Nach Russland-Sturz-Orgie: Diskussion um Speedlimit
Auch Gautier Paulin war nach seinem Crash im ersten Lauf von Orlyonok benommen
Die Frage nach einem Speedlimit im Motorsport ist so eine Sache: Dem Wesen nach geht es - wenn man von Ausnahmen wie Trial oder Motoball absieht - beim Motorsport immer um Tempomaximierung. Und in der Einfachheit dieser Regel liegt ja auch ihr Charme.
Der Motocross-Sport hat sich von Anfang an eine Selbstbegrenzung der Geschwindigkeit auferlegt. Da das Verletzungsrisiko in unbefestigtem Gelände, bei Sprüngen und Steilhängen bereits erhöht ist, wurde ursprünglich eine Regel eingeführt, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit 50 km/h nicht überschritten werden sollte.
Die fortlaufend verbesserte Fahrwerks- und Motorentechnik stellte aber immer wieder neue Herausforderungen für Veranstalter und Streckenbauer dar. Das Speedlimit von durchschnittlich 50 km/h war auf einigen Strecke schwer einzuhalten und wurde häufig überschritten.
Von außen betrachtet, kann der Schein trügen: Sandrennen wie in Valkenswaard oder Lommel sehen nicht besonders schnell aus, sind es aber. Rennen wie in Matterley Basin oder auch in Frauenfeld wirken schnell, liegen aber im Vergleich im unteren Mittelfeld der Temposkala.
Am letzten Wochenende wurde in Orlyonok nun aber erstmals die 60 km/h-Schallmauer durchbrochen. Im Falle der russischen Strecke erkannte man allerdings auch schon beim Zuschauen, dass dieser Kurs extrem schnell war.
Aufmerksame Leser von SPEEDWEEK.com bemerkten, dass auf dem Higspeed-Kurs von Orlyonok ein Durchschnittstempo von 62,2 km/h erreicht wurde und warfen die Frage auf, ob das Rennen, bei dem es mehrere Verletzte zu beklagen gab, noch regelkonform war.
Wir fragten bei Andreas Kosbahn nach, dem Geschäftsführer des MSC Teutschenthal, der als das FIM-Regelwerk als Gastgeber des Deutschland-Grand-Prix im Detail kennt.
«Das Durchschnittstempo wurde vor etwa zwei Jahren auf 65 km/h heraufgesetzt», erklärte er gegenüber SPEEDWEEK.com.
Damit ist klar: Das Rennen in Orlyonok war nach den gültigen FIM-Standards regelkonform. Dennoch haben sich 3 Grand-Prix-Piloten (Desalle, Lupino und Bobryshev) schwer verletzt. Dazu kam der heftige Sturz von Antonio Cairoli und der Abflug von Jeffrey Herlings im Qualifikationsrennen. Gautier Paulin brach nach seinem Crash im ersten Lauf am Streckenrand zusammen.
Unabhängig und übergeordnet vom FIM-Regelwerk gelten aber selbstverständlich die Naturgesetze: Ein sich bewegender Körper erhält eine kinetische Energie, die proportional zur Masse und quadratisch zur Geschwindigkeit steigt. Eine Verdopplung der Geschwindigkeit führt also zu einer Vervierfachung der Energie. Eine Verdopplung der Masse würde nur zu einer Verdopplung der Energie führen. Bei einem Crash muss die gesamte kinetische Energie nach dem universell gültigen Energieerhaltungssatz in andere Energieformen umgewandelt werden. Je mehr kinetische Energie vorhanden ist, desto größer sind insbesondere auch die Kräfte und die daraus resultierenden Verletzungsrisiken. Die Geschwindigkeit ist und bleibt der entscheidende Faktor, wenn es um Risiko- und Gefahrenabschätzungen geht - im Motorsport, Straßenverkehr und sonstigen Situationen, bei denen sich bewegende Massekörper im Spiel sind.
Ein Vergleich der Durchschnittsgeschwindigkeiten allein in diesem Jahr zeigt: Es gibt zwischen den verschiedenen Strecken eine große Streuung. Das Rennen in Orlyonok vom letzten Wochenende stellt aber mit 62,2 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit einen Extremwert dar. Interessant: 2018 wurden in Orlyonok nur durchschnittliche 54,7 km/h erreicht.
MXGP-Durchschnittsgeschwindigkeiten 2019:
Argentinien, Neuquen: 58,4 km/h
Großbritannien, Matterley Basin: 49,8 km/h
Niederlande, Valkenswaard: 59,7 km/h
Italien, Trentino: 52,9 km/h
Italien, Mantova: 45,6 km/h
Portugal, Agueda: 55,0 km/h
Frankreich, Saint Jean d'Angely: 51,9 km/h
Russland, Orlyonok: 62,2 km/h
2018:
Russland, Orlyonok: 54,7 km/h
Der Crash von Clement Desalle in Russland: