GP-Sieger Andrea Adamo: «Der Traum meines Lebens»
Der Ciclamino von Pietramurata ist ein Ort für die besonderen Meilensteine, das gilt besonders für die Red Bull-KTM-Familie. So stand im Trentino schon 2017 ein damals noch 16-jähriger Jorge Prado sichtlich gerührt zum ersten Mal auf dem höchsten Treppchen des MX2-Podiums. Antonio «Tony» Cairoli dagegen feierte 2021 seinen 94. und letzten GP-Sieg vor heimischem Publikum – am selben Tag, an dem auch René Hofer gewann und ein Stück österreichische WM-Geschichte schrieb.
Am vergangenen Sonntag erfüllte sich in Arco für Andrea Adamo mit seinem ersten GP-Sieg ein Lebenstraum. «Ich glaube, jemand hat mir von oben geholfen», erinnerte er kurz nach der Zielankunft an seinen unvergessenen Vorgänger im Red Bull-KTM-Werksteam.
Für Gänsehautstimmung sorgten auch die vielen italienischen «Tifosi», als der 19-jährige Sizilianer zwar ohne Laufsieg, dafür aber zweimal mit der schnellsten Laufzeit beeindruckend souverän zum MX2-Tagessieg stürmte.
«Mein erster GP-Sieg, das kann man nicht in Worte fassen», kam Adamo ins Schwärmen. «Es war fantastisch, vor allem beim Heim-GP. Ein Dankeschön an alle, auch an die ganzen Fans, wir werden auf diesem Weg weiter pushen.»
Der nächste KTM-Star mit sizilianischen Wurzeln
«Mein Traum ist wahr geworden», kämpfte Papa Nino in Arco mit den Tränen. Auch bei Mama Lina und Andreas jüngeren Geschwistern Manuela, Toni und Karol waren die Emotionen groß.
Die Familie Adamo stammt aus Erice auf Sizilien, zog aber nach Bologna, als Andrea neun Jahre alt war. «Einerseits aus Arbeitsgründen und andrerseits machte es das auch für den Sport einfacher», blickte das aufstrebende Talent im Gespräch mit SPEEDWEEK.com zurück. «Von Sizilien aus ist es nicht so einfach, auch nur eine Italienmeisterschaft zu bestreiten. Denn die Rennen finden alle in der Lombardei, in der Emilia Romagna oder in den Marken statt. Es war eine Veränderung fürs Leben, als Kind passt man sich aber sehr schnell an.»
Die Leidenschaft für das Motorradfahren ist beim neuen Red Bull-KTM-Star familiär bedingt. Allerdings hatte sein Vater nicht unbedingt viel mit dem Motocross-Sport am Hut. «Mein Papa fuhr Motorrad, aber nur auf der Straße. Als ich drei Jahr alt war, hat er mir dann auch ein kleines Straßen-Bike geschenkt. Mein Vater hatte eine kleine Werkstatt mit einem Angestellten, der Motocross fuhr. An den Wochenenden schauten wir ihm manchmal zu und da entdeckte ich meine Leidenschaft. Mit dem Bike, das mir mein Vater geschenkt hatte, bin ich keine einzige Runde gefahren. Ich wollte ein Motocross-Bike, weil ich springen wollte», erinnerte sich Andrea mit einem Schmunzeln. «So hat alles angefangen. Als Achtjähriger bin ich ein paar Rennen in der regionalen Meisterschaft gefahren – und dann sind wir schon nach Bologna gezogen. Meine eigentliche Laufbahn hat erst dort begonnen.»
Zu Minicross-Zeiten war Adamo übrigens schon in Husqvarna-Farben unterwegs, die Marke gehörte damals aber noch nicht zur Pierer Mobility AG. Danach durchlief er drei Jahre lang die Schule von Pardi Racing in Chieti (Abruzzen). «Ich fuhr zwei Jahre eine Viertakt-Honda 150 ccm. Als es dann an der Zeit war aufzusteigen, übersprang ich die 125er-Klasse und wechselte direkt auf eine 250er-Viertakt-Honda.»
In seine Honda-Zeit fällt nicht nur der Gewinn der inzwischen abgeschafften 150er-Europameisterschaft im Jahr 2017, sondern auch ein US-Abenteuer im Jahr 2018. «Im ersten 250er-Jahr war ich nur in der Italienmeisterschaft unterwegs – und ich bin nach Amerika zu den Loretta Lynn’s gefahren. Das war sehr schön. In der Zeit unterstützte mich Martino Bianchi, der bei Honda gearbeitet hatte. Dadurch verfügte er über ein paar Kontakte und war dazu in der Lage, diese Sache in Amerika auf die Beine zu stellen. Ich hatte Support von Factory Connection für die zwei Qualifying-Events und beim Finale war ich unter dem Vorzelt von Amsoil, dem Amateur-Team der damaligen Geico-Truppe. Ich mache auch kein Geheimnis daraus, dass sie mir ein Angebot gemacht haben, um dort zu bleiben», verriet Adamo. «Das haben wir uns damals aber nicht zugetraut.»
Für die Saison 2019 stieß Adamo zum SM Action Team, damals noch mit Yamaha verbündet. 2020 feierte er in Valkenswaard seinen ersten Podestplatz in der EMX250-Europameisterschaft, dann aber kam die Corona-Pandemie – und nur zwei Wochen nach Trainingsbeginn eine schwere Verletzung: Gebrochener linker Ellbogen sowie rechts ein gebrochenes Handgelenk und ein mehrfach gebrochener Arm.
