MotoGP: Das Saisonfinale ist in Barcelona

Michael Schumacher: In schwieriger Mission

Von Peter Hesseler
Schumi stand oft im Schatten von Rosberg

Schumi stand oft im Schatten von Rosberg

Weltmeister-Serie Teil 9: Schumis Rückkehr in die Formel 1 war gepflastert mit Problemen. Alle konnte er nicht lösen.

Das hatte Michael Schumacher sich ganz anders gedacht. WM-Gesamtränge 13, 8 und 9 waren nicht das Ziel, als der siebenmalige Weltmeister sich Ende 2009 zur Rückkehr in den GP-Zirkus entschied. Auch die Art, wie er sich dann verabschieden sollte, kann nicht beabsichtigt gewesen sein.

Überhaupt war die Formel 1, die Schumi 2006 verlassen hatte, ganz anders geworden. Man durfte nicht mehr nachtanken. Das Benzingewicht der Autos am Start war plötzlich bis zu drei Mal so hoch geworden. Die Autos fuhren auch nicht mehr Rillenreifen, sondern wieder Slicks, wie 1998 zuletzt verwendet. Testfahrten, bei denen man sich das Auto durch begeistertes Verfeuern von Benzin und Motoren so hintrimmen konnte, wie es einem am besten gefiel, waren auch verboten – weitestgehend jedenfalls. Damit fielen einige Konstanten, aus denen Schumacher zuvor beharrlich Profit geschlagen hatte, einfach weg.

Dafür gab es Neues, Unbekanntes, und nicht nur willkommene Zutaten in die Arbeit zu integrieren: Einrichtungen wie f-ducts, die kurzfristig Geschwindigkeitsüberschüsse bereitstellten, oder KERS (ab 2011 wieder), das über Elektromotoren für 6,6 Sekunden 80 PS extra bereitstellte. Es gab dazu heiss und kalt angeblasene Diffusoren, angestellte Autos und lauter neue Fremdwörter in Schumis F1-Vokabular.

Das heisst: Es gab jede Menge wieder zu lernen, und noch mehr neu zu erlernen. Und das für ein Genie, das in die Jahre gekommen war. Und das dreieinhalb Jahre Rennpause eingelegt hatte. Schumi startete mit 41 in seine erste Comeback-Saison 2010. Und manch einer fragte sich, ob es Mut ist, auf dem der Kerpener ritt, oder doch schon Hoch-Mut.

«Sie dürfen es ruhig Mut nennen», beschied er dieser Tage.

Anders als früher war auch, dass Schumi plötzlich für ein Mittelklasse-Team fuhr. Das hatte er nicht so kommen sehen. «BrawnGP ist doch gerade Weltmeister geworden», sagte er. «Und dürfte jetzt, nach der Übernahme durch Mercedes sicher nicht schwächer werden.» Als Ziel rief er völlig selbstverständlich den Titelgewinn aus. «Was sollten wir denn sonst anstreben?»

Beobachter runzelten die Stirn und legten sich diese Zitate auf Wiedervorlage. Es war klar, dass sie noch gebraucht würden. So oder so…

Schumacher hat nie grosse Töne gespuckt. Seine Ansagen galten stets als durchdacht und realistisch. Und so optimistisch wie er dachten auch andere. Besonders jene, die die Umstände nicht genau kannten, unter den das Mercedes-Vorläufer-Team BrawnGP 2009 den Fahrer- und den Konstrukteurstitel gewonnen hatte.

Und das kam so: BrawnGP musste Anfang 2009 nach dem Ausstieg von Honda vor dem Zusammenbruch gerettet werden, sonst hätte der Formel 1 ein Team gefehlt. Und dieses Übergangs-Team nutzte mit seinem findigen Chef und Mehrheitseigentümer Ross Brawn eiskalt eine Reglementslücke, um sich einen signifikanten Vorteil zu verschaffen. Es startete auf Basis einer höchst fragwürdigen Regelauslegung mit einem Doppeldiffusor in die Saison, obwohl sich die Technikchefs der Formel 1 zuvor darauf verständigt hatten, diese monströsen Luftleit-Instrumente im Heck der Boliden einfach zu halten.

Zur Erklärung: An den hoch komplizierten Diffusoren und ihrer Entwicklung kann man mehr Geld verschwenden als an jedem anderen Bauteil, ohne das Aussenstehende es auch nur ansatzweise erkennen würden. Geschweige denn honorieren. Also wozu ein Wettrüsten in diesem Bereich riskieren, dass niemandem nutzt?

Deshalb wollten alle Teams darauf verzichten. Brawn riskierte es trotzdem. Er wusste, er wurde in der ohnehin kleinen Startaufstellung als Nachfolge-Organisation von Honda gebraucht. Und weil er damit richtig lag, und weil F1-Promoter Bernie Ecclestone seine schützende Hand über BrawnGP hielt, drückten die Kommissare bei den technischen Abnahmen erst Mal beide Augen zu. Brawns Rechnung ging auf. Das im Winter fast gestorbene Team erhob sich wie Phoenix aus der Asche der Honda-Trümmer. Aber was am Anfang noch lustig wirkte – ein quasi neuer Rennstall mit Testbestzeiten – wurde während der Saison 2009 bitterer Ernst. BrawnGP und besonders Jenson Button gewannen in Serie. Zwischendrin bestätigte der Weltverband die Legalität der Autos – und fortan waren die Siege sogar amtlich.

Bis die Gegner nachgerüstet hatten, waren Button und  BrawnGP fast schon Weltmeister. Dennoch zitterten sie sich am Ende förmlich ins Ziel. Dann waren auch die Titel für das Team verbrieft. Erfolge für die Zukunft aber fraglich. Mercedes hatte eine Wuntdertüte gekauft.

Schumi aber sah seinen Freund Ross Brawn, den ehemaligen Technikchef von Benetton und Ferrari, mit dem er stets siegreich gewesen war, als Leiter einer glanzvollen Organisation. Und die hiess ab 2010 Mercedes. Die Verbindung des Super-Fahrers mit der Sternmarke entsprang einer gewissen Zwangsläufigkeit. Beides sind nationale Denkmäler. Beide einte schon eine gemeinsame Vergangenheit. Nur wusste Schumi wohl nicht genau, in welchem Masse die Titel-Mitgift, die Brawn in die Verbindung einbrachte, ergaunert worden war. Er wusste vor allem eines: Brawn ist mein Chef. Da kann nicht viel schief gehen. Und band sich mit einem Schlag für drei Jahre an Mercedes.

Schumis Ausgangslage sah also in wesentlichen Bereichen ganz anders aus als er sie sich ausgemalt hatte. Und was er nicht wissen konnte: Auch er selbst war ein ganz anderer geworden…

Und: Schumi startete bei Mercedes ohne Vorrechte, akzeptierte als Teil der deutschen Formel-1-Nationalmannschaft die Gleichstellung von Nico Rosberg im Team und musste wahrlich bei Null anfangen. Denn Rosbergs Vertrag war längst gemacht, als der Rekord-Champion Ende 2009 im Silber-Camp einzog.

Das Zusammenkommen mit diesem Rosberg war schwierig für den Altmeister, denn der Teamkollege verkörpert eine neue Generation Rennfahrer: ausgebildet in allen Bereichen des Rennsports, jahrelange Kartkarriere, Abitur mit Schnitt 2,1, Wohlstand als häuslicher Backround, dazu an allem interessiert. Mit einem Vater (Keke) im Hintergrund, der Schumacher oft für sein un-ethisches Verhalten auf der Strecke kritisiert hatte. Dazu fast so jung wie sein eigener Sohn und fit wie ein Windhund.

Für Schumacher also ein Exot, eine vollkommen unberechenbare Grösse. Das sollte sich bald ändern.

Schon bei den ersten Tests im Februar 2010 sahen die Bobachter an der Strecke, was später jeder schwarz auf weiss in den Zeitenlisten nachlesen konnte: Der Mercedes war nicht schnell genug, allenfalls vierte Kraft. Red Bull Racing und McLaren hatte deutlich bessere Autos gebaut. Und während Sebastian Vettel seine Nachfolge antrat, hatte Schumi erst Mal erkannbar Mühe mit den modernen Reifen und der aktuellen Fahrzeuggeneration. Nicht nur auf eine Runde betrachtet, sondern auch über längere Distanzen. «Er fährt zu aggressiv,» vermeldeten die Strecken-Kiebitze unisono.

Rosberg hatte zu diesem Zeitpunkt seinen Stil schon mehrfach umgestellt. Er war es gewöhnt, sich umzustellen. «Wir können ja überhaupt nicht mehr attackieren», hatte er schon Anfang 2008 erklärt, «weil das mit den Autos und den Reifen nicht mehr möglich ist.» Bridgestone war Allein-Ausrüster und stand nicht mehr unter dem Druck des Gegners Michelin. Ultra-Haftgummis waren Geschichte.

Rosberg hatte es längst verinnerlicht, möglichst rund um die Ecken fahren zu müssen. Dabei ist das gar nicht nach seinem Geschmack. Viel lieber würde er angreifen.

Das hat er mit Schumi gemeinsam. Aber der entstammt noch der Generation, die mit Gefühl, Einsatz auf der Strecke und mit Mut einiges bewegen konnte. Aber je mehr Schumi wollte, desto weniger bekam er von der Stoppuhr.

Am ersten Rennwochenende in Bahrain fiel der dann wer wenig überraschende Satz von Schumacher: «Das Auto fährt nicht so um die Kurve, wie ich es will.»

Dann nahm ihn Rosberg im ersten Jahr förmlich auseinander. Schumi holte weniger Punkte, etwa die Hälfte. Und produzierte dafür auffallend mehr Schrott. Die Zeit auf Rosberg verlor er hauptsächlich in  langsamen Kurven. Und vor Saisonende klagte er sichtlich genervt, dass sein Teamkollege phasenweise das bessere zur Verfügung gehabt hätte.

Im zweiten Jahr, also 2011, war der Benz wieder nicht konkurrenzfähig. Der Scherpunkt des Autos stimmte nicht. Der Radstand war zu kurz für die empfindlichen Pirellireifen. Ein Geburtsfehler, der nie kuriert werden konnte. Doch Schumi tut, was er kann. Er arbeitet. Er arbeitet sich in den Rennen zunehmend näher an den Wiesbadener heran (76:89-Punkte). Dabei – oder dafür – sichert er sich Mitte 2011 teamintern entscheidende Techniker aus Rosbergs Umfeld. Das war sehr clever. Aber nicht von Rosberg.

Und 2012 präsentiert sich Schumi nochmals verbessert. «Endlich habe ich wieder ein Rennauto, das ich spüre», sagt er über den GPW03. Die angeblasenen Diffusoren sind verboten, die Wagen konventioneller zu fahren. Die Reifen bieten vorne in der Relation zu 2011 etwas mehr Haftung. Und Schumi startet entsprechend: Startplatz 4 in Melbourne, Startplatz 3 in Sepang, Startplatz 2 in Shanghai.

Bis dahin hat Rosberg 32 Qualifikationen von 41 gegen Schumacher für sich entschieden…

Dann folgt die kalte Dusche: Nico gewinnt seinen ersten Grand Prix. Und den ersten für Mercedes in der neuen Silberpfeil-Aera.

Damit hat Nico Schumis Auftrag ausgeführt. Es war bezeichnend für Schumis Comeback-Verlauf, dass der 17 Jahre jüngere Fahrer den ersten GP-Triumph der Neuzeit für Mercedes herausfuhr, nicht der Altmeister. Deutlicher hätte man dem 91fachen GP-Sieger  die Zeitenwende nicht vor Augen führen können. Aber der reagiert auf seine Art.

Wie Schumi sich wehrte und zurückschlug, erfahren Sie morgen in Teil 10 unserer Weltmeister-Serie.

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