Über Lando Norris
Nein, sein ungewöhnlicher Name stammt nicht von der Star-Wars-Figur Lando Calrissian. «Meine Mutter mochte Lando, das ist alles», sagt der Rennfahrer.
Schon vor Jahren verriet uns ein britischer Karting-Experte: «Merkt euch gut den Namen Lando Norris, ihr werdet noch viel von ihm hören.»
Norris gilt als die grösste britische Rennhoffnung seit Lewis Hamilton. «Er ist ein aussergewöhnliches Talent und schon heute bereit, eine grössere Rolle zu übernehmen», lobt McLaren-Direktor Zak Brown, der Norris für 2018 als dritten Mann neben Fernando Alonso und Stoffel Vandoorne engagiert hat.
Im Kartsport wurde Norris schon mit 14 Jahren Weltmeister. Wen er damit als jüngsten Champion ablöste? Einen gewissen Lewis Hamilton.
Schon bei seinem ersten Kartrennen, da war Lando sieben, stellte er sein Renngefährt gleich mal auf die Pole-Position. Im Kart gewann Norris einfach alles: Die WM in Bahrain, die WSK-Euroserie, die CIK FIA-EM, den FIA-Supercup.
Finanziert wurde das alles von seinem Vater Adam Norris, der mit dem Aufbau privater Rentenversicherungen ein Vermögen von rund 150 Millionen Euro angehäuft hatte und sich mit 36 Jahren aus dem Versicherungsgeschäft zurückzog. Seither investiert Norris senior in britische Start-up-Unternehmen – und in die Karriere von Lando. Adam Norris war ebenfalls Rennfahrer, Radrennfahrer, um genau zu sein. Doch aus der erhofften Profikarriere in Belgien wurde nichts. Norris kehrte nach Grossbritannien zurück, begann im Versicherungswesen und gründete eine Familie.
Mit 14 bestritt Lando die Ginetta-Juniorenmeisterschaft, wurde Rookie des Jahres und Gesamtdritter. 2015 sass er im Formel-4-Renner und gewann die britische MSA-Meisterschaft. 2016 holte er sich die Titel in den Toyota Racing Series und in der Zweiliter-Formel Renault. 2017 machte er sich im ersten Formel-3-Jahr zum jüngsten Meister der Serie. Vier Jahre, vier Titel.
Im Sommer 2017 fuhr er auf dem Hungaroring erstmals einen Formel-1-Renner, den McLaren-Honda von Fernando Alonso.
Der erste Tag von Lando Norris als Formel-1-Fahrer erzeugte in der Hungaroring-Boxengasse ungläubiges Staunen: Schlicht sensationell waren diese 1:17,385 min des englischen McLaren-Talents – der damals 17-Jährige (Geburtstag: 13. November 1999) fuhr eine Runde, schneller als die Quali-Zeit von Fernando Alonso im Abschlusstraining zum Ungarn-GP (1:17,549 min)!
Bald kursierte im Fahrerlager: Das sei kein Wunder, schliesslich sei der Teenager fast ohne Sprit gefahren, zudem habe er neun Sätze der ultraweichen Pirelli verfeuern dürfen, die Fernando Alonso am Ungarn-GP-Wochenende überhaupt nicht zur Verfügung standen. Das stimmt alles. Aber selbst wenn gemäss Pirelli der Unterschied zwischen superweich und ultraweich im Bereich von 35 bis 45 Hundertstel liegt, war die Norris-Zeit noch immer der Hammer. Denn mit fast leerem Tank fuhren auch Alonso und Stoffel Vandoorne.
Über den Einfluss von McLaren auf seine Karriere sagte dieser überaus vielversprechende junge Mann: «Ich stehe noch nicht an der Schwelle zur Formel 1. Aber ich habe zeigen dürfen, was ich kann. Zu einem Zeitpunkt meiner Karriere, an dem ich dafür bereit bin. Ich glaube, ich habe mich ganz ordentlich geschlagen. Und ich hoffe natürlich, dass sich daraus weitere Möglichkeiten ergeben. Ich kann von McLaren sehr viel profitieren, in Sachen körperlicher und geistiger Vorbereitung beispielsweise. Du kannst nicht einfach so daherkommen, in einen Formel 1 einsteigen und nur so aus Jux und Tollerei ein paar Runden fahren. Das war ein Test, bei dem für das Team um wichtige Erkenntnisse ging. Sie vertrauen dir. Es war ein grosser Schritt für mich.»
«Klar war ich gespannt darauf zu sehen, wie ich mit so einem Auto zurechtkomme. Ich habe meine eigenen Erwartungen sogar übertroffen. Das Team scheint zufrieden zu sein mit meiner Arbeit. Das Lob von Zak Brown und Eric Boullier hat mich sehr gefreut. Sie kennen sich aus mit jungen Fahrern, umso gewichtiger ist ihr Wort. Das war ein gewaltiger Schub für mein Vertrauen. Ich weiss jetzt, ich kann mit einem GP-Renner umgehen. Mein Ziel ist die Formel 1, ich hoffe, das schaffe ich in den kommenden zwei bis drei Jahren.»
Nach dem Gewinn der Formel-3-EM setzte McLaren den jungen Norris beim Formel-2-Finale von Abu Dhabi ein, einmal schied er im Campos-Renner aus, einmal wurde er 13. Nachher gab er zu: «Das war schwieriger als erwartet. Ich hatte Abu Dhabi nie zuvor gesehen, ich kannte das Auto nicht und die Reifen auch nicht, und auch das Team war für mich neu – eine steile Lernkurve.»
2018 trat Norris für den Rennstall von Trevor Carlin in der Formel 2 an, für dieses Team fuhr er seit 2015 in der Formel 4 und in der Formel 3. Mit Carlin wurde er Formel-3-Europameister und Zweiter beim Klassiker von Macau. Für den Titelgewinn stand ihm nur ein Mann vor der Sonne: George Russell. Norris wurde Meisterschaftszweiter, aber letztlich spielt das keine Rolle mehr, denn Anfang September stand fest – Norris wird zum McLaren-Stammfahrer; weil Fernando Alonso 2019 keine Formel 1 fährt und weil Stoffel Vandoorne ausgemustert wurde.
«Wir glauben, dass Lando ein aufregendes Talent ist, mit einem großen Potenzial», so McLaren-CEO Zak Brown. «Wir wissen, dass er talentiert ist, er lernt schnell, und er hat einen reifen Kopf auf seinen jungen Schultern. Für unsere gemeinsame Zukunft sehen wir viel Potenzial. Er hat seine Fähigkeiten gezeigt, sowohl im Auto, als auch in der Zusammenarbeit mit den Ingenieuren. Mit Lando und Carlos haben wir 2019 ein beeindruckendes Duo.»
Brown behielt Recht – Carlos Sainz wurde WM-Sechster, Norris in seinem ersten Formel-1-Jahr WM-Elfter, mit sechsten Plätzen in Bahrain und Österreich als Highlight.
Knapp die Hälfte aller WM-Läufe konnte Rookie Norris in den Punkten beenden. Am Ende trennten ihn vom zehntplatzierten GP-Routinier Sergio Pérez nur wenige Punkte.
Lando Norris hat frischen Wind in die Formel 1 gebracht. Der McLaren-Pilot wusste in seinem Rookie-Jahr durchaus sportlich zu überzeugen, vor allem aber seine unbekümmerte Art abseits der Strecke kam bei den Fans an.
Wir erinnern uns da an eine Pressekonferenz, bei der er nach einem Gespräch mit Lewis Hamilton und Daniel Ricciardo über Körperbehaarung einen Lachanfall bekam. Norris ist einer, der zeigt, wie man das junge Publikum an die Formel 1 binden kann.
«In gewisser Hinsicht war ich fast zu entspannt und hatte zu viel Spass», findet Norris. «Als es ernster wurde, habe ich mich nicht mehr so sehr darauf konzentriert, wie ich sollte, und nicht mehr an so vielen Bereichen gearbeitet, wie ich sollte. Ich glaube, ich habe angefangen, dies ein wenig als selbstverständlich hinzunehmen.»
Norris: «Vielleicht habe ich manchmal zu viel Druck gemacht, um es zu lustig zu machen, und mich nicht so konzentriert, wie ich sollte. Es gibt einen Kompromiss, ich möchte immer noch Spass haben, meinen eigenen Pullover tragen anstelle von McLaren-Team-Ausrüstung und Ähnliches», so Norris weiter.
Norris versteht sich vor allem mit Ricciardo bestens, beide nahmen sich im Laufe der Saison oft gegenseitig auf die Schippe.
Auf den fast immer gut gelaunten Australier, der Witzbold des Fahrerlagers, angesprochen, betont Norris, dass Ricciardo sich in seinen neun Jahren Formel 1 einen gewissen Status und damit eine gewisse Lockerheit erarbeitet hat. Sein sonniges Gemüt hatte Ricciardo schon immer, doch als Rookie nimmt man sich automatisch mehr zurück.
«Nicht, weil er nicht lustig war, sondern weil er es ernst nahm und beweisen musste, was er konnte und dann in der Lage war, mehr er selbst zu sein», sagte Norris. Sein Ziel: «Ich muss sicherstellen, dass ich nicht zulasse, dass die Leute das, was ich tue und wer ich bin, als Ausrede benutzen - 'es ist sein erstes Jahr und er nimmt es nicht zu ernst'.»
Lando Norris zeigte in den ersten drei Jahren Formel 1 einen schönen Aufwärtstrend – WM-Elfter 2019, Neunter 2020, gar Sechster 2021. Die Saison 2022 in der neuen Flügelauto-Epoche schloss er als Siebter ab. Längst war sein Ruf zementiert, ein kommender GP-Sieger zu sein. Das hätte beinahe schon in Monza 2021 geklappt, aber da stand ihm sein McLaren-Stallgefährte Daniel Ricciardo vor der Sonne.
Norris fuhr 2019 elf Mal in die Punkte, mit Rang 6 in Österreich als Highlight. Lando blickte so auf die Saison zurück. «Es war super, auch wenn es eine Achterbahnfahrt war. Ich wusste nicht, was mich erwartet und was ich von mir und dem Team erwarten konnte im ersten Jahr, aber ich denke, wir haben uns selbst überrascht.»
«Natürlich gab es Sachen, die ich gerne weiter verbessert hätte. Ich bin immer sehr streng mit mir selbst. Ich hasse es, wenn Leute mir sagen, dass ich gute Arbeit geleistet habe, wenn es nicht so war, selbst wenn sie wissen, dass es nicht so war aber sie mich aufmuntern wollen. Ich bin einfach realistisch und weiss, dass ich nicht zufrieden mit mir bin, wenn ich keinen guten Job gemacht habe.»
Norris hinterliess bei so manchem Beobachter mit seinem Humor einen zwiespältigen Eindruck. Nimmt dieser Pilot die Formel 1 wirklich ernst genug? Wir erinnern uns an eine Pressekonferenz, bei der er nach einem Gespräch mit Lewis Hamilton und Daniel Ricciardo über Körperbehaarung einen Lachanfall bekam. Norris ist einer, der zeigt, wie man das junge Publikum an die Formel 1 binden kann.
Es ist aber immer ein schmaler Grat, denn natürlich ist der junge Brite in erster Linie ein professioneller Rennfahrer. Wenn man es übertreibt, kann das schnell zu einem Bumerang werden. Das weiss auch Norris, der ankündigte, ein wenig auf die Bremse treten zu wollen. «In gewisser Hinsicht war ich fast zu entspannt und hatte zu viel Spass.»
«Vielleicht habe ich manchmal zu viel Druck gemacht, um es zu lustig zu machen, und mich nicht so konzentriert, wie ich sollte. Ich suchte nach dem richtigen Kompromiss.»
2020, in der Corona-verkürzten Saison, begann er mit dem dritten Platz auf dem Red Bull Ring die Saison sensationell, in 13 von 17 Rennen fuhr der junge Engländer in die Top-Ten, mit vierten Rängen in Frankreich und Singapur.
Neben der Bahn gab es auch eine neue Seite von Lando Norris zu sehen. Jeder Mensch hat seine Bürde zu tragen, aus ganz verschiedenen Gründen, oder wie es der Volksmund sagt: Unter jedem Dach ein Ach. Druck baut sich immer auf, ob privat oder im Berufsleben. Wieso sollte das für einen Formel-1-Fahrer anders sein?
Dennoch reden GP-Piloten selten über Ängste oder Unsicherheit, schon gar nicht in aller Öffentlichkeit. Lando Norris macht eine Ausnahme. In einem eigenen Blog gab er freimütig zu, mit welchen Ängsten er zu leben lernen musste, als er in die Königsklasse hochrückte.
«Hat einer von euch je Probleme gehabt, sie aber mit einem Pokerface vor der Welt verborgen gehalten? Ich habe das. In meinem ersten Formel-1-Jahr 2019 sah ich für viele aus wie der unbekümmerte Junge, voller Selbstvertrauen und Enthusiasmus. Aber das stimmt so nicht. In Wahrheit habe ich unter der Decke gehalten, dass ich mit Ängsten kämpfte und mein Nervenkostüm dünn war.»
«Es war immer mein Traum, es bis in die Formel 1 zu schaffen. Aber ich wurde von Selbstzweifeln zernagt, ich war unsicher, ob ich wirklich aus dem richtigen Holz geschnitzt bin und es mit meinen Gegnern aufnehmen kann. Solche Gedanken machen dich irre. Es ist nicht leicht, damit umzugehen, und ich bin sicher, anderen Piloten ist das auch so gegangen.»
«Aber als Athlet willst du dir keine Blösse geben. Du willst den Gegnern keine Schwäche offenbaren. Also reden wir nicht über seelische Gesundheit. Dabei sollten wir das.»
«Es ist ganz wichtig, dass du Menschen hast, die dich auffangen. Erste Anlaufstation ist immer die Familie, aber auch Manager, Techniker und Mentaltrainer sind gute Ansprechpartner. In diesem Jahr habe ich mich dazu bereit gefühlt, mehr Verantwortung für meine psychische Verfassung zu übernehmen. Ich schätze, das gehört zu meinem Wachstumsprozess. Ich erreichte einen Punkt, an dem ich fand – ich muss zu Ängsten stehen, um gewisse mentale Hürden zu überwinden.»
Als die Welt im Frühling 2020 wegen Corona fast stillstand, nutzte Lando Norris die Zeit, um sich mit seinen Vertrauenspersonen ausgiebig zu unterhalten. «Das hat mir sehr dabei geholfen, mich in diesem Jahr souveräner und positiver zu fühlen. Mir ist klargeworden, welche Kraft hinter solchen Gesprächen steckt, wie elementar es ist, dass du gute Menschen um dich herum hast, welchen du vertrauen und auf die du dich verlassen kannst. Ich kann allen nur raten, über den Sport hinaus, sich mit Schwierigkeiten jemandem anzuvertrauen.»
2021 zeigte Norris seine bislang beste GP-Saison, mit Podestplätzen in der Emilia-Romagna (Dritter), Monaco (Dritter), Österreich (Dritter) und Italien (Zweiter). Nur zwei Mal lag Norris nicht in den Top-Ten, dazu eroberte er in Sotschi bei Mischverhältnissen seine erste Formel-1-Pole Position.
Aufregung im Juli 2021. Der Rennstall McLaren bestätigte: «Beim EM-Finale 2020 ist es im Wembley-Stadion zu einem Zwischenfall mit Lando Norris gekommen, wobei ihm seine Uhr abgenommen worden ist. Zum Glück ist Lando unverletzt, wenn auch erschüttert. Die Sache liegt nun in den Händen der Polizei und wird nicht weiter kommentiert.»
Was war passiert? Fussball-Fan Norris wollte sich das EM-Finale der englischen Elf gegen Italien im Londoner Wembley nicht entgehen lassen. Wie verschiedene englische Medien berichten, kam es im Anschluss ans Fussballspiel – von Italien nach Elfmeterschiessen gewonnen – zum Raub, als Norris das Stadion verlassen wollte. Der gegenwärtige WM-Vierte war eben in seinen McLaren eingestiegen, als er von Unbekannten attackiert wurde. Einer der Angreifer soll ihn auf seinen Sitz gepresst, der andere soll ihm die Uhr abgenommen haben.
Norris beim darauf folgenden Rennen in Silverstone: «Ich bin okay, aber es ging mir auch schon besser. Ich bin ehrlich gesagt nicht in der besten Verfassung. Ich habe nicht gut geschlafen und ich fühle mich angeschlagen. Das war keine schöne Erfahrung, das wünsche ich niemandem.»
Nicht ganz so gut wie 2021 lief es 2022 mit den neuen Flügelautos. McLaren begann im Testwinter vielversprechend, wurde dann aber durch verschiedene Probleme, wie etwa mit der Bremsbelüftung, zurückgeworfen. Auf Norris war aber Verlass – 17 Mal in den Top-Ten, Rang 3 in Imola als bestes Ergebnis.
Das McLaren-Team, das sich den vierten Platz bei den Konstrukteuren zum Ziel gesetzt hatte, musste am Ende mit dem fünften Tabellenrang Vorlieb nehmen. Kein Wunder, hielt Norris rückblickend fest: «Wenn man sich anschaut, wo wir beim ersten Rennen waren, haben wir einen guten Job gemacht. Aber wenn ich an die Zeit vor der Saison denke, dann muss die Antwort auf die Frage, ob wir 2022 erreicht haben, was wir hätten erreichen sollen, nein lauten.»
«Wenn wir eines Tages Weltmeister werden wollen, dann können wir mit der diesjährigen Platzierung nicht zufrieden sein», ist sich der Brite sicher. «Aber wir können sicherlich mit den Fortschritten, die wir als Team machen konnten, zufrieden sein. Sehr vieles hat gut funktioniert, wir brauchen nur noch ein besseres Auto», weiss er.
Norris gilt in seiner Heimat mindestens als potenzieller GP-Sieger, manche erkennen in ihm sogar die Fähigkeiten, eines Tages ein Wörtchen mitzureden bei der Vergabe des WM-Titels. Für 2023 wird für Lando im Vordergrund stehen, sich nicht von einem der besten Neulinge der Vollgasbranche in den Schatten stellen zu lassen – McLaren hat den jungen Australier Oscar Piastri ins Auto von Daniel Ricciardo gesetzt.