Das Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen
Wie groß ist der Vorteil der «seamless gearbox» wirklich?
Wenn man einer der Organisatoren der MotoGP-WM ist, die neue Strategien entwerfen und die Regeln festlegen, dann ist nichts wichtiger als Kostenreduktion. Derzeit folgt eine Regel, die eine Eindämmung der Kosten zur Folge haben soll, der nächsten. Die Anzahl der Reifen, der Motoren und die Menge des Treibstoffs sind exakt festgelegt. Die Claiming-Rule-Maschinen mit Production-Motoren sind ein weiterer Auswuchs dieser kostensparenden Regeln. In der Moto2-Klasse werden für alle Fahrer minderwertige Production Honda CBR600 Motoren eingesetzt. Die Hersteller in der Moto3-Klasse müssen sich durch ein Dickicht von Regeln kämpfen, die nicht nur die Größe, das Material und das Design bestimmen, sondern auch die maximalen Kosten.
Nun kann man jedoch immer mehr beobachten, wie die Regeln zum Gegenteil ihres ursprünglichen Zwecks führen. Sehen Sie nun das ‹Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen› in vollem Glanz.
Um die Jahrhundertwende gab es eine Art Revolution von Renngetrieben. Gangwechsel wurden übergangslos. Das bedeutet: keine Unterbrechung des Kraftentfaltung. Das Doppelkupplungssystem wurde bereits in den 1930ern entworfen, doch erst in der Neuzeit wurde es, zunächst nur für Rennautos, weiterentwickelt. 2003 fand es seinen Weg in manches Serienfahrzeug. Seitdem wird es auch in einer Handvoll ‹automatischer› Roller und Motorräder verwendet. Die Honda VFR1200F von 2009 bot diese Option.
Um diese Technik und die damit verbundenen Kosten im Keim zu ersticken, wurden automatische Getriebe generell und Doppelgetriebe im Speziellen 2010 in der MotoGP-WM verboten. Aufgabe erledigt, Geld gespart. Lasst uns alle ein Festmahl auf Kosten der FIM einnehmen! Sie vergasen nur eine wichtige Sache. Im Rennsport sind Regeln nicht dazu gemacht, sich ihnen zu unterwerfen. Sie sind scheinbar da, um umgangen zu werden.
Niemand weiß, wie viel Honda in die Entwicklung der «seamless-shift gearbox» investiert hat, aber es war schrecklich viel Geld, das in die Millionen gehen dürfte. Das Ergebnis imitierte das Doppelkupplungssystem ohne eine doppelte Kupplung zu verwenden. Stattdessen entstand eine aufwendige und sehr komplexe Kombination aus Sperrklinken, die dasselbe bewirkt und dem MotoGP-Reglement nicht wörtlich, aber dafür sinngemäß widerspricht.
Diese Technik bewies sich als effektiv und machte die RC213V mitunter zu einem solch eindrucksvollen MotoGP-Bike, vor allem in Casey Stoners Händen. Die existierende Technologie der übergangslosen Schaltung zu verbieten, hat im Hinblick auf die Kosten das Gegenteil bewirkt, doch Honda war es diese enormen Ausgaben wert.
Die negativen Auswirkungen der Sparpolitik waren damit noch nicht vorbei. Nachdem Honda ein solches Getriebe entwickelt hatte, mussten die anderen Hersteller nachziehen. Ducati shoppte auf dem Ersatzteilmarkt eine solche Anlage, während Yamaha in den sauren Apfel biss und ein eigenes Getriebe entwickelte.
Nun waren die Kosten noch schlechter zu kontrollieren. Yamaha musste nicht nur die Entwicklung des eigenen Systems vorantreiben, sondern dabei auch die neuen Patente von Honda beachten. Beim Misano-GP kam das neue Getriebe endlich zum Einsatz. Es passte perfekt zum ohnehin sehr sanften Fahrstil von Jorge Lorenzo, der dieses Rennen gewann.
Diese Getriebe sind ein technisches Wunder und ein wahrer Fortschritt für den Rennsport. Sie vermeiden Unterbrechungen von mehreren Sekundenbruchteilen bei jedem Hochschalten, die über die Renndistanz gesehen ausschlaggebend sein können. Zudem schonen sie Reifen und Fahrer, da sie die kurzzeitigen Unterbrechungen der Kraftentfaltung beseitigen, die bei großen Schräglagen Unruhe in die Federung bringen können und somit dem Grip der Reifen unterbrechen.
Nach ihrer langersehnten Erleuchtung durch die «seamless gearbox» beobachteten beide Yamaha-Piloten dasselbe. Die Abstimmung des Bikes bleibt exakt gleich, bis auf eins: Man kann einige elektronische Hilfen aussortieren, da das Bike nicht mehr bei jedem Hochschalten steigt oder rutscht. Ob diese komplexe und kostspielige Technik je in Serienmaschinen verbaut wird, bleibt fraglich. Derzeit besteht kein Bedarf. Das Doppelkupplungssystem erfüllt denselben Zweck auf eine viel einfachere Weise.
Im Moment sind alle in der MotoGP-Klasse eingesetzten übergangslosen Schaltsysteme überflüssig, ausgenommen für den Zweck, die Regeln zu umgehen.
Es gibt noch andere kostensparende Regeln, die den gegenteiligen Effekt erzeugten. Beispiele hierfür sind die begrenze Anzahl der Motoren, die kostenintensivere technische Lösungen verlangt, um längere Haltbarkeit zu erreichen. Oder die Kraftstoffbegrenzung: Sie führt zu teurer Elektronik und reibungsarmen Lagern. Zumindest von diesen könnten Serienmotorräder profitieren.
Für mich führt dies, natürlich übergangslos, dazu, einen Traum wieder zu bekräftigen, den ich über viele Jahre hinweg verfolgt habe. Alle Regeln, ausgenommen die grundlegenden, welche beispielsweise zwei Räder vorschreiben, abschaffen. Den obersten Level des Motorsports in ‹Formula Libre› umbenennen, was so viel wie ‹Jeder fährt, was er hat› heißt. Dies würde die Ingenieure entfesseln und ihnen die Freiheit zu Experimenten geben. Möglicherweise würden sie so wichtige neue Entwicklungen erreichen. Es bringt vielleicht sogar gute Zweitakt-Rennmaschinen zurück. Man muss sich nur vorstellen, wie schnell und leicht eine moderne TZ750 oder eine NSR500 wäre.
Das Argument gegen uneingeschränkte Budgets ist, dass der Hersteller mit den meisten Ressourcen gewinnt. Hmmm… Wäre es dann nicht genauso wie jetzt?