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Prügelknabe Renault: Naiv, arrogant oder überfordert?

Von Mathias Brunner
In Bahrain bestätigt sich der Eindruck des Jerez-Tests: Weltmeister Renault ist mit der neuen Antriebseinheit hinter Mercedes und Ferrari nur die dritte Kraft. Wieso eigentlich?

Natürlich stehen wir noch ganz am Anfang einer hoffentlich spannenden und abwechslungsreichen Formel-1-Saison, klar haben alle Teams mit tapsigen Schritten die neue Turbo-Ära betreten, und jeder Rennstall, jeder Motorenhersteller hat Sorgenlisten, welche ganze Toilettenpapierrollen füllen würden. Doch selbst wenn der in Bahrain glänzend gefahrene Nico Hülkenberg sagt, «auf die Zeiten sollte derzeit keiner etwas geben», so dringt im Gespräch mit den meisten Formel-1-Insidern hier in Bahrain durch: es gibt durchaus eine Hackordnung, und die lautet – Mercedes vor Ferrari vor Renault.

Der Techniker eines Nicht-Renault-Teams stellt mir die rhetorische Frage: «Ich wundere mich, ob Renault naiv, arrogant oder überfordert ist. Naiv, weil die Franzosen vielleicht die Arbeit mit den neuen Antriebseinheiten unterschätzt haben. Sind sie nach vier WM-Titeln in Folge ein wenig selbstgefällig geworden? Arrogant, weil man auf gewisse kluge, da einfache Lösungswege verzichtet hat, weil man möglicherweise davon überzeugt ist, es selber besser zu wissen. Und überfordert, weil ich nicht den Eindruck habe, dass Renault die Probleme von Jerez für Bahrain wirklich gelöst hat. Auch wenn sie das beteuern.»

Dem allem widerspricht Renault-Einsatzleiter Rémi Taffin. Es ist lobenswert, dass der Franzose sich in Arabien nicht vor den Medienvertretern versteckt – jeden Abend steht er Rede und Antwort. Renault hat verstanden, dass Schweigen keine Probleme löst. Das ist in der Formel 1 nicht selbstverständlich.

Taffin beteuerte nach dem ersten Bahrain-Testtag: «Es war zwar nicht so, wie wir es gerne hätten, aber zumindest haben wir mal eine Basis, auf der wir arbeiten können.»

Im Falle von Red Bull Racing, Toro Rosso und Caterham hat sich das bestätigt, mit Lotus leider nicht.

Taffin bleibt jedoch dabei – die Probleme, die Renault in Jerez hatte, seien gelöst, dafür würden leider neue auftauchen, an denen man arbeiten müsse. «Sie sind aber nicht so gross wie jene, die wir in Spanien hatten. Wir liegen im Zeitplan, erholen uns aber noch von Jerez.»

Aber nicht alle trauen dem Frieden. Wenn Taffin sagt, man habe andere Teile, falls die einen nicht funktionieren würden, von denen sei man dann sicher, dass sie halten würden, so fragt sich ein SPEEDWEEK.com-Leser zu Recht: Wieso baut man die dann nicht zum Vornherein ein? Wo es in dieser Phase der Saisonvorbereitung so wichtig wäre, Kilometer zu bolzen.

Zu wenig Respekt für Renault?

Wir wollen den Vorwürfen des gegnerischen Technikers nachgehen.
Grundsätzlich gilt: Wir sprechen hier trotz aller Probleme nicht von einer Bastlertruppe, sondern von einem renommierten Autohersteller, der als Team oder Motorenlieferant in der Formel 1 zwölf Konstrukteurs-Pokale und elf Fahrer-WM-Titel gewonnen hat. Bei 519 GP-Einsätzen hat Renault nach eigener Statistik 164 Mal gewonnen, 213 Mal die Pole-Position erobert, 163 Mal die beste Rennrunde hingelegt und im Schnitt mehr als jeden zweiten WM-Lauf angeführt.

Diese Zahlen sollen verdeutlichen: Wir reden von einer äussert erfolgreichen Mannschaft fabelhafter Spezialisten, die auf höchstem Niveau arbeitet. Renault hat all seine Qualitäten in den vergangenen Jahren und Monaten auf dem Weg in die neue Turbo-Ära nicht einfach vergessen.

Rémi Taffin: «Du kannst dir nie ganz sicher sein»

Eine überschaubare Journalistenrunde mit Rémi Taffin in Bahrain. Die Körpersprache des Franzosen sagt – ich möchte eigentlich nicht hier sein, er wirkt nervös, auf dem Sprung. Ob er einfach viel Arbeit hat oder sich mit den Journalisten unwohl fühlt, ist schwer zu sagen. Vielleicht beides. Bei den Antworten bleibt er grösstenteils vage, was uns nicht wundern sollte: In keinem Sport ist Geheimniskrämerei so Grundsatz wie in der Formel 1. Und niemand in diesem Zirkus gibt Schwierigkeiten gerne zu.

Gehen wir einige Vorwürfe an Renault oder Behauptungen über die F1-Spezialisten aus Frankreich durch, die wir in den letzten zwei Tagen im Fahrerlager gehört haben, und stellen dazu Erklärungen von Rémi Taffin.

Behauptung: Renault kommt nicht vom Fleck.

Rémi Taffin: «Der zweite Bahrain-Testtag, also Donnerstag war unser bester bislang. Wir sind mehr zum Fahren gekommen, hatten allerdings mit Lotus Schwierigkeiten, wobei wir hier von Problemen mit dem Chassis sowie mit der Antriebseinheit sprechen, also von verschiedenen. Wir haben keine grundsätzlich neuen Probleme angetroffen, es gibt kein Drama. Der dritte Tag hat diesen Eindruck bestätigt. Wir machen Fortschritte. Wir haben auch mit einer verbesserten Software gearbeitet und viele nützliche Daten gesammelt.»

Behauptung: Lotus macht mit Renault nun jene Erfahrungen, welche die anderen einfach schon in Jerez machen mussten.

Rémi Taffin: «Nein, das würde ich so nicht sagen. Leider handelt es sich um sequentielle Probleme, will heissen – wenn ein Problem auftritt, dann müssen wir das auf der Stelle zu lösen versuchen, erst dann kann es weitergehen. Das bindet viel Zeit. Dann tritt das nächste Problem auf, und das Spiel wiederholt sich. Aber das hat nichts damit zu tun, dass Lotus nicht in Jerez fahren konnte. Red Bull Racing konnte in Jerez auch kaum fahren. Das hat miteinander nichts zu tun. Ich sehe keinen Grund, wieso wir von der Renault-Seite her mit Lotus nicht 60 Runden pro Tag fahren sollten.»

Damit wird der Schwarze Peter elegant dem schwarzen Team zurückgeschoben. Denn nach dem dritten Bahrain-Testtag sagt Taffin, auf die Probleme von Lotus angesprochen, leicht süffisant: «Wir hindern niemanden am Fahren ...»

Behauptung: Renault geht vorsichtiger an die Aufgaben heran als Mercedes oder Ferrari.

Rémi Taffin: « «Wir schauen nicht darauf, was die anderen tun, das wäre Zeitverschwendung. Wir schauen nur auf uns: Wenn wir auf einem Niveau angelangt sind, sie zu schlagen, dann werden wir auf sie schauen. Im Moment ist das sinnlos. Wir sind noch weit vom Limit entfernt. Erstens, weil wir am ersten Bahrain-Testtag eine Basis brauchten, auf der wir aufbauen können. Diese Basis haben wir am zweiten Tag verfestigt, also konnten wir mehr fahren. Aber das Ganze ist ja nicht so, als ob wir einen Schalter umlegen würden – von Vorsichts-Einstellung zu Vollleistung. Das ist ein Prozess, der Schritt um Schritt verläuft. Heute werden wir einen weiteren Schritt machen und morgen den nächsten.»

In Bahrain sickert jedoch durch: Renault fährt durch ein gezieltes Zurückschrauben der Leistung mit mindestens 100 PS weniger als die Konkurrenz von Mercedes und Ferrari. Das deutet nicht auf einen Motorenhersteller hin, der sich seiner Sache besonders sicher ist.

Behauptung: Renault hat unter anderem deshalb Probleme mit den Batterien oder mit (gemessen an Ferrari und Mercedes) recht voluminöser Kühlung, weil die Franzosen als Autohersteller solche Teile aus Prestigegründen und als Technikdemonstration selber bauen muss. Ferrari zum Beispiel arbeitet mit Kühlern einer Spezialfirma aus den USA, auch die Batterien werden ausser Haus hergestellt.

Rémi Taffin: «Die Antriebseinheiten bestehen aus verschiedenen Komponenten. Bei jedem dieser Teile entscheidest du als Hersteller – entwerfen und bauen wir das selber oder kaufen wir es ein? In Sachen Batterie sind wir der Meinung, es ist es wert, eine eigene Lösung einzusetzen, weil wir das als entwicklungswürdige Technik ansehen, von der wir selber profitieren wollen.»

Behauptung: Renault wird den Rückstand bis zum Saisonbeginn nicht aufholen.

Rémi Taffin: «Als Techniker bist du dir nie hundertprozentig sicher, ob du alles richtig gemacht hast. Aber ich glaube, dass wir die Schwierigkeiten zu 99 Prozent aus der Welt räumen können. Und wenn wir weiter Probleme mit einem gewissen Teil haben, dann haben wir andere, die wir einbauen und von denen wir wissen, dass sie funktionieren. Der grundsätzliche Unterschied zwischen Problemen mit der Hardware und mit der Software – Schwierigkeiten mit der Hardware sind oft ganz schwierig zu beheben. Du musst zunächst herausfinden, woher die Probleme kommen. Software-Schwierigkeiten sind einfach, weil du viel mehr Testmöglichkeiten hast, um dem Problem auf den Grund zu kommen. Software ist einfacher zu modifizieren als Hardware. Aber ich bleibe überzeugt davon, dass wir zum Saisonauftakt in Australien bereit sein werden.»

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