Ein entspanntes Gespräch mit Michele Pirro
Michele Pirro: «Ohne uns Testfahrer wäre es auch für die Stars sehr viel schwieriger, an der Spitze mitzufahren»
Volles Programm: Seit dem MotoGP-Saisonstart im März hat Michele Pirro nicht weniger als sechs Grands Prix für drei verschiedene Teams auf drei unterschiedlichen Bikes bestritten. Zugleich fuhr er vier Läufe der italienischen Superbike-Meisterschaft auf einer Ducati Paginale – und beendete auch gleich alle vier Rennen als Sieger. Das alles realisierte er neben seinem Job als normaler Werks-Testfahrer. Nicht übel, oder?
Doch es scheint, als wäre das noch nicht genug für Pirro, der seine Reise nach Malaysia nicht etwa wegen eines wohlverdienten Sommerurlaubs antritt, sondern um mit Michelin den neuen Asphalt auf dem Sepang International Circuit zu testen. Die erste Frage im Gespräch mit Pirro lag deshalb auf der Hand: Wie schafft man das? Und schlägt Ducati dieses vollgepackte Programm vor oder ist es mehr ein Befehl, es zu absolvieren?
«Es ist schwierig, denn meine erste Aufgabe besteht darin, das neue Bike zu entwickeln. Und ich habe auch drei Wildcard-Einsätze mit dem offiziellen Bike absolviert: Zwei in Italien und einen in Valencia, weil dort am Montag nach dem Rennen noch getestet wurde. Ich habe Ducati ins Herz geschlossen und weil ich es liebe, Rennen zu fahren, bin ich auch immer einsatzbereit, wenn ein Team einen Ersatzfahrer braucht», lautet Pirros Antwort.
Und der 30-Jährige gesteht: «Es ist nicht einfach, denn in diesem Jahr war ich schon mit der GP14, der GP15 und der GP16 unterwegs. Aber das ist nicht einmal die grösste Hürde, viel schwieriger ist es, sich an die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Teams zu gewöhnen. Das Problem ist, dass jeder MotoGP-Fahrer am Limit fährt und drei oder vier Zehntel deshalb einen grossen Unterschied machen, wenn man das Bike nicht so gut kennt.»
Unterscheidet sich ein Einsatz als Ersatzpilot von einem Wildcard-Einsatz?
Sicher, denn wenn ich der Ersatzmann bin, dann teste ich das Bike direkt im Rennen. Ich habe keine Session, in der ich die Maschine kennen lernen kann. Ich gehe direkt mit den MotoGP-Fahrern ins erste Training, und die wissen genau, wie sie ihre Bikes am Limit bewegen. In diesem Jahr machen drei oder vier Zehntel auch gleich fünf Positionen aus.
Du fühlst dich also schneller, wenn du als Wildcard-Fahrer mit deinem Bike antreten kannst?
Es geht nicht darum, ob ich mich schneller fühle. Der Job ist der Gleiche, aber ich würde sagen, ich fühle mich dann wohler. Ich kenne mein Motorrad besser und arbeite das ganze Jahr über mit den gleichen Leuten. Die ganze Kommunikation ist sehr viel einfacher. Aber ich gebe immer mein Bestes, wenn ich die Chance bekomme, ein Rennen zu fahren. Auf meinem Bike bin ich etwas selbstbewusster unterwegs, deshalb fallen auch die Resultate besser aus.
Kommt dir ein Einsatz auf den alten Maschinen, die du einst mitentwickelt hast, wie eine Zeitreise vor?
Ja, ich war in der Vergangenheit schon mit diesen Modellen unterwegs, allerdings nicht auf diesen Reifen. Die Schwierigkeit liegt nicht im Fahren an sich, sondern darin, das Bike richtig zu verstehen und herauszufinden, wie man damit schnell ist. Mein erstes Ziel lautet immer Konstanz. An zweiter Stelle steht der Versuch, so schnell wie möglich zu sein und keine Dummheiten zu machen. Ich muss da ein gutes Gleichgewicht finden, damit ich den Ducati-Ingenieuren helfen kann und sie nicht verärgere.
Ist es bei der Entwicklungsarbeit überhaupt hilfreich, wenn du auf der GP15 oder der GP14 unterwegs bist?
Wenn man drei unterschiedliche Maschinen im gleichen Jahr testet, hat man mehr Informationen darüber, was verbesserungswürdig ist. Aber es ist natürlich klar, dass die GP14 eine komplett andere Maschine als die GP16 ist. Es ist aber gleichzeitig auch wichtig, dass man versteht, in welchen Bereichen die GP16 im Vergleich zu den Vorgängermodellen besser geworden ist. Wenn du diese Motorräder testest, dann musst du erklären können, wo die Stärken der einzelnen Modelle liegen. Normalerweise ist das neue Bike in allen Bereichen etwas besser.
Die Ingenieure sind eigenartige Wesen – sie misstrauen den Telementrie-Daten viel eher als dem Feedback der Fahrer. Ist das bei Ducati auch so?
