MX-Rückblick 2016-9: MXoN - der Glanzpunkt der Saison
Anfang September gastiert die WM erstmalig auf dem Charlotte Motor Speedway im US-Bundesstaat North Carolina. Das muss wegen eines schweren Unwetters abgesagt werden. So qualifizieren sich die Fahrer erst am Vormittag des Renntages. Das improvisierte Konzept der gezeiteten Runden funktioniert aber erstaunlich gut und bringt für die Zuschauer sogar mehr Spannung als so manches Qualifikationsrennen in diesem Jahr.
Sonderregeln für US-Gaststarter
US-Star Eli Tomac (Kawasaki) nimmt an den beiden US-Grand-Prix teil und legt von Anfang an den Maßstab fest: Beste Qualifikationszeit und ein klarer Sieg im ersten Lauf vor Justin Barcia und Jeremy van Horebeek.
Doch bei den US-Rennen gilt für die Treibstoffe eine Sonderregelung, denn es werden hier auch die AMA-Spezifikationen akzeptiert. Der US-Treibstoff hat eine höhere Oktanzahl, die Motoren können höher verdichtet werden und haben damit mehr Leistung.
Tim Gajser wird vorzeitig Weltmeister
Für Titelaspirant Tim Gajser geht es in Charlotte um höhere Ziele als den Laufsieg. Er fährt im ersten Lauf auf Sicherheit. Ein vierter Rang genügt ihm, um vorzeitig Weltmeister zu werden. Der junge Heißsporn, der in diesem Jahr so oft und so heftig gestürzt ist, hat es also tatsächlich geschafft.
Im zweiten Lauf gibt Gajser wieder Vollgas und will auch den Amerikanern zeigen, warum er Weltmeister geworden ist. Er führt die erste Hälfte des Rennens an und begeht dann doch wieder einen seiner Fehler, den Tomac zu seinen Gunsten nutzen kann und somit auch den 'Grand Prix of the Americas' gewinnt.
Nagl kann Febvre auf Distanz halten
Max Nagl will unbedingt WM-Rang 3 verteidigen, stürzt aber im ersten Lauf und fällt auf Rang 10 zurück. Im zweiten Lauf gewinnt er den 'holeshot', fällt dann aber auf Rang 9 zurück. Damit ist der Deutsche nicht zufrieden. Er hat aber Glück, denn sein Verfolger Romain Febvre kann mit den Plätzen 9 und 6 nur wenige Punkte wettmachen.
Vor den letzten beiden Läufen in Glen Helen hat der Deutsche ein Polster von immerhin noch 16 Punkten, das er über die Distanz retten muss, um WM-Dritter zu werden. Um sich auf Glen Helen vorzubereiten, legt er deshalb in den USA weitere Trainingseinheiten ein.
Herlings wird endlich und verdient Weltmeister
Taktieren ist nicht die Sache eines Jeffrey Herlings. Entweder fährt er voll oder gar nicht. Er muss in Charlotte gegen enorm starke US-Gegner antreten: Cooper Webb hat vor wenigen Wochen die US-Motocross-Meisterschaft gewonnen. Austin Forkner und Adam Cianciarulo gelten als die hoffnungsvollsten US-Talente. Cianciarulo stürzt aber in der ersten Runde des ersten Laufs und muss das Rennen danach beenden.
Für Webb und Herlings geht es in diesem Rennen ums Prestige. Beide schenken sich nichts und so wird der erste Lauf von Charlotte zum spannendsten MX2-Rennen des Jahres. Nach rundenlangen Zweikämpfen Lenker an Lenker kann sich schließlich Jeffrey Herlings gegen den US-Champion durchsetzen und wird vorzeitig MX2-Weltmeister des Jahres 2016.
Nach 2 tragisch verlaufenen Titelverlusten ist der dritte Titel für einen der begabtesten Motocrosser unserer Tage hochverdient, darin sind sich alle einig.
Im zweiten Lauf ist aber für 'The Bullet' nach dem Titelgewinn schließlich doch die Luft raus. Kann man es ihm verdenken, nach all den Tragödien der letzten Jahre? Er ist übermannt von seinen Gefühlen, leidet zudem unter Jetlag und lässt es auf Rang 3 hinter Webb und Forkner ruhiger angehen.
Saisonfinale in Glen Helen: Max Nagl wird WM-Dritter
Vor dem Saisonfinale in den Hügeln von Glen Helen sind die Titelentscheidungen gefallen.
Jeffrey Herlings wirkt von Anfang an konzentriert und gewinnt beide Läufe souverän vor Jeremy Martin.
Eli Tomac gewinnt erneut beide Läufe. Max Nagl wird hinter Tomac und Cairoli sowie vor Tim Gajser Dritter. Romain Febvre fällt im ersten Lauf aus. Damit ist dem Weilheimer noch vor dem letzten WM-Lauf des Jahres der dritte WM-Platz nicht mehr zu nehmen!
Im zweiten Lauf gewinnt Nagl erneut den 'holeshot' und mit den Plätzen 3 und 4 verpasst er knapp das Podium.
Dennis Ullrich gewinnt die MX Masters
Dennis Ullrich gewinnt zum dritten Mal die ADAC MX Masters
im Schlamm von Holzgerlingen vor seinem finnischen Teamkollegen Harri Kullas und dem Dänen Thomas Kjer Olsen.
Absoluter Saisonhöhepunkt: MXoN
Ende September findet in Maggiora das Motocross der Nationen statt. Das DMSB-Team startet mit dem WM-Dritten Max Nagl, dem MX Masters-Sieger Dennis Ullrich und Henry Jacobi. Jacobi hat eine glücklose Saison im italienischen Team J-Tech-Honda hinter sich. Man einigt sich auf eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen noch vor Saisonende.
Das deutsche Sarholz-Team springt ein und stellt dem Thüringer eine KTM zur Verfügung.
Der neue DMSB-Teamchef, Wolfgang Thomas, hat es von Beginn an nicht leicht: Im Qualifikationsrennen am Samstag verliert er mit Max Nagl seinen wichtigsten Leistungsträger durch einen Sturz.
Das DMSB-Team ist massiv geschwächt und erreicht nur Platz 28, was nicht einmal für das Finale am Sonntag reicht! Aber auch andere Teams haben Probleme. Allen voran das Team aus den USA. Jason Anderson stürzt und bricht sich den Fuß an. Doch der Husqvarna-Pilot will die Zähne zusammenbeißen und am Sonntag starten.
Die deutsche Mannschaft kann sich jetzt nur noch über einen Sieg im B-Finale für die Finalrennen qualifizieren.
DMSB-Team verliert durch taktischen Fehler
Dennis Ullrich gibt trotz des schweren Rückschlags nicht auf, setzt im B-Finale voll auf Angriff und führt das Rennen an. Mehr kann er von seiner Seite nicht tun, um das deutsche Team nach dem Ausfall des Mannschaftskapitäns doch noch ins Finale zu hieven.
Im B-Finale geht es um Alles oder Nichts. Nur der Sieger kommt weiter ins A-Finale. Bis kurz vor Schluss liegt aber noch Team Portugal in Front.
Kurz vor Schluss bleibt der schnelle Portugiese, Rui Goncalves, plötzlich mit technischem Defekt liegen. Damit wendet sich das Blatt und das DMSB-Team hat mit Dennis Ullrich auf Platz 1 und Henry Jacobi auf Rang 11 den Finaleinzug zum Greifen nahe.
Doch in der DMSB-Box erkennt man die Situation zu spät, reagiert panisch und zeigt Jacobi vor der letzten Runde an, er müsse unbedingt noch einen weiteren Fahrer für den Finaleinzug überholen.
Team Deutschland liegt zu diesem Zeitpunkt aber längst vorn. Sogar der englischsprachige Streckensprecher weiß es und feiert die Deutschen!
Zu früh.
Jacobi vertraut seiner Boxentafel, setzt alles auf eine Karte, riskiert zu viel, stürzt und wirft den Finaleinzug buchstäblich auf den letzten Metern durch eine völlig unnötige Aktion weg. Er kann es nicht fassen, denkt sogar, er selbst sei Schuld am deutschen Debakel.
Jacobi fällt durch den Sturz auf Platz 13 zurück, wodurch Team Irland den Finaleinzug erbt.
Besonders bitter ist die Situation für die deutschen Fahrer. Beide haben alles gegeben, sind buchstäblich über sich hinaus gewachsen. Ullrich hat mit seinem Sieg eine makellose Leistung abgeliefert, Jacobi hat bis an die Grenze des Möglichen gekämpft, geht durch eine Fehlinformation seiner Crew übers Limit und verliert am Ende doch alles.
Eine bittere Pille für das DMSB-Team um Wolfgang Thomas bei seinem ersten Einsatz als Teamchef der Nationalmannschaft.
All das war aber erst ein kleiner Vorgeschmack auf das, was in Maggiora noch folgen sollte.
Belgien geht in Führung
Team Belgien übernimmt nach dem ersten Finale (MXGP gegen MX2) die Führung mit Kevin Strijbos und Jeremy van Horebeek. Van Horebeek tritt überraschend in der MX2-Klasse an. Jetzt, wo es darauf ankommt, sind die US-Boys wieder voll da. Webb und Martin beenden das erste Finale auf den Rängen 4 und 9 und liegen damit vor Titelverteidiger Frankreich auf Platz 2.
Team Schweiz schlägt sich auf Platz 5 wacker, obwohl Valentin Guillod ebenfalls angeschlagen antreten muss.
Tragik im Zielbereich
Im zweiten Finale (Open/MX2) tritt Jason Anderson für die USA an, der sich am Vortag den Fuß angebrochen hatte. Er kann die Angriffe eines wie entfesselt fahrenden Jeffrey Herlings abwehren, bis der Holländer stürzt. Anderson gewinnt das Rennen, rollt mit Siegespose über den Zielhügel, ohne zu bedenken, dass andere Fahrer noch um wichtige Punkte kämpfen. Der Japaner Chihiro Notsuka ist zwar überrundet, kämpft aber bis ins Ziel und nimmt den Sprung voll, da weder gelbe Flaggen geschwenkt werden noch das Rennen anderweitig abgebrochen wurde. Erst im Flug bemerkt er unter sich den langsam über den Hügel fahrenden Amerikaner und trifft diesen mit voller Wucht am Kopf. US-Team-Manager Roger De Coster beschwert sich später über das angeblich rücksichtslose Verhalten des Japaners. Doch Notsuka trifft in dieser Sache keinerlei Schuld, darin besteht Konsens. Anderson wurde Opfer seines eigenen Fehlers, denn das Rennen ist nicht zu Ende, nachdem der Erste über die Ziellinie gefahren ist.
Der Zwischenfall ist in mehrfacher Hinsicht tragisch: Einerseits hätte er zu schweren Wirbelsäulenverletzungen führen können. Andererseits müssen nun die Amerikaner, die soeben die Führung in der Nationenwertung übernommen hatten, mit einem einzigen Fahrer im letzten Rennen des Tages auskommen, denn Anderson fällt definitiv aus, auch wenn, wie wir heute wissen, seine Verletzungen weniger schlimm waren als am Unfallort befürchtet.
Spannung bis zur letzten Sekunde
Das dritte Rennen von Maggiora 2016 wird in die Geschichtsbücher eingehen: Bis zur letzten Sekunde des entscheidenden Laufs (MXGP&OPEN) ist das Ergebnis offen.
Team Holland übernimmt zunächst die Führung. Jeffrey Herlings liegt vorn und sein Teamkollege Glenn Coldenhoff verteidigt rundenlang Platz 4. 'The Hoff' kann das höllische Tempo aber nur bis zur Rennmitte halten und wird bis auf Platz 7 durchgereicht.
Für die Rennentscheidung ist am Ende Romain Febvre ausschlaggebend: Erst treibt er Cooper Webb in der letzten Runde in einen Fehler, dann schnappt er sich noch den Briten Tommy Searle in der allerletzten Runde und führt Frankreich zum Sieg - dem dritten MXoN-Triumph in Folge.
Frankreich wird erneut Mannschaftsweltmeister
Frankreich gewinnt mit nur einem Punkt Vorsprung vor Team Holland und dem durch den Ausfall Andersons geschwächten Team USA.
Holland ist mit nur einem Punkt Rückstand knapp geschlagen und Team USA, das bis zum Schluss in Führung lag, erreicht noch Platz 3.
Die Situation eskaliert, denn die französischen Fans, die schon nicht mehr mit dem Sieg ihrer Mannschaft gerechnet haben, erstürmen die Strecke noch während des Rennens, was zu tumultartigen Verhältnissen in Maggiora führt. Es grenzt an ein Wunder, dass dabei niemand verletzt wird.
Jede der drei Mannschaften auf dem MXoN-Siegerpodium hätte den Triumph verdient. Für Team Holland wäre es ein historischer Erfolg geworden, so wie jener der Deutschen in Lommel 2012, denn Holland hat in der 70-jährigen Geschichte bisher noch nie das Nationencross gewonnen.
Hätten Belgien und Deutschland in ihrer Bestbesetzung antreten können, wäre aus dem Dreikampf vielleicht sogar ein Fünfkampf geworden.
Bei aller Dramaturgie und Spannung, die das Motocross der Nationen 2016 geboten hat, ging die famose Leistung der Schweizer beinahe unter: Platz 6 hinter Belgien, punktgleich mit Italien und vor Großbritannien ist und bleibt eine respektable Leistung des Schweizer Teams.
Glanzpunkt der Saison
Das Motocross der Nationen in Maggiora war nach Meinung vieler Beobachter das Beste und Größte, was der Motocross-Sport jemals hervorgebracht hat. Kein anderes Rennen in der Geschichte hatte so viel Dramatik, so viel Tragik, so viele Emotionen und so viel Spannung wie das MXoN 2016.
Wer bei diesem Rennen nicht dabei war, hat eine einmalige Chance verpasst, die so schnell nicht wiederkehren wird.
Und Diejenigen, die dabei waren, werden diese einmaligen Momente wohl nie wieder vergessen.