«So eine Verletzung kann auch das Ende bedeuten»
«Mit dem Covid-Stillstand und der Verletzung war ich insgesamt siebeneinhalb Monate außer Gefecht. Es war ein herber Rückschlag», blickte Adamo auf das schwierige Jahr 2020 zurück. «Zuerst redet jeder von dir und dann erinnert sich plötzlich keiner mehr an dich.»
Das Comeback verlief 2021 – in der MX2-WM und nach dem Umstieg von Yamaha aus GASGAS – zunächst sehr zäh. «Ich brauchte Zeit, um das Vertrauen wiederzufinden. Das war einer der schwierigsten Momente meines Lebens. Ich bin froh, dass ich jetzt wieder in Form bin. Und ich glaube wieder daran, dass ich im Kopf stark genug bin. Denn ich habe Leute gesehen, die sich nach so einer schwierigen Zeit nicht mehr erholt haben. Ich dagegen habe es geschafft zurückzukommen. So eine Verletzung kann auch das Karriereende bedeuten», weiß der junge Sizilianer.
Am Ende der Saison 2021 tankte Adamo mit Top-10-Ergebnissen Selbstvertrauen. Auf die Saison 2022 bereitete er sich im Training mit Corrado und Marco Maddii vor und überraschte bereits beim zweiten Grand Prix in Mantua als Gesamtzweiter. Auf den ersten WM-Podestplatz folgte der Anruf von Red Bull KTM.
Im vergangenen Oktober packte Andrea Adamo mit Freundin Elena, übrigens Corrado Maddiis Tochter, und Hündchen Turbo seine Sachen und zog nach Belgien, wo ihn der fünffache Weltmeister Joel Smets unter seine Fittiche nahm.
Die Arbeit trug bereits nach wenigen Monaten Früchte: Adamo, WM-Achter von 2022, stand beim WM-Saisonauftakt in Bariloche/Argentinien und zu Ostern in Frauenfeld/Schweiz schon zweimal auf dem Podium, gefolgt vom Premierensieg beim Trentino-GP.
Der entscheidende Schritt ins Werksteam
«Mein Leben hat sich in den vergangenen Monaten ziemlich verändert. Ich bin mit Elena nach Belgien gezogen und ohne meine Eltern, die arbeiten und haben ein Haus nahe Bologna, wir konnten nicht alles nach Belgien bewegen», erklärte der 19-jährige Italiener. «Ich will jetzt auch mein Leben leben, meine Eltern sollen sich keine Gedanken mehr machen müssen und meine Geschwister sollen ohne Einschränkungen das machen können, was sie wollen. Ich bin meiner Familie sehr dankbar, es scheint sich jetzt alles bezahlt zu machen.»
Wie wichtig war der Wechsel in ein Werksteam? «Der Wechsel ins Red Bull-KTM-Werksteam war mit Sicherheit entscheidend. Ich glaube, dass man als Fahrer an einen Punkt kommt, an dem man in ein Werksteam wechseln muss, wenn man diesen nächsten Schritt machen will. Das wann und ob entscheidest aber natürlich nicht du, sie müssen dich anrufen. Als sich mir diese Möglichkeit eröffnet hat, musste ich nicht darüber nachdenken, ich habe sie sofort ergriffen. Es war der Traum meines Lebens, auf den ich immer schon hingearbeitet habe.»
«Für meine Entwicklung war es entscheidend», bekräftigte Adamo. «Denn ein Privatteam hat nicht die Möglichkeiten eines Werksteams, genauso die Arbeit mit Joel. Es war viel Arbeit, aber es hat mir viel gebracht. Joel war natürlich früher selbst ein Fahrer – ein ziemlich starker. Jetzt besteht seine Arbeit darin, Fahrer zu coachen und vorzubereiten. Und er ist sehr gut darin. Er hat mir sehr geholfen. Wir haben im Winter viel an der Technik gearbeitet und auf Sand, was für uns Italiener leider ein bisschen der Schwachpunkt ist. Wir haben viel gearbeitet, nicht nur auf sandigem Untergrund, sondern auch auf Hartboden. Die Ergebnisse haben sich zu Beginn dieser Saison gezeigt, ich bin zufrieden.»
«Auch Antonio hilft mir sehr, vor allem in Rom», ergänzte Adamo mit Verweis auf seinen berühmten Teammanager Antonio «Tony» Cairoli. «Die Teams von GASGAS und KTM arbeiten jetzt unter der Aufsicht von Claudio De Carli sehr eng zusammen. Hauptsächlich haben wir die Basis in Belgien, vor den Rennen auf Hartboden gehen wir aber nach Rom – eine Art zweite Basis. Dort verbringe ich etwas mehr Zeit mit Antonio, weil Joel nicht zwei Wochen am Stück in Italien bleibt, sondern zwei oder drei Tage pro Woche. Ich halte mich immer an das Programm von Joel, in Rom aber unter der Aufsicht von Antonio.»
Als Cairoli in Arco als Red Bull-KTM-Teammanager neben Adamo auf dem Podest stand, wurden Erinnerungen an Tonys beste Zeiten wach. Der neunfache Weltmeister traut seinem Schützling, 22 Punkte hinter Jago Geerts neuer WM-Zweiter, auch durchaus zu, sich zum nächsten KTM-Weltmeister mit sizilianischen Wurzeln zu küren.