Für mich ist das Feedback des Fahrers sehr wichtig, denn die Ingenieure sitzen in ihrem Kämmerchen und schauen sich das Ganze von dort aus an, während ich mit 300 km/h über die Piste brettere. Ich denke, die beste Kombination hat man dann erreicht, wenn der Techniker weiss, was für den Fahrer am besten funktioniert und der Fahrer versteht, was der Techniker sagt und will. Das ist sehr wichtig und mit jedem Jahr läuft die Zusammenarbeit besser. Ich bin zufrieden, denn im nächsten Jahr ist Jorge Lorenzo bei uns an Bord. Wir werden mit ihm bestimmt einen guten Fortschritt erzielen und ich denke, wir werden in der Lage sein, Rennen zu gewinnen.
Sprichst du direkt mit Gigi Dall'Igna oder vermittelt ihm dein Crew Chief deinen Eindruck?
Normalerweise spricht er mit dem Crew Chief des Test-Teams, aber wenn er vor Ort ist, dann rede ich auch direkt mit ihm, denn das ist wichtig. Ich lebe auch in der Nähe des Ducati-Werks, sodass ich in einer halben Stunde da sein und einige Dinge erkläre oder mit den Ingenieuren arbeiten kann.
Du hast Jorge Lorenzos Ankunft erwählt: Einige wetten jetzt schon auf ihn als Ducati-Weltmeister der Saison 2017...
Derzeit fehlt es uns noch an Konstanz, aber das kann auch mit den Reifen zusammenhängen. Wenn die Reifen wie in Katar, Mugello oder Assen sind, dann kann die Ducati vorne mithalten. Auf anderen Strecken – wie etwa Barcelona oder Jerez – leiden wir etwas mehr. Aber ich bin dennoch überzeugt, dass Lorenzo Siege einfahren kann.
Aus reiner Neugierde: Würdest du sagen können, welche Version der Desmosedici du gerade fährst, ohne hinzuschauen?
Ja, das denke ich schon, denn ich kenne ja die wichtigsten Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen. Sie sind im Vergleich zwischen der GP15 und GP16 sind nicht riesig, aber es gibt schon klare Unterschiede zwischen den einzelnen Versionen.
Arbeitest du derzeit bereits an der GP17?
Wir arbeiten die ganze Zeit weiter, aber wir haben noch keine GP17 oder GP18. Bei Ducati testen wir jede Woche, um uns zu verbessern, wir hören nie damit auf. Das ist auch wichtig, denn wir haben eine gute Basis und müssen zuhause und bei den Tests gute Arbeit leisten, um Siege einzufahren. Wir haben das zwar noch nicht geschafft, aber es fehlt nicht mehr viel.
Auch Casey Stoner wurde als Testfahrer von Ducati verpflichtet. Er testete vergangene Woche in Misano, aber du warst nicht da...
Uns stand nur ein Bike zur Verfügung, denn die andere Maschine war nach Malaysia unterwegs.
Würdest du gerne einen Test mit Casey absolvieren?
Noch haben wir nicht zusammen oder auch nur am gleichen Tag getestet, aber natürlich hätte ich nichts dagegen. Er ist ein schneller Fahrer und ich bin mir sicher, dass ich viel von ihm lernen kann. Es wäre also grossartig, mit ihm zusammen zu arbeiten. Wir haben uns in Mugello darüber unterhalten, wie das Bike funktioniert. Wir Beide haben ein Ziel und wir hoffen, dass Jorge unsere Arbeit weiterführen kann.
Das Leben eines Testfahrers ist hart. Ich hatte mir das ehrlich gesagt etwas entspannter vorgestellt...
Wenn man nur Testet, dann ist es auch keine grosse Sache. Aber dieses Jahr haben wir sechs MotoGP-Rennen, 4 Läufe in der italienischen Superbike-Meisterschaft und noch mehr Tests absolviert. Ich bin mir bewusst, dass es mein Job ist, Ducati auf dem Weg zur Spitze zu helfen. Natürlich ist es schwierig, ein derart dichtes Programm zu absolvieren, aber es wäre grossartig, wenn sich diese Arbeit auszahlt und wir Ducati wieder an der Spitze erleben werden. Natürlich macht es mich manchmal etwas wütend, dass ich nie im TV zu sehen bin, sondern nur die Top-Piloten. Aber ich denke, ohne uns Testfahrer wäre es auch für die Stars sehr viel schwieriger, an der Spitze mitzufahren.
Wenn ein Ducati-Pilot ein gutes Ergebnis einfährt, dann empfindest du das auch teilweise als deinen Sieg?
Ja, ein bisschen vielleicht. Wenn die Ducati stark ist, dann bin ich zufrieden. Sollte Lorenzo im nächsten Jahr gewinnen, dann bin ich happy, denn das wäre ein weiterer Ansporn, weiterhin so gute Arbeit zu leisten.