Die neue Formel 1: Blamage oder notwendiges Übel?
Zahlen lügen nicht. Nach der Hälfte des ersten Testtags in Jerez waren von zehn für Andalusien angekündigten Rennställen nur die Boliden von fünf Teams auf der Bahn zu sehen. Zusammen legten diese fünf Autos (Force India, Sauber, Toro Rosso, Ferrari, Mercedes) nur insgesamt 34 Runden zurück!
Hamilton wegen Frontflügel-Defekts von der Bahn gesegelt, Räikkönens neuer Ferrari stehengeblieben (ein Software-Fehler), Marussia zunächst gar nicht in Spanien, Montagefehler bei Red Bull Racing (eine Feder war falsch herum eingebaut worden), Caterham und Williams und McLaren mit Verspätung, nur Installationsrunden bei Sauber und Force India. Bei McLaren spukte es im Hydrauliksystem, zudem gab es Probleme mit der Installation der Elektrik. Die Sorgenliste ist lang.
Ist das alles jetzt eine gnadenlose Blamage oder war das vor dem Hintergrund der massiven Reglementsumstellung unausweichlich?
Wer sich über die scheinbar jämmerliche Zwischenbilanz der Teams lustig macht, der sollte bedenken: Wir reden hier über einige der hellsten Köpfe der Motorsportbranche. Wenn diese Köpfe rauchen und einiges schief geht, dann zeigt das nur, wie komplex die Aufgabe ist und unter welch grossem Zeitdruck die Rennställe standen, um es überhaupt nach Jerez zu schaffen. «Ein halbes Wunder, dass wir hier sind», sagt dazu Adrian Newey, das Genie hinter den WM-Titeln von Red Bull Racing.
Testfahrten sind grundsätzlich dazu da, um Problemen auf den Grund zu kommen. Die Teams haben den Fallschirm bekannter Technik verloren. Ein neues Reglement war immer schon ein Unruhestifter. Die Technik der V8-Saugmotoren war ausgereift, Motorprobleme wurden zur Seltenheit, die Aerodynamik wurde nur noch feingeschliffen.
Das alles war schlecht fürs Spektakel. Die gegenwärtigen Probleme mit der Standfestigkeit schenken der Formel 1 wieder das dringend notwendige Element der Unwägbarkeit – die Rennen werden unberechenbar, das kann uns Fans nur recht sein. Die Rennen bleiben wegen der verringerten Spritmenge auch spannend bis zum Schluss. Auch das ist gut.
Sebastian Vettel: «Unterschätzt die Technik nicht!»
Auch Weltmeister Sebastian Vettel musste Däumchendrehen. Der vierfache Champion gibt zu bedenken: «Es geht offenbar nicht nur uns so. Was hören wir denn im Hintergrund? Nichts. Die Gegner haben die gleichen Baustellen wie wir. Wir haben ja noch ein paar Tage Zeit. Aber es wäre schon wichtig, dass wir so viel als möglich zum Fahren kommen, um dann auch auf die beiden anderen Tests in Bahrain gut vorbereitet zu sein.»
Aber nochmals: Wie komplex ist die neue Technik wirklich?
Sebastian Vettel weiter: «Technikfans kommen da voll auf ihre Kosten. Die ganze neue Technik ist hochinteressant, aber eben auch sehr kompliziert. Das kostet sehr viel Zeit und noch mehr Geld. Wir haben früher vielleicht beim einen oder anderen technischen Aspekt gesagt – naja, das ist ja keine Raketenwissenschaft. Nun ist es aber sehr wohl Raketenwissenschaft. Es ist fesselnd, wie das alles zusammenspielt. In wie weit das jemand aber verstehen kann und das auch will, ist etwas anderes. Ich glaube, ich habe ungefähr eine Ahnung davon, wie das alles geht, aber so bald es ins Detail geht, wird es schwierig. Ich habe ja mein ganz normales Abitur plus ein wenig Rennsport. Aber wenn sich die Techniker schon schwertun, dann erst recht die Fahrer. Ich fürchte, und das sage ich jetzt, ohne unhöflich sein zu wollen – die Fans werden noch weniger verstehen. Es geht ja uns schon so. Wenn alles so einfach wäre, dann wären wir schon längst am Fahren.»
Aufregung um die Nasen wird sich bald legen
Vom gewöhnungsbedürften Aussehen vieler Autos an der Nasenspitze (Ameisenbär, Manta, Nasenbär, Delfin und so fort) werden wir nach wenigen Rennen nicht mehr sprechen. Die Autos werden für uns normal aussehen. Das war schon früher so, als beispielsweise die schmalen Heckflügel eingeführt wurden oder die extrem breiten Frontflügel. Was haben wir da geschimpft! Und doch: nach wenigen Rennen hatten wir uns an diese Optik gewöhnt und gingen zur Tagesordnung über.
Zudem gilt noch immer die Devise, die auch Red Bull Racing-Technikchef Adrian Newey betont: «Ein schnelles Auto ist immer schön.»
Was passiert in Australien?
Wie lässt sich der erste Testtag von Jerez auf die Formel 1 anno 2014 umsetzen?
Nochmals Sebastian Vettel: «Ich erwarte, dass die Abstände zwischen den einzelnen Autos deutlich grösser werden. Wer in den letzten Jahren fand, die Abstände seien zu gross, der wird jetzt ein Aha-Erlebnis erhalten. Wenn ich das als Weltmeister der letzten vier Jahre sage, dann klingt das natürlich ein wenig seltsam. Aber die besten Autos waren in den letzten vier Jahren wirklich auf ähnlicher Höhe, die Rennen waren teilweise unglaublich spannend. Das kann jetzt anders werden. Das beginnt schon bei der Zuverlässigkeitsquote. Im Moment stecken wir in einer steilen Lernkurve, jeden Tag. Ich gehe mal davon aus, dass es in Australien das halbe Feld nicht ins Ziel schaffen wird.»