdestotrotz muss man einen Formel-1-Renner in den Highspeed-Kurven von Silverstone erst mal mit der entsprechenden Übersicht bewegen. Das hat Sainz alles perfekt gemacht. Die Zeit steht für mich gar nicht so im Vorderung. Er ist seine Bestzeit mit weichen Reifen gefahren, die waren sicher mindestens acht Zehntelsekunden pro Runde schneller als die mittelharte Mischung, mit denen Daniel Ricciardo unterwegs war. Ein Platz so weit oben in der Tabelle bedeutet noch nicht Formel-1-Reife.
Wie muss es mit Sainz weitergehen?
Ich habe ihm gesagt: Er muss in seiner GP3-Klasse Rennen gewinnen. Wenn er sich eines Tages für die Formel 1 aufdrängen will, dann muss er in den Nachwuchsklassen siegen. Er ist nun 18 Jahre alt. Ich gehe davon aus, dass er in ungefähr zwei bis drei Jahren Formel-1-Reife besitzt. Er hat in der GP3 noch nicht jene Ergebnisse eingefahren, die von ihm erwartet werden.
Lass uns von Daniil Kvyat aus Russland sprechen.
Daniil hat etwas etwas schwieriger gehabt als Carlos. Wir hatten am Morgen seines Testtags, da sass Stammfahrer Jean-Eric Vergne im Wagen, ein Hydraulikproblem. Das hat uns zweieinhalb Stunden gekostet und unser Programm etwas durcheinander gebracht. Es wurde dann etwas hektisch bei uns, weil wir Daniil unbedingt noch eine Fahrgelegenheit geben wollten. Er konnte erst um 15.00 Uhr raus, also viel später als geplant.
Kvyat hat für einen Neuling einen sehr guten Speed vorgelegt und sich ebenfalls schön gesteigert. Er hat sich auch einmal gedreht, aber das stört mich nicht, ganz im Gegenteil. Das beweist mir, dass er das Limit suchte. Leider ging uns dann die Zeit aus, um ihn noch mit weichen Reifen fahren zu lassen. Ich finde, Daniil hat eine gute Leistung gezeigt, auch deswegen, weil er erstaunliches Verständnis fürs Fahrzeug und die Reifen beweist. Er hat beispielsweise über Funk gemeldet, dass die Hinterreifen zu überhitzen beginnen, ob er nicht besser eine gemächliche Runde einlegen solle, auf dass sich die Reifen etwas erholen. So etwas beeindruckt mich. Er fuhr dann eine Runde langsamer und dann gleich wieder schneller. Mit Sainz und Kvyat sind zwei gute Junioren auf ihrem Weg Richtung Formel 1.
Kommen wir zu Daniel Ricciardo. Sein Test für Red Bull Racing wurde ja als letzte Bewerbung bezeichnet für den Platz neben Vettel. Was überwiegt nun? Der Fehler mit dem Ausflug ins Kiesbett? Oder sein Speed und das technische Verständnis?
Daniel Ricciardo ist ein sehr talentierter Fahrer, der mehrmals auch bei uns seinen Speed unter Beweis gestellt hat. Wenn dabei das Auto im Kies steht, dann kann ich mich nur wiederholen – nur einer, der nicht richtig Gas gibt, landet nie neben der Bahn. So etwas muss man einem Fahrer verzeihen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dies bei Red Bull Racing einen grossen Ausschlag gibt. Schliesslich ist er dann mit dem Wagen sehr schnell gewesen. Neben dem Speed und technischem Sachverstand, die schon vorher da waren, hat sich Ricciardo im Rennen wesentlich verbessert. Er ist nach der Startphase wesentlich aggressiver geworden. Ich sehe keinen Grund, wieso er sein Talent nicht auch bei Red Bull Racing einbringen sollte.
Ich persönlich würde es lieber sehen, wenn man ihm noch ein Jahr Reifeprozess bei Toro Rosso zugesteht, um noch mehr Erfahrung zu sammeln. Ich meine, wir sprechen hier von Red Bull Racing, dem Weltmeister-Team in drei aufeinander folgenden Jahren. Daniel hat noch nie auf einem Formel-1-Podest gestanden, er hat kein Rennen gewonnen, wie soll er auch? Dazu war sein Auto bei uns nicht gut genug. Das ist das einzige Manko, das ich bei ihm sehe. Ansonsten glaube ich, dass er in der Formel 1 schöne Erfolge vor sich haben wird.
Du hast vor Jahren ja auch Sebastian Vettel bei seinem Aufstieg beobachtet. Wo liegen die drei besagten jungen Fahrer gemessen am Vettel von damals?
Die sind nicht so weit vom jungen Vettel weg. Man darf nämlich nicht vergessen: Sebastian hatte bei BMW-Sauber die Möglichkeit, viel zum Testen zu kommen, nicht nur während der Wintertests, sondern später auch im Rahmen der Freitagstrainings. Auch ein Vettel hat Zeit gebraucht, um seine Aufgabe in der Formel 1 zu verstehen und sich optimal einzubringen. Der grösste Unterschied zwischen Vettel und Ricciardo beim Schritt von Toro Rosso zu Red Bull Racing: als Vettel zu RBR kam, war das noch kein Siegerteam. Die sind gemeinsam gewachsen. Heute muss Ricciardo sofort Podestränge erreichen und um Siege mitreden können. Ob Daniel Ricciardo da die Fussstapfen von Mark Webber füllen kann? Vielleicht kommt die Chance ein Jahr zu früh.