Knalleffekt bei KTM: Leitner geht, Guidotti kommt
Am 17. Oktober 2021 fragte SPEEDWEEK.com angesichts der in der zweiten Saisonhälfte meist enttäuschenden MotoGP-Resultate den KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer: «Braucht KTM ein Genie wie Gigi Dall'Igna?»
Denn Ducati hat 2021 fünf unterschiedliche MotoGP-Fahrer auf das Podest gebracht, sieben GP-Siege, elf Pole-Positions und 24 Podestplätze errungen. Gigi Dall’Igna kam im Oktober 2013 von der Piaggio Group zu als General Manager zu Ducati Corse und hat aus der Mannschaft aus Borgo Panigale wieder eine respektable Siegertruppe gemacht.
Dazu hat der alte Fuchs Dall‘Igna mit seinen innovativen Ideen wie Winglets, Hinterrad-Spoiler, Holeshot-Device, Ride Height Adjuster und Radabdeckungen immer wieder Lücken im technischen Reglement entdeckt und sie ausgereizt. Alle Mitbewerber mussten – teilweise widerwillig – diese neuen Systeme kopieren. Oft ist das erst mit gehöriger Verspätung gelungen. Bei Suzuki und Honda ist der Ride Height Adjuster offenbar bis heute nicht ordentlich ausgereift. Ducati hat ihn bereits vor zwei Jahren eingesetzt.
Gigi Dall’Igna gewann bei der Piaggio Group (Aprilia, Gilera, Derbi, Moto Guzzi und Vespa) WM-Rennen und Titel in den Klassen 125 ccm, 250 ccm und Superbike. Aber er ging zu Ducati, weil er sich hier ein großes Ziel erfüllen will. «Ich habe in allen Serien Weltmeisterschaften gewonnen, an denen ich mich beteiligt habe. Nur der MotoGP-WM-Titel fehlt noch», erklärte der ziegenbärtige Italiener damals.
KTM hat in den letzten Jahren beachtlich viel Know-how zusammengekauft, es wurden Ingenieure und Techniker von Honda, Yamaha, Suzuki, Aprilia und Ducati engagiert.
Vor fünf Wochen betonte Pit Beirer gegenüber SPEEDWEEK.com: «Wir schaffen es mit den Leuten, die wir an Bord haben.»
Er schränkte aber auch ein: «Momentan befinden wir uns in einer Schwächephase, deshalb bin ich in einer schlechten Position, die Frage zu verneinen, ob wir einen Gigi Dall’Igna brauchen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir eine gute Technik-Mannschaft haben. Wir haben aus dem Nichts heraus bei diesem Projekt fünf MotoGP-Siege auf der Habenseite stehen. Das geht nur mit ausgezeichneten Konstrukteuren und Technikern in allen Bereichen, vom Chassis über den Motor bis zur Elektronik und Suspension. Aber natürlich sind wir nicht so an der Grenze unterwegs, wie es Ducati oft spielt. Sie bringen Erfindungen, die Grauzonen im Reglement sind, aber in keiner Weise illegal. Sie gehen einfach an die Grenze und investieren da auch sehr viel Geld. Gigi macht in diesen Bereichen einen super Job. Fertig, aus.»
Der KTM-Vorstandsvorsitzende Stefan Pierer und Vorstand Hubert Trunkenpolz haben beim Saisonfinale 2020 in Portimão klare Ziele für 2021 definiert. «Wir haben 2020 drei MotoGP-Rennen gewonnen und acht weitere Podestplätze erzielt. Wir haben mit Pol Espargaró den dritten WM-Rang nur um vier Punkte verpasst. Deshalb trauen wir uns zu, 2021 um den MotoGP-Titel zu kämpfen.»
Schon vor dem MotoGP-Einstieg 2017 hat Stefan Pierer verkündet: «Wir sind nicht dabei, um das Starfeld zu füllen oder weil es um den Olympischen Gedanken des Dabeiseins geht. KTM hat in jeder Serie und in jeder Disziplin irgendwann gewonnen. Bei der Dakar und im US-Supercross hat es sieben Jahre gedauert. Diese Geduld werden wir auch in der MotoGP-WM aufbringen.»
Aber nach der enttäuschenden Saison (beim ersten Misano-GP stand die beste KTM auf dem 17. Startplatz, Miguel Oliveira holte bei den letzten neun Grands Prix nur neun Punkte) sah sich KTM zum Handeln gezwungen, es wurde eine neue Weichenvorstellung vorgenommen.
KTM wurde 2021 immer wieder von Rückschlagen heimgesucht. So erwiesen sich die beiden Katar-Rennen beim Saisonstart als Desaster. Brad Binder gelangen in Doha nur die Plätze 14 und 8, Miguel Oliveira wurde 13. und 15. Das KTM-Tech3-Duo Petrucci und Lecuona blieb sogar zweimal punktelos! Und seit der Sommerpause lassen vor allem die Qualifying-Ergebnisse oft stark zu wünschen übrig.
Jetzt ist zu hören, der im Juli 2021 nach Munderfing gekommene ehemalige Ducati-Ingenieur Fabio Sterlacchini sei zum «MotoGP Head of Technology» befördert worden. Er bildet jetzt gemeinsam mit Top-Technikern wie Ing. Kurt Trieb, Ing. Sebastian Risse, Marco Bertolatti und so weiter das technische Leitungs-Gremium für die MotoGP-Entwicklung.
Dazu wird Francesco Guidotti, der bei Red Bull KTM schon in der Zweitakt-Ära (125 und 250 ccm) von 2006 bis 2009 vier Jahre lang die Rolle des Teammanagers ausübte, zurück ins Innviertel kommen. Er wird sich aus den technischen Entscheidungen heraushalten und sich um das operative Teammanagement kümmern.
Guidotti hat in den letzten Jahren bei Pramac-Ducati mit Assen wie Iannone, Petrucci, Miller, Bagnaia, Zarco und Jorge Martin erfolgreich zusammengearbeitet; Bruder Giacomo agiert bei LCR-Honda als Crew-Chief von Taka Nakagami.
Diese personellen Rochaden deuten auf eine Trennung von MotoGP-Race-Manager Mike Leitner hin, der in der 125er-WM 1987 als GP-Pilot zwei vierte GP-Ränge erzielte, dann beim HB-Honda-250-Team tätig war und für Öhlins im Red Bull-Yamaha-500-Team, ehe er für 2004 bei HRC als Crew-Chief bei Dani Pedrosa (250 ccm und MotoGP) anheuerte. Nach der Saison 2014 verließ Leitner das Repsol-Honda-Team von Pedrosa und brachte sein Know-how bei KTM ein, wo er sich beim Aufbau des MotoGP-Projekts erhebliche Verdienste erwarb.
KTM-Firmenchef Stefan Pierer (KTM hat mit dem Slogan «Ready to Race» 327 WM-Titel erobert) ist ein Mann schneller Entschlüsse.
Als das Moto2-Projekt in der ersten Saisonhälfte 2019 nicht die gewünschten Resultate brachte, zog er sich per Saisonende als Chassis-Lieferant aus der Moto2-WM zurück, um mehr Ressourcen für die MotoGP zu gewinnen.
In der MotoGP hat KTM den Vertrag mit der Dorna bis Ende 2026 verlängert, mit dem Tech3-Kundenteam ebenfalls.
MotoGP Endstand Fahrer-WM (nach 18 Rennen):
1.Quartararo, 278 Punkte. 2. Bagnaia 252. 3. Mir 208. 4. Miller 181. 5. Zarco 173. 6. Binder 151. 7. Marc Márquez 142. 8. Aleix Espargaró 120. 9. Martin 111. 10. Viñales 106. 11.Bastianini 102. 12. Pol Espargaró 100. 13. Rins 99. 14. Oliveira 94. 15. Nakagami 76. 16. Alex Márquez 70. 17. Morbidelli 47. 18. Rossi 44. 19. Marini 41. 20. Lecuona 39. 21. Petrucci 37. 22. Bradl 14. 23. Pirro 12. 24. Dovizioso 12. 25. Pedrosa 6. 26. Savadori 4. 27. Rabat 1.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati 357 Punkte. 2. Yamaha 309. 3. Suzuki 240. 4. Honda 214. 5. KTM 205. 6. Aprilia 121.
Team-WM:
1. Ducati Lenovo 433 Punkte. 2. Monster Energy Yamaha 380. 3. Suzuki Ecstar 307. 4. Pramac Racing 288. 5. Repsol Honda 250. 6. Red Bull KTM Factory Racing 245. 7. LCR Honda 146. 8. Esponsorama Racing 143. 9. Aprilia Racing Team Gresini 135. 10. Petronas Yamaha SRT 96. 11. Tech3 KTM Factory Racing 